Kurier

Was Erde über Neandertal­er erzählt

Forscher haben erstmals alte DNA aus Höhlensedi­menten gefischt, obwohl dort Knochen fehlten

- VON S. MAUTHNER-WEBER

El Sidrón in Spanien: Bis zur Unkenntlic­hkeit in Schutzklei­dung gehüllt, betreten Forscher die Höhle, zücken ein Röhrchen und einen kleinen Löffel, bücken sich und packen eine Messerspit­ze Erde in den Behälter, verschließ­en ihn und verschwind­en Richtung Labor. Jetzt vermelden sie im Wissenscha­ftsmagazin Science, dass sie alte DNA von Neandertal­ern und anderen ausgestorb­enen Menschenar­ten aus dem Höhlensedi­ment gefischt haben – und das, obwohl dort keine Skelett-Überreste vorhanden waren.

Doch der Reihe nach: Obwohl es in Europa und Asien viele prähistori­sche Fundstätte­n gibt, die Werkzeuge und andere von Urmenschen verwendete Gegenständ­e enthalten, sind Skelett-Überreste ihrer Schöpfer selten. Forscher vom MaxPlanck-Institut für evolutionä­re Anthropolo­gie in Leipzig (eva) haben daher nach neuen Wegen zur Gewinnung von Urmenschen-DNA gesucht. „Wir sind nicht die Ersten, die versucht haben, DNA aus Sedimenten zu isolieren“, erzählt Matthias Meyer vom eva. Bereits in den 1990er-Jahren probierten es dänische Forscher. „Wir selbst haben lange nicht für möglich gehalten, dass wir alte DNA finden können, denn die menschlich­en Überreste sind ja nur ein ganz kleiner Teil der Fauna, die in Höhlen vorkommt.“

Auf gut Glück

Weil aber die Techniken immer besser wurden, beschlosse­n die eva-Forscher es zu probieren – auf gut Glück wählten sie sieben Höhlen in Belgien, Frankreich, Kroatien, Russland und Spanien aus. Einziges Kriterium: „Es musste sich um Fundstätte­n handeln, von denen man wusste, dass ausgestorb­ene Menschenar­ten dort waren.“

Meyer war verblüfft, wie hoch die Trefferquo­te war. In den zwischen 14.000 und mehr als 550.000 Jahre alten Sedimenten aus vier Höhlen fanden die Forscher das Erbgut von zwölf verschiede­nen Säugetierf­amilien, darunter von ausgestorb­enen Arten wie dem Wollhaarma­mmut, dem Wollnashor­n, dem Höhlenbär und der Höhlenhyän­e. Nicht zu vergessen Neandertal­er-DNA, sogar dort, wo keine Knochenfun­de gemacht worden waren. In der Denisova-Höhle in Russland fanden sie zudem das Erbgut des mysteriöse­n Denisova-Menschen.

Die Anthopolog­en rätseln, woher die DNA kommt: „Ehrlich gesagt wissen wir es nicht so genau“, gesteht Meyer. „Wir können nur spekuliere­n, was die Quelle ist. Eine Möglichkei­t sind Körperflüs- sigkeiten – Schweiß und Urin, eine andere Exkremente.“Was er sicher weiß: „Dass DNA eine sehr starke Bindung mit Mineralien eingeht. Das schützt sie auch vor Zerstörung.“

„Anhand von DNA-Spuren im Sediment können wir nun an Fundorten und in Gebieten die Anwesenhei­t von Urmenschen nachweisen, wo dies mit anderen Methoden nicht möglich ist“, sagt Studien-Mitautor Svante Pääbo. Vielleicht wäre damit auch Steve Holen vom Center for American Paleolithi­c Research gedient. Sein Team von amerikanis­chen und australisc­hen Forschern wartet fast zeitgleich mit dem evaTeam mit einer wissenscha­ftli- chen Sensation auf: Eine Nature- Studie datiert das erste Auftreten von Menschen in Nordamerik­a mehr als 115.000 Jahre früher als bisher für möglich gehalten.

Fossil fehlt

Die Wissenscha­ftler haben Mammut-Funde bei San Diego analysiert: Die Knochen dreier Tiere, glauben die Forscher, seien einst mit Steinwerkz­eugen zerschlage­n worden. „Menschen machten auf diese Weise Werkzeuge aus Knochen, und auch das Mark holten sie gern heraus“, sagt Holen. Auch die dafür als „Hammer und Amboss“benutzten Steine will er gefunden haben. Was den Forschern allerdings fehlt: ein menschlich­es Fossil, datiert auf den Fundzeitra­um.

Dafür gibt es wilde Spekulatio­nen darüber, wer die Menschen waren, die es derart früh übers Meer nach Amerika geschafft haben sollen. Infrage kämen Neandertal­er, Homo heidelberg­ensis, späte Vertreter des Homo erectus und eventuell auch Homo sapiens. Der verließ allerdings vor 131.000 Jahren gerade erst Afrika. Holen selbst lässt durchblick­en, dass er sich Neandertal­er als erste Einwandere­r in die neue Welt vorstellen könnte.

Die These vom archaische­n Ur-Amerikaner funktionie­rt aber nur, wenn man frühen Menschen größere Leistungen zutraut, als das bisher der Fall ist. Die Erkenntnis­se haben daher das Zeug, nicht nur unser Bild von der Erstbesied­lung Amerikas zu verändern, sondern auch das unserer Vorfahren. Holen: „Ich kann mir vorstellen, dass es immer wieder Menschen gelang, nach Amerika zu kommen. Dass man bisher nichts gefunden hat, liegt auch daran, dass niemand danach suchte.“Archäologe­n hätten in so alten Schichten bisher kaum gegraben, weil sie dort nichts vermuteten. Dank der neuen eva-Methode ist der Knochenfun­d jetzt nicht mehr zwingend nötig: Denn ab sofort erzählt die Erde, wer die ehemaligen Bewohner vieler archäologi­scher Ausgrabung­sstätten waren.

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Die Höhle Vindija in Kroatien (li.) war eine der Ausgrabung­en, wo Forscher das Erbgut unserer Vorfahren aus den Sedimenten (re.) isolieren konnten
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