„Politisch korrekt waren wir lang genug“
Theater in der Josefstadt. Direktor Herbert Föttinger über seine wagemutigen Pläne für die kommende Saison
KURIER: Sie haben am Donnerstag den Spielplan für 2017/’18 vorgestellt. Das Programmbuch ist durchsetzt mit amüsanten Fake News. Machen Sie der „Tagespresse“Konkurrenz? Herbert Föttinger: Jetzt bin ich echt enttäuscht. Denn ich dachte mir, Sie würden mich fragen, was ich dazu sage, dass Frau Bergmann 2019 ihren Vertrag als Burgtheaterdirektorin auslaufen lässt. Und ich dachte mir, dass Sie mir ohnedies nicht verraten würden, ob Sie sich bewerben.
Da haben Sie Recht. Zudem glaube ich nicht, dass sich ein Burgtheaterdirektor bewerben sollte. Noch dazu mit einem Konzept bis ins Jahr 2024. Das machen nur Buchhalter. Der Kulturminister hat sich einen Überblick zu verschaffen – und den Direktor zu bestimmen. Wie ist nun mit den Fake News?
Wir arbeiten schon seit einigen Jahren mit Slogans, derzeit können Sie auf der Hausmauer lesen: „Besser ein heller Gedanke als eine düstere Prophezeiung.“Aus einer Verärgerung über die Zustände weltweit habe ich vorgeschlagen, als Theater auf den Schwachsinn von Trump und anderen zu reagieren. So entstanden diese Twitter-Meldungen und Fotomontagen. Politisch korrekt waren wir lang genug. Sie werden wagemutiger, auch in der Spielplangestaltung.
Ich war, glaube ich, nie ein vorsichtiger Mensch. Aber es stimmt: Wir können uns noch mehr trauen. Und das Publikum bestärkt uns darin. Die zweitbestbesuchte Produktion der laufenden Saison ist „Heilig Abend“von Daniel Kehlmann. Vor 15 Jahren – damals war ich hier Schauspieler – wäre das nicht vorstellbar gewesen. Ja, das macht mir schon Freude: Dass das Publikum diese inhaltliche Erneuerung, das Autorentheater mit den zahlreichen Uraufführungen, so positiv annimmt. Ganz besonders in den Kammerspielen. Die Uraufführung von Thomas Vinterbergs „Suff“ist wohl eine ziemliche Herausforderung für die Abonnenten.
Das nenn’ ich eine Revolution! Denn die Kammerspie- le waren früher einmal das Haus der „Pension Schöller“. Dort zeigen Sie auch das Gerichtsdrama „Terror“. Es lief vor ein paar Monaten als Medienereignis im Fernsehen. Warum jetzt noch auf der Bühne?
Weil Regisseur Julian Pölsler in Abstimmung mit Ferdinand von Schirach eine interessante Lösung gefunden hat: Alle Rollen werden von Frauen gespielt. Es geht daher mehr um den Fall als um männliche Gebärden. In der kommenden Saison thematisieren Sie erneut die NSZeit: Sie eröffnen mit der Dramatisierung „Der Engel mit der Posaune“. Ihr Motiv?
Der Protagonist des Romans, der junge Hans Alt muss seine Ängste überwinden, Rückgrat entwickeln, um sich dem neuen, politischen System entgegenstellen zu können. Wenn ich mir den Rechtsruck anschaue: Zivilcourage wird der Bevölkerung Europas auch in den nächsten Jahren abverlangt werden. Auch das Burgtheater wollte den Roman auf die Bühne bringen. Aber für uns ist es ja geradezu eine Verpflichtung, denn Ernst Lothar, der Autor, war von 1935 bis 1938 Direktor der Josefstadt. Er musste Österreich nach dem „Anschluss“verlassen. In Amerika schrieb er „Engel mit der Posaune“. Der Roman wurde 1948 verfilmt – mit Paula Wessely. Eben noch hatte sie im NS-Propagandafilm „Heimkehr“die deutsche Frau gespielt, nun ist sie die Jüdin, die aus Verzweiflung aus dem Fenster springt. Wie heißt es bei „Mephisto“von Klaus Mann? „Was wollt Ihr von mir? Ich bin ja nur ein Schauspieler.“ Sie ergänzen den „Engel mit der Posaune“mit „In der Löwengrube“. Felix Mitterer wurde zu diesem Stück vom jüdischen Schauspieler Leo Reuss inspiriert, der sich als Bauer aus Tirol ausgab, ein Naturta- lent zu sein schien – und an die Josefstadt engagiert wurde.
Die Produktion ist ein Geschenk für Felix Mitterer zu dessen 70. Geburtstag. Aber nicht nur! Das Stück wurde für die Josefstadt geschrieben. Aber der damalige Direktor Otto Schenk war der Meinung, dass man es nur in einem Kellertheater spielen könne. Es war dann ein Riesenerfolg am Volkstheater. Diesen Fehler muss man wieder gutmachen. In dieser Saison hatte „Die Verdammten“Premiere. Könnte es nicht sein, dass Ihr Publikum zu Ihnen sagt: „Herr Direktor, jetzt reicht’s aber mit der NS-Zeit!“?
Das hat es schon 2008 gesagt, als ich das politische Verhalten des Theaters in der Josefstadt während der NSZeit beleuchtet habe. Leider: Die Zuschauer müssen mit meinem Spielplan leben. Und sie leben nicht schlecht.