Kurier

Haltung bewahren – irgendwo lauert immer ein Happy End

Kritik. Großer Erfolg für das Burgtheate­r mit Yasmina Rezas neuem Stück „Bella Figura“.

- VON

In den Stücken von Yasmina Reza („Kunst“, „Drei Mal Leben“, „Der Gott des Gemetzels“) geht es um Entgleisun­gen. Menschen, die eben noch ihr formschöne­s Leben perfekt im Griff hatten, verlieren aus nichtigem Anlass die Fassung. Sie bewohnen Designerwo­hnungen und leben Designer-Leben, in denen plötzlich Abgründe klaffen.

In ihrem neuen Stück „Bella Figura“, das die Burg im Akademieth­eater zeigt, ist der Entgleisun­gsvorgang besonders heftig – allerdings passiert dann, so hat es den Anschein, sehr wenig. Das ist, um es gleich zu betonen, keine Schwäche, sondern eine Stärke des hervorrage­nden Stücks – es verzichtet auf plakatives Ausstellen von Beziehungs­hölle.

Anders als bei „Gott des Gemetzels“hat Reza diesmal nicht versucht, „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“neu zu schreiben. „Bella Figu- ra“erinnert ein wenig an Tschechow: Das wirklich Drastische wird sich vielleicht erst am Tag nach der Handlung ereignen, oder ein Jahr danach, oder auch nie.

Die Situation: Der Geschäftsm­ann Boris (Joachim Meyerhoff) will sich eine Nacht mit seiner Geliebten Andrea (Caroline Peters) gönnen. Auf dem Parkplatz vor einem Luxusresta­urant fährt Boris eine alte Dame namens Yvonne (Kirsten Dene) an, die mit Sohn Eric (Roland Koch) und Schwiegert­ochter Françoise (Sylvie Rohrer) Geburtstag feiern will. Diese Schwiegert­ochter ist aber eine Freundin von Boris’ Ehefrau – wodurch sein Seitenspru­ng auff liegt.

Gute Figur?

Alle fünf Personen geraten so in eine sehr peinliche Lage, in der alle außer Andrea verzweifel­t versuchen, Haltung (auf Italienisc­h: Bella Figura) zu bewahren.

Rasch öffnen sich die Abgründe. Boris steht vor Konkurs und Nervenzusa­mmenbruch. Andrea hat ein Alkohol- und Tablettenp­roblem und hasst ihr zu kleines Leben. Eric ist ein verklemmte­r Angeber, der Boris sein Abenteuer neidet. Françoise ist in ihrem Spießbürge­r-Leben müde und verbissen geworden. Die vielleicht interessan­teste Figur ist Yvonne, bei der nie klar ist, wo die gespielte Senilität, mit der sie ihre Familie quält, auf hört und wo die echte Demenz beginnt.

Altmeister Dieter Giesing setzt diese Geschichte auf hyperreali­stischer Bühne (mit echtem Auto!) ruhig und genau in Szene. Alle fünf Darsteller spielen großartig, wobei Caroline Peters und Kirsten Dene besonders beeindruck­en – fairerweis­e muss man sagen: Sie haben auch die schönsten Rollen.

Am Ende hat sich nichts geändert, alle verharren in ihrem unerfreuli­chen, aber vertrauten Leben. Wie heißt es im Stück? „Irgendwo lauert immer ein Happy End.“Großer Applaus!

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria