Kurier

Die „gute, alte Zeit“in der Unterwelt

- VON GEORG MARKUS genannt wegen seiner Haarfarbe) (so

Man kann sich’s nur schwer vorstellen, aber selbst in der Unterwelt gab es eine „gute, alte Zeit“. Damals wurde man nur „angeschoss­en“oder „durch einen Messerstic­h verletzt“, aber nicht gleich umgebracht. Ja, „der G’schwinde“, „die SchmutzerB­uam“, „die wilde Wanda“und „der Einbrecher­könig Breitwiese­r“– die hatten angeblich alle noch „ein Ehrgefühl“. Zu den Wiener Unterweltk­önigen zählte auch Heinz Bachheimer, genannt „der rote Heinzi“, der diese Woche im Alter von 76 Jahren starb.

„Die Reichen“bestohlen

Johann Breitwiese­r war in den letzten Jahren der Monarchie der „Vater“der Wiener Unterweltk­önige. Kein Banksafe, kein Fabrikstor, keine Villa war vor ihm sicher, und da seine bevorzugte­n Ziele „die Reichen“waren, erlangte er als „österreich­ischer Robin Hood“sagenhafte Popularitä­t.

Breitwiese­r hatte seine „Karriere“mit 15 Jahren begonnen und sich dann in die erste Reihe der Wiener Unterwelt hinaufgear­beitet. Das „System Breitwiese­r“, mit dem er jede Eisenkassa öffnen konnte, war so ausgeklüge­lt, dass man ihm nachsagte, mit geradezu wissenscha­ftlicher Genauigkei­t vorzugehen. Breitwiese­r war mehrmals in Haft, konnte aber ebenso oft flüchten, weshalb er sich einen Ruf als „Ein- und Ausbrecher­könig“erwarb.

Am 18, Jänner 1919 verabschie­dete sich Breitwiese­r mit seinem letzten Coup, als er und seine Bande aus dem Tresor der Hirtenberg­er Patronenfa­brik eine halbe Million Kronen plünderten. Bald darauf wurde Breitwiese­rs Villa in St. Andrä Wördern, in der er unter falschem Namen lebte, von der Polizei umstellt. Es kam zu einem Schusswech­sel, dem der 38-jährige Kassenschr­änker erlag. An seiner Verabschie­dung am Meidlinger Friedhof nahmen 20.000 Menschen teil – es war das größte Begräbnis seit dem Tod Kaiser Franz Josephs! „So einer wie der Breitwiese­r“, hörte man aus den Reihen seiner Fans, „der kommt nimmer mehr“.

Tod or der „Gulaschhüt­te“

Und tatsächlic­h konnte ihm sein Nachfolger Karl Kopetzky nicht das Wasser reichen. Er wurde 1932 vor der Ottakringe­r „Gulaschhüt­te“von einem Gegenspiel­er erschossen. Ähnliche Schicksale erlitten auch andere Unterweltk­önige in der Ersten Republik.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wiener Unterwelt infolge der prekären Versorgung­slage vorwiegend „im Schleich“tätig, wobei die „BlumBande“mit illegalem Zigaretten­handel an vorderster Front stand. Mitunter endeten solche Geschäfte wie im „Dritten Mann“, etwa als Benno Blum, das Oberhaupt der Schmuggler-Gang, 1950 von in Wien stationier­ten CIA-Agenten getötet wurde.

Josef „Notwehr“Krista hatte als Benno Blums Chauffeur angefangen und es ganz nach oben gebracht. Er verdankte sein Renommee dem Umstand, dass es ihm stets gelang, einschlägi­ge Delikte vor Gericht als Notwehr glaubhaft zu machen. So auch 1954, als er im Café Westbahn einen Stoß-Spieler erschoss. Als das Gericht Krista aber nach einer Schießerei im Mai 1970 die Notwehr nicht abnahm und ihn zu zehnjährig­en Haft verurteilt­e, beging er in seiner Zelle Selbstmord.

Der Kampf um die Unter elt

In den 1960er- und 70er-Jahren kam es zu einem nie dagewesene­n Kampf um die Vorherrsch­aft in der Wiener Unterwelt, der mit der gegenseiti­gen Ausrottung fast aller „Chefs“endete. So starb der legendäre „Ausbrecher­könig“Heinz Karrer ebenso wie Norbert Schmutzer, einer der berüchtigt­en „SchmutzerB­uam“. Nur Josef Angerler, genannt „der G’schwinde“– weil er seinen Revolver schneller als jeder andere zog – starb an einem Herzinfark­t.

Damit war die Zeit des „roten Heinzi“gekommen, dem es gelang, die Überlebend­en auf seine Seite zu ziehen und dann viele Jahre die unangefoch­tene „Nr. 1“zu bleiben.

Von den „Platten“, wie die Gruppen organisier­ter Täter seit dem 19. Jahrhunder­t schon genannt wurden, ist nicht viel übrig geblieben. „Die Wiener Unterwelt, etwa zur Zeit eines Johann Breitwiese­r, kann mit der heutigen nicht verglichen werden“, erklärt Harald Seyrl, der Leiter des Wiener Kriminalmu­seums. „Die damaligen ,Plattenbrü­der’ waren auf Einbruch und andere Vermögensd­elikte spezialisi­ert und distanzier­ten sich von Einzeltäte­rn, die Mord und Totschlag begingen. Der klassische Wiener Kriminelle von früher wurde längst durch internatio­nal agierende Banden, die auch vor Tötungsdel­ikten nicht zurückschr­ecken, abgelöst.“

Die „ ilde Wanda“

Während Unterweltl­er zu allen Zeiten wenig wert auf Publicity legten, genoss es Wanda Kuchwalek geradezu, in die Schlagzeil­en zu gelangen. Wiens einziger weiblicher Zuhälter bot aber auch genug Anlass dafür. 25 Mal angeklagt – etwa wegen gefährlich­er Drohung, schwerer Körperverl­etzung und Zertrümmer­ung eines Kaffeehaus­es – erlangte „die wilde Wanda“durch spektakulä­re Auftritte vor Gericht ihr Image als Frauen betörende Unterweltk­önigin. Die derbe Schönheit hatte Verhältnis­se mit den von ihr meist mittels Stahlrute beschützte­n Prostituie­rten, geriet jedoch auch mit ihnen immer wieder in blutigen Streit. So stand Kuchwalek einmal vor dem Richter, weil sie einem ihrer Mädchen mit einer Rasierklin­ge 14 Kreuze ins Gesicht geschnitte­n hatte. 1972 verführte sie in der Untersuchu­ngshaft im Wiener Landesgeri­cht zwei Justizbeam­tinnen zum Liebesspie­l, worauf diese wegen Amtsmissbr­auchs zu fünf Jahren Haft verurteilt wurden. „Die wilde Wanda“las in ihrer Gefängnisz­elle Nietzsche, schrieb ihre Memoiren und starb im September 2004 im Alter von 57 Jahren.

XY sucht den „roten Heinzi“

Auch der jetzt verstorben­e „rote“

Heinz Bachheimer pflegte Medienkont­akte. Teddy Podgorski erzählt aus der Zeit, als er Co-Moderator in Eduard Zimmermann­s Sendung „Aktenzeich­en XY... ungelöst“war, dass eines Tages Interpol nach dem „roten Heinzi“fahndete.

Podgorski verlas die Suchmeldun­g live im Fernsehen und fuhr nach der Sendung in die Innenstadt, wo er zu später Stunde an der LoosBar vorbeikam. Er konnte kaum glauben, was er dort sah. Denn an der Bar lehnte „der rote Heinzi“. Podgorski schaute ihn mit großen Augen an. Und da rief ihm der steckbrief lich Verfolgte zu: „Servas Teddy. I hab g´hört, du suchst mi.“

Wie eingangs erwähnt: Selbst in der Unterwelt gab es eine „gute, alte Zeit“.

georg.markus@kurier.at

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