Rap-Star Nazar: „Ich nehme diese Kanakenkarte gerne in die Hand“
Auf der anderen Seite zündelt die heimische Politik da kräftig mit.
Wenn Jugendliche in jedem Wahlkampf auf riesigen Plakaten lesen müssen, dass ihre Religion hier nicht willkommen ist, fangen sie irgendwann an, zu rebellieren. Und sie fühlen sich im Gegenzug in irgendwelchen YouTubeVideos von Hasspredigern gehört. Die sagen: „Seht ihr nicht, wie schlecht die mit euch umgehen, obwohl eure Eltern hier seit 30 Jahren alles tun und trotzdem nie ein Teil dieser Gesellschaft sein werden.“ Hip-Hop ist so populär wie nie, gleichzeitig sind islamische Migranten ein Reizthema. Überspitzt: Die Menschen kaufen Ihre Musik, möchten aber, dass Sie bitte aus dem Land verschwinden.
Leute kommen auf meine Facebookseiten, um mich zu beleidigen, wenn
Strache wieder etwas gepostet hat. Auch auf der Straße meinen Leute oft, dass sie mit mir über politische Themen reden müssen, um mir weiszumachen, wie ihre Gesinnung ist. Ich nehme diese Kanakenkarte gerne in die Hand. Jeder hat seine Rolle in der Gesellschaft. Ich konnte mir meine nicht aussuchen. Sie schreiben in Ihrem Buch darüber, wie Sie als Kind von den Klosterschwestern im Spital in Speising gepflegt wurden und dass Sie als Moslem allein schon deshalb nicht mit anderen Religionen in Konflikt geraten könnten. Was sind für Sie die großen Lehren, die man aus Religiosität ziehen kann?
Grundsätzlich geht es in der Religion immer nur darum, dass du versuchen sollst, ein guter Mensch zu sein und an Gott zu glauben und durch diesen Glauben Kraft für dich selber tankst. Das Problem, das der Islam in Europa hat, ist ein bisschen die Vermittlung: Hier hast du 80 Prozent Menschen, die eine deutsche Übersetzung gelesen haben – wenn überhaupt. Im Iran etwa lernst du in der Volksschule erst einmal Arabisch, um den Koran auch zu verstehen. Warum hängen wir als moderne Gesellschaft zu großen Teilen noch immer so sehr an Tausende Jahre alten Schriften?
Im Islam zum Beispiel steht geschrieben, dass das die Worte Gottes sind. Glauben Sie das?
Natürlich glaube ich das. Wenn man nichts mehr hat, an das man glauben kann und alles infrage stellt ... In meinem Umfeld gab es immer schon Menschen, die ihren Glauben sehr stark praktiziert haben, sei es auf der christlichen Seite, oder ob das die Eltern von Freunden waren, die das sehr strenggläubig aus dem Islam praktiziert haben. Der Glaube kann nie falsch sein. Aber ich finde es einfach nicht gesund, wenn Religion mit Politik vermischt wird. Das hat man auch am Beispiel Iran gesehen. Überall, wo Menschen die Macht der Religion nutzen wollen, um Menschen zu manipulieren, da wird es sehr, sehr gefährlich. Sie kommen aus Favoriten, einem eher verrufenen Bezirk in Wien. Dazu sind Sie Moslem, wuchsen als Halbwaise in armen Verhältnissen auf, waren zugewandert. Aus Ihrer Erfahrung: Wie ermöglicht man den Menschen, die hierher flüchten, einen Weg in eine bürgerliche Existenz?
Was ganz wichtig wäre ist, dass die Einheimischen – dazu zähle ich mich auch – Fremden gegenüber viel offener sein müssen. Menschen, die noch nie um ihr Leben bangen mussten, können sich nicht die Situation dieser Leute hineinversetzen. Da ist es sehr einfach und pauschal zu sagen: „Irgendwann reicht es, das ist zu viel, die sind kriminell …“Ich glaube, dass sehr viele Menschen wieder anfangen müssen, aufgeschlossener zu sein – unvoreingenommener. Aber dass natürlich auch die Leute, die in unserem Land neu dazu kommen, sehr, sehr schnell begreifen müssen, dass es nicht funktionieren kann, indem sie sich abkapseln und isolieren und denken, dass sie in ihren Kreisen hier über die Runden kommen können. Anderes Thema: Wenn ein Jugendlicher den Dschihad propagiert, gibt es Headlines, wenn Rechte sich bewaffnen, findet das kaum Niederschlag, auch in den USA. Warum ist das so?
Ein Weißer, der in Las Vegas Leute erschießt, war halt „psychisch gestört“. Mir ist in Österreich immer schon aufgefallen, dass gewisse Zeitungen immer bei Verbrechen geschrieben haben, dass das ein Mensch mit Migrationshintergrund war, stand da zum Beispiel „Ali K.“. „Der Türkischstämmige“. Wenn ein Österreicher das war, wurde das nie erwähnt. Mit dieser unterschwelligen Hetze wird schon seit Jahren gespielt. Ich frage mich auch, wie es erlaubt sein kann, wenn in Videos der FPÖ, wo über den Islam gesprochen wird, immer Frauen mit Kopftüchern oder böse dreinschauende Männer mit Lederjacken gezeigt werden. Warum ist es erlaubt, diese Stereotypen für Hetze zu verwenden? Wie kann es sein, dass wir in Österreich Politiker haben, die nachweislich aus rechtsextremen Bewegungen kommen, die noch nicht im Gefängnis sind? Wenn einem Prediger nachgewiesen wird, dass er aus extremen Kreisen kommt, wird er sofort verhaftet und eingesperrt. Warum wird ein Politiker nicht verhaftet, wenn er aus rechtsextremen Kreisen kommt? Das ist für mich unvorstellbar. Sie haben immer wieder öffentlich die FPÖ kritisiert. Heinz Christian Strache haben Sie einmal in Anspielung auf seine Mutter heftig beleidigt und mussten dafür eine Entschädigung zahlen. Sie bereuten das nicht – aber tut Ihnen das Frau Strache gegenüber eigentlich leid?
Natürlich. Aber auch wieder nicht, denn jeder, der weiß, wie das Wort aus der Jugendkultur verwendet wird, weiß, dass damit niemals die Mutter gemeint ist. Seine Mutter hat mir bei Gott noch nie etwas getan und ich wollte auch definitiv nicht sie damit beleidigen. Im Lichte dessen fand ich auch amüsant, dass er mich geklagt hat und er Recht bekommen hat.