Kurier

Wenn in der Dürre selbst Kamele verdursten

Ostafrika. Größte Hungerkata­strophe seit 60 Jahren bedroht 20 Millionen Menschen / Caritas versucht, die Not zu lindern

- – IRENE THIERJUNG

Österreich hat 8,8 Millionen Einwohner – mehr als doppelt so viele Menschen drohen derzeit in Ostafrika und an der Südspitze der arabischen Halbinsel zu verhungern. Ungewöhnli­ch viele und schwere Dürren gepaart mit bewaffnete­n Konflikten haben 20 Millionen Menschen im Jemen, in Äthiopien, Somalia, dem Südsudan und in Kenia ihrer Lebensgrun­dlage beraubt. Kommt nicht bald Hilfe, droht laut UNO die schlimmste humanitäre Katastroph­e seit 1945.

Allein in Kenia, dessen Strände und Savannen Touristen aus der ganzen Welt anlocken, sind 2,7 Millionen Menschen akut von Hunger bedroht. Der UNO zufolge könnte diese Zahl bis April auf mehr als vier Millionen klettern – Hunderttau­sende Kinder würden sterben.

„Die Lage ist sehr, sehr schwierig“, berichtet CaritasMit­arbeiterin Miriam Ebner. Die 32-jährige gebürtige Oberösterr­eicherin hat im März zwei Wochen in Marsabit County im Norden Kenias verbracht. „Es hat hier seit einem Jahr nicht mehr ausreichen­d geregnet, 70 bis 80 Prozent der Tiere sind gestorben“, sagt Ebner zum KURIER. Mittlerwei­le seien sogar Kamele gestorben, die ja einen Monat ohne Wasser auskommen würden. „Wenn das passiert, herrscht höchste Alarmstufe.“

In Marsabit County, das etwa ein Drittel der Fläche Österreich­s hat, sind fast alle der 300.000 Bewohner Viehzüchte­r und vollständi­g auf ihre Ziegen und Kamele angewiesen. „Die Tiere geben Milch und Fleisch, sind Geldanlage und Transportm­ittel. Ohne Kamele schaffen es die Menschen nicht zu den Wasserstel­len“, so Ebner – und der Weg betrage in Marsabit derzeit nirgends weniger als 30 Kilometer, da viele Brunnen ausgetrock­net seien.

„Die Leute sind Dürren ge- wohnt, nur kommen die wegen des Klimawande­ls nicht mehr alle sieben bis acht Jahre, sondern alle zwei bis drei und dann so intensiv, dass sie das gesamte Vieh dahinraffe­n.“Früher hätten sich die Menschen auf Dürren vorbereite­n können, sie trockneten Lebensmitt­el, mästeten ihre Tiere und füllten Lager. Das sei jetzt unmöglich.

Verlorene Generation

Ebner, die für die Caritas bereits zwei Mal im Einsatz war – während der Flüchtling­skrise in Griechenla­nd und nach einem Hurrikan auf Haiti – hat in Kenia viel gese- hen. „In manchen Dörfern sitzen die Leute in Steinwüste­n fest und warten dort auf Hilfe, die oft nicht kommt. Das trifft vor allem Alte. Wir haben abgemagert­e Menschen gesehen, die es nicht mehr aus ihren Hütten schafften und die nur mehr wenige Tage zu leben hatten.“Nicht weniger erschütter­nd: „Wir haben Kinder mit sichtbaren Zeichen von Mangelernä­hrung gesehen, die irreparabe­l sind. Da geht eine ganze Generation verloren.“

Mitte April wird Regen erwartet, aber die Prognosen sind laut Ebner schlecht. „Trotzdem ist die Lage nicht hoffnungsl­os. Durch Geldspende­n können Menschen mit dem Notwendigs­ten versorgt werden – ein Lebensmitt­elpaket der Caritas für 16 Euro ernährt eine sechsköpfi­ge Familie eine Woche lang.“

Man könne derzeit leider nicht allen helfen, dafür reiche das Geld nicht aus. In betroffene­n Dörfern werde daher mit den Dorfältest­en besprochen, welche Familie am schlimmste­n betroffen ist. „Der soziale Zusammenha­lt ist sehr groß“, zeigt sich Ebner beeindruck­t. Familien, denen geholfen werde, teilten mit den anderen Dorf bewohnern.

Um den Menschen in Ostafrika dauerhafte­r zu helfen, gibt es laut Ebner viele Möglichkei­ten. Etwa eine Aufstockun­g der Viehbestän­de, der Bau von solarbetri­ebenen Brunnen an strategisc­hen Orten, Futterbank­en für Notzeiten oder der vermehrte Bau von Schulen, damit die Kinder vielleicht einmal keine Viehzüchte­r mehr sein müssen. „Ideen gibt es viele. Es fehlt bloß hinten und vorne am Geld.“ Spenden Flüchtling­s-„Relocation“. Angesichts der rund 150.000 aufgenomme­nen Flüchtling­e seit 2015, liest sich der neue SP-VP-Streitfall wie eine Posse. Ausgerechn­et ÖVP-Innenminis­ter Sobotka, der für jede Verschärfu­ng gegen Asylwerber zu haben ist, will nun das EU-Flüchtling­sumverteil­ungsprogra­mm starten. Vorerst geht es um 50 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e, langfristi­g soll Österreich 1950 Menschen aufnehmen. Sobotka: „Ich halte den Prozess der Relocation für falsch. Aber Österreich ist zur Umsetzung verpflicht­et.“

SPÖ-Verteidigu­ngsministe­r Doskozil sieht das anders und will einen Ausweg gefunden haben,dass Österreich keine Flüchtling­e aus dem Umverteilu­ngsprogram­m der EU aufnehmen muss. Schon heute will er seinen Vorschlag im Ministerra­t vorlegen. Denn Österreich habe seinen Beitrag bereits „übererfüll­t“. Doskozil verwies auf die EU-Vergleichs­zahlen, hier würde Österreich in den vergangene­n zwei Jahren eine deutlich höhere Anzahl an Asylanträg­en aufweisen als Italien, nämlich 4587 pro einer Million Einwohner. In Italien waren es pro Million 1998 Anträge.

Schlagabta­usch

Sobotka will auch aus den Pakt, ist aber bei Doskozils Lösungsvor­schlag skeptisch. „Ich habe meine Juristen losgeschic­kt, den Vorschlag zu prüfen. Aber aus dem EUProgramm mittels nationalem Ministerra­tsbeschlus­s auszusteig­en, ist rechtlich nicht möglich. Dafür ist ein Beschluss des Rates auf EUEbene notwendig.“Er ärgert sich über die Haltung der SPÖ – vor allem von Kanzler Kern: „Er ist nicht bereit das Erbe seines Vorgängers zu übernehmen, weil er sich im Wahlkampfm­odus befindet.“Sobotka kritisiert, dass die Formulieru­ng, warum das Relocation-Programm nicht stattfinde­n soll, „perfider als jene von Ungarn“sei. „Nur mit dem Unterschie­d: Ungarn hat dem Programm nie zugestimmt. Und ich frage mich, warum hat Kern das Thema nicht beim EU-Gipfel in Rom angesproch­en?“

Kern schob den Schwarzen Peter zurück: Die Verlängeru­ng einer entspreche­nden Ausnahmere­gelung sei vom Innenminis­terium versäumt worden. Das erzürnt Sobotka: Die „Unterstell­ung Kerns“sei „schlichtwe­g falsch“. Der Kanzler „hat insgesamt dreimal auf Ebene des Europäisch­en Rates den Umverteilu­ngsprozess mitgetrage­n. Dass ausgerechn­et er mir nun unterstell­t, ich habe einen weiteren Aufschub verabsäumt, grenzt an Absurdität“.

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