Die „gute, alte Zeit“in der Unterwelt
Man kann sich’s nur schwer vorstellen, aber selbst in der Unterwelt gab es eine „gute, alte Zeit“. Damals wurde man nur „angeschossen“oder „durch einen Messerstich verletzt“, aber nicht gleich umgebracht. Ja, „der G’schwinde“, „die SchmutzerBuam“, „die wilde Wanda“und „der Einbrecherkönig Breitwieser“– die hatten angeblich alle noch „ein Ehrgefühl“. Zu den Wiener Unterweltkönigen zählte auch Heinz Bachheimer, genannt „der rote Heinzi“, der diese Woche im Alter von 76 Jahren starb.
„Die Reichen“bestohlen
Johann Breitwieser war in den letzten Jahren der Monarchie der „Vater“der Wiener Unterweltkönige. Kein Banksafe, kein Fabrikstor, keine Villa war vor ihm sicher, und da seine bevorzugten Ziele „die Reichen“waren, erlangte er als „österreichischer Robin Hood“sagenhafte Popularität.
Breitwieser hatte seine „Karriere“mit 15 Jahren begonnen und sich dann in die erste Reihe der Wiener Unterwelt hinaufgearbeitet. Das „System Breitwieser“, mit dem er jede Eisenkassa öffnen konnte, war so ausgeklügelt, dass man ihm nachsagte, mit geradezu wissenschaftlicher Genauigkeit vorzugehen. Breitwieser war mehrmals in Haft, konnte aber ebenso oft flüchten, weshalb er sich einen Ruf als „Ein- und Ausbrecherkönig“erwarb.
Am 18, Jänner 1919 verabschiedete sich Breitwieser mit seinem letzten Coup, als er und seine Bande aus dem Tresor der Hirtenberger Patronenfabrik eine halbe Million Kronen plünderten. Bald darauf wurde Breitwiesers Villa in St. Andrä Wördern, in der er unter falschem Namen lebte, von der Polizei umstellt. Es kam zu einem Schusswechsel, dem der 38-jährige Kassenschränker erlag. An seiner Verabschiedung am Meidlinger Friedhof nahmen 20.000 Menschen teil – es war das größte Begräbnis seit dem Tod Kaiser Franz Josephs! „So einer wie der Breitwieser“, hörte man aus den Reihen seiner Fans, „der kommt nimmer mehr“.
Tod or der „Gulaschhütte“
Und tatsächlich konnte ihm sein Nachfolger Karl Kopetzky nicht das Wasser reichen. Er wurde 1932 vor der Ottakringer „Gulaschhütte“von einem Gegenspieler erschossen. Ähnliche Schicksale erlitten auch andere Unterweltkönige in der Ersten Republik.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wiener Unterwelt infolge der prekären Versorgungslage vorwiegend „im Schleich“tätig, wobei die „BlumBande“mit illegalem Zigarettenhandel an vorderster Front stand. Mitunter endeten solche Geschäfte wie im „Dritten Mann“, etwa als Benno Blum, das Oberhaupt der Schmuggler-Gang, 1950 von in Wien stationierten CIA-Agenten getötet wurde.
Josef „Notwehr“Krista hatte als Benno Blums Chauffeur angefangen und es ganz nach oben gebracht. Er verdankte sein Renommee dem Umstand, dass es ihm stets gelang, einschlägige Delikte vor Gericht als Notwehr glaubhaft zu machen. So auch 1954, als er im Café Westbahn einen Stoß-Spieler erschoss. Als das Gericht Krista aber nach einer Schießerei im Mai 1970 die Notwehr nicht abnahm und ihn zu zehnjährigen Haft verurteilte, beging er in seiner Zelle Selbstmord.
Der Kampf um die Unter elt
In den 1960er- und 70er-Jahren kam es zu einem nie dagewesenen Kampf um die Vorherrschaft in der Wiener Unterwelt, der mit der gegenseitigen Ausrottung fast aller „Chefs“endete. So starb der legendäre „Ausbrecherkönig“Heinz Karrer ebenso wie Norbert Schmutzer, einer der berüchtigten „SchmutzerBuam“. Nur Josef Angerler, genannt „der G’schwinde“– weil er seinen Revolver schneller als jeder andere zog – starb an einem Herzinfarkt.
Damit war die Zeit des „roten Heinzi“gekommen, dem es gelang, die Überlebenden auf seine Seite zu ziehen und dann viele Jahre die unangefochtene „Nr. 1“zu bleiben.
Von den „Platten“, wie die Gruppen organisierter Täter seit dem 19. Jahrhundert schon genannt wurden, ist nicht viel übrig geblieben. „Die Wiener Unterwelt, etwa zur Zeit eines Johann Breitwieser, kann mit der heutigen nicht verglichen werden“, erklärt Harald Seyrl, der Leiter des Wiener Kriminalmuseums. „Die damaligen ,Plattenbrüder’ waren auf Einbruch und andere Vermögensdelikte spezialisiert und distanzierten sich von Einzeltätern, die Mord und Totschlag begingen. Der klassische Wiener Kriminelle von früher wurde längst durch international agierende Banden, die auch vor Tötungsdelikten nicht zurückschrecken, abgelöst.“
Die „ ilde Wanda“
Während Unterweltler zu allen Zeiten wenig wert auf Publicity legten, genoss es Wanda Kuchwalek geradezu, in die Schlagzeilen zu gelangen. Wiens einziger weiblicher Zuhälter bot aber auch genug Anlass dafür. 25 Mal angeklagt – etwa wegen gefährlicher Drohung, schwerer Körperverletzung und Zertrümmerung eines Kaffeehauses – erlangte „die wilde Wanda“durch spektakuläre Auftritte vor Gericht ihr Image als Frauen betörende Unterweltkönigin. Die derbe Schönheit hatte Verhältnisse mit den von ihr meist mittels Stahlrute beschützten Prostituierten, geriet jedoch auch mit ihnen immer wieder in blutigen Streit. So stand Kuchwalek einmal vor dem Richter, weil sie einem ihrer Mädchen mit einer Rasierklinge 14 Kreuze ins Gesicht geschnitten hatte. 1972 verführte sie in der Untersuchungshaft im Wiener Landesgericht zwei Justizbeamtinnen zum Liebesspiel, worauf diese wegen Amtsmissbrauchs zu fünf Jahren Haft verurteilt wurden. „Die wilde Wanda“las in ihrer Gefängniszelle Nietzsche, schrieb ihre Memoiren und starb im September 2004 im Alter von 57 Jahren.
XY sucht den „roten Heinzi“
Auch der jetzt verstorbene „rote“
Heinz Bachheimer pflegte Medienkontakte. Teddy Podgorski erzählt aus der Zeit, als er Co-Moderator in Eduard Zimmermanns Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“war, dass eines Tages Interpol nach dem „roten Heinzi“fahndete.
Podgorski verlas die Suchmeldung live im Fernsehen und fuhr nach der Sendung in die Innenstadt, wo er zu später Stunde an der LoosBar vorbeikam. Er konnte kaum glauben, was er dort sah. Denn an der Bar lehnte „der rote Heinzi“. Podgorski schaute ihn mit großen Augen an. Und da rief ihm der steckbrief lich Verfolgte zu: „Servas Teddy. I hab g´hört, du suchst mi.“
Wie eingangs erwähnt: Selbst in der Unterwelt gab es eine „gute, alte Zeit“.
georg.markus@kurier.at