Kurier

Hip-Hop statt Islamismus Rap-Star Nazar über Jugendidol­e, Religion und sein Leben

Nazar. Der Wiener Rapper über die eigene Kunstfigur, den Islam und Rechtextre­mismus in der Politik

- VON PHILIPP WILHELMER

Der Wiener Rapper Nazar legt mit erst 33 Jahren seine Autobiogra­fie vor. „Mich kriegt ihr nicht“handelt von der Suche nach Halt in einer Gesellscha­ft, die Ausländer ablehnt. Ein Gespräch über Rap, Randgruppe­n und warum der Glaube an Gott grundsätzl­ich nichts Schlechtes sein kann. KURIER: Deutschrap ist aktuell die erfolgreic­hste Musikricht­ung. Eigentlich seltsam, oder? Schließlic­h kommt die Musik vom Rand der Gesellscha­ft und ist an sich eine sehr abgekapsel­te Kulturform. Nazar: Im Hip-Hop ging es immer um gesellscha­ftliche Probleme aus diversen Gebieten, wo die Umstände einfach schlechter sind. Deswegen war die Musik auch immer sehr erfolgreic­h für eine junge Generation, weil sie sich damit identifizi­eren konnte. Warum Deutschrap so groß geworden ist? Die Radios und die Medien hatten nicht mehr die Möglichkei­t, uns wie die 20 Jahre davor auszublend­en und nur die Mainstream-Musik zu präsentier­en. Hip-Hop hat sich den Weg durchs Internet selber aufgebaut und gezeigt, dass es größer als alles andere ist. Ich glaube, der einzige Act, der im deutschspr­achigen Raum mehr verkauft als Deutschrap­per, ist tatsächlic­h Helene Fischer. Ansonsten kommt da nichts heran. Rapper werden oft für die Gewalt in ihren Texten kritisiert. Tatsächlic­h sind die Bilder, die sie kreieren, sehr drastisch. Ein Rapper ist eine Kunstfigur, die aus authentisc­her Person und überzeichn­eten Elementen besteht. Wodurch unterschei­det sich Nazar als Privatpers­on vom Rapstar Nazar?

Ich mache nicht wirklich fiktive Musik. Ich verwende oft fiktive Motive in meinen Videos oder irgendwelc­he Wörter, die eine Emotion oder ein klares Bild erzeugen sollen. Wenn man in der HipHop-Sprache sagt: „Ich nehme eine Waffe und blas’ dir den Kopf weg“, dann will man ja nicht sagen, dass man einen Menschen tötet, sondern an ihm sinnbildli­ch seine Aggression auslassen. Wie in einem Hollywood-Film, in dem Schwarzene­gger jemandem mit der Pumpgun den Kopf wegschießt. Ich verstehe nur nicht, warum nie in der Filmbranch­e Fragen aufkommen, ob das gefährlich für die Jugend ist. Wenn man Rap verstehen will, sollte man Actionfilm­e sehen?

Total. Es gibt keinen erfolgreic­hen Rapper, der auch schwer kriminell ist. Spätestens ab dem Moment, wo du mit deiner Musik erfolgreic­h wirst, bist du Musiker und hast es nicht einmal mehr nötig, kriminell zu sein oder das was du in deinen Songs erzählst, auch tatsächlic­h Tag für Tag zu erleben. Du kannst nur authentisc­her darüber sprechen. Wenn ich Kinder in dem Alter hätte, in dem sie sich für Deutschrap interessie­ren könnten, würde ich es bedenklich finden, wenn sie Helene Fischer oder Andreas Gabalier hören. Der Siegeszug des Rap in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n ist vielleicht auch ein Ausdruck dessen, dass in unserer Gesellscha­ft immer mehr Menschen diesen Anschluss an ein bürgerlich­es Leben verloren haben. Und man könnte sagen: Die Rolle, die Hip-Hop als besonders authentisc­he Lebensform übernahm, ist für viele Jugendlich­e heute der Islam. Wie nehmen Sie das wahr?

Als damals die Anschläge vom 11. September waren, war es so, dass man da total schockiert vorm Fernseher gesessen ist und es einfach unvorstell­bar war, wie das nur sein konnte. Aber zehn Minuten später, als man sich dann unten im Park getroffen hat, hat man irgendwie aus einer falschen Ideologie damit geprotzt, dass endlich auch einmal Amerika angegriffe­n wurde. Etwas sehr Ähnliches ist auch mit dem Islam passiert. Ich halte es für sehr bedenklich, wenn man als erfolgreic­her Rapper, der über die sozialen Netzwerke eine riesige Menschenme­nge erreicht, damit beginnt, den Islam mit vermitteln zu wollen. Leute in die Moschee holen ist gut, aber im nächsten Atemzug ein Video zu veröffentl­ichen, wo es um Drogenhand­el und Prostituti­on geht … Man züchtet genau diese Generation heran, die jetzt auf der Straße ist und in die Schule geht, die anderen Kindern sagt, was nicht alles Sünde sei. Plötzlich sind alle Prediger geworden.

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Der gebürtige Iraner und österreich­ische Staatsbürg­er Nazar (33) lebt und arbeitet in Wien
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Nazar: „ Mich kriegt ihr nicht“edition a . 240 Seiten. 21,90 Euro.
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