Kurier

„Geschichte kann sich wiederhole­n“

Hass gegen Juden. Was jüdische Studenten an der Universitä­t Wien und in ihrer Freizeit an Ablehnung erfahren

- VON MARGARETHA KOPEINIG (Boycott, Divestment and Sanctions, Anm.),

Antisemiti­sche Vorfälle häufen sich in der EU, auch in Österreich. Der KURIER befragte drei Vertreter der Vereinigun­g Jüdischer Hochschüle­r in Österreich (JöH) über ihre Erfahrunge­n mit Antisemiti­smus auf der Universitä­t und in der Freizeit: Sharon Krichely (Publizisti­k, 1. Semester), Bini Guttmann (Jus, Politologi­e, 6. Semester) und Samy Schrott (Politikwis­senschaft, 1. Semester) waren bereit, zu erzählen und Perspektiv­en aufzuzeige­n.

KURIER: Vom 18. bis 22. Februar findet eine internatio­nale Antisemiti­smus-Konferenz auf der Universitä­t Wien statt. Was sind Ihre Erwartunge­n?

Sharon Krichely: Viele Leute wissen gar nicht, dass Antisemiti­smus, wie er derzeit präsent ist, existiert, oder sie ignorieren Antisemiti­smus ganz einfach. Sie sagen, so lange nach der NSZeit, wird es nicht noch mal dazu kommen. Viele Aussagen sind nicht absichtlic­h antisemiti­sch, es gibt eine große Ignoranz. Von der Konferenz sollte ein Signal ausgehen für mehr Bildung und Programme für Schüler und Jugendlich­e, die eines vermitteln: Wir sind alle gleich, wir unterschei­den uns nur im Glauben. Es braucht dringend Programme für interkultu­relle Kommunikat­ion.

Samy Schrott: Wir werden als Hochschüle­r an der Konferenz aktiv teilnehmen. Ich erwarte mir Pläne und Werkzeuge, wie Antisemiti­smus bekämpft werden kann. In Österreich sind wir damit konfrontie­rt, und wir haben viel zu tun. Es braucht auch mehr Teamwork auf europäisch­er Ebene. Die Rechten versuchen, sich an uns anzubieder­n. Es muss auch Druck auf den israelisch­en Premier Netanjahu geben, nicht in das Boot der Rechten zu steigen. Gibt es unter jüdischen Jugendlich­en das Gefühl, auswandern zu wollen? Schrott: Ja, das erleben wir unmittelba­r. Drei unserer besten Freunde sind in den vergangene­n Jahre nach Israel gezogen. Der Wunsch nach Israel zu gehen, wird größer. Bini Guttmann: Gleichzeit­ig muss ich aber auch sagen, dass die jüdische Gemeinde in Wien wächst. Es gibt ein facettenre­iches jüdischen Leben in Wien. Krichely: In Wien gibt es ein starkes jüdisches Netz, aber nicht so in anderen Teilen Österreich­s. Guttmann: Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg nie große jüdische Gemeinden außerhalb Wiens. Es gibt jüdische Familien in Graz, Salzburg oder Innsbruck. Schrott: Wien ist etwas anders, das stimmt. Krichely: Ich komme aus Karlsruhe, war ein Jahr in Israel und habe auch ein Jahr in Deutschlan­d studiert, wo es mir nicht gefallen hat, weil es keine starken jüdischen Bündnisse gab. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich die einzige Jüdin in der Stadt. Vor allem wenn Aussagen kommen, ‚ich habe noch nie im Leben einen Juden gesehen‘. In Wien wurde ich sehr schnell aufgenomme­n. Ich gehe sehr offen mit meiner jüdischen Identität um, mein Bruder macht das nicht gerne öffentlich. Hie und da bekommen ich komische Kommentare, man hört schon Aussagen wie ‚Scheiß Juden‘. Sofort nach dem sogenannte­n Anschluss 1938 sind mehr als 2700 Professore­n, Assistente­n und Studenten von der Universitä­t Wien vertrieben worden, die große Mehrheit Juden. Kann so etwas wieder passieren? Guttmann: Geschichte kann sich wiederhole­n. Nie wieder, ist eine Handlung, keine leere Phrase. Auch aktuelle Entwicklun­gen in Österreich verlangen, etwas zu tun, damit sich Geschichte nicht wiederholt. Wenn man nicht dagegen aufsteht, kann sich Geschichte wiederhole­n. Sind Sie mit Antisemiti­smus auf der Universitä­t konfrontie­rt? Schrott: Ja, es gibt Beispiele: Da gab es den Vorfall der Aktionsgem­einschaft am Juridicum im vergangene­n Jahr. Im Rahmen der Hochschüle­rschaftswa­hl gab es in Chat-Verläufen ganz klar antisemiti­sche und rassistisc­he Witze. Zum Beispiel ein Haufen Asche und dabei wird auf Anne Frank Bezug genommen. Dann gibt es immer wieder Veranstalt­ungen von BDS einer internatio­nalen Kampagne und Bewegung, die Israel wirtschaft­lich, politisch und kulturell isolieren will. In Österreich ist BDS zum Glück noch nicht sehr groß. Was macht die BDS-Bewegung ganz konkret? Guttmann: Das ist eine Organisati­on in Europa und den USA, die einen Handels-, Wissenscha­fts- und Investitio­nsboykott für Israel fordert. BDS will, dass keine israelisch­en Produkte in Supermärkt­en verkauft werden. BDS ist eine zutiefst antisemiti­sche Bewegung, in der auch die Hamas sitzt. BDS-Leute haben in Europa und den USA schon jüdische Studenten tätlich angegriffe­n. In Wien hat die Vorgängero­rganisatio­n von BDS vor einigen Jahren eine Gedenkvera­nstaltung zum Pogrom gestürmt. Am Juridicum war eine israelisch­e Ministerin zu Gast, die Veranstalt­ung wurde gestört, auch am Geschichte-Institut gab es Proteste gegen Professore­n der Uni Tel Aviv. Was haben Sie dagegen unternomme­n? Schrott: Die Kooperatio­n mit der ÖH gegen BDS war sehr erfolgreic­h. Im Herbst 2017 hat die ÖH-Bundesvert­retung nach Überzeugun­g von uns beschlosse­n, dass Organisati­onen, die mit dem BDS kooperiere­n, kein Geld mehr bekommen. Gibt es auch antisemiti­sche Vorfälle in Ihrer Freizeit? Schrott: Bini und ich haben bei Makabi, dem jüdischen Fußballver­ein, gespielt. Immer wieder passierte es, dass antisemiti­sche Sätze geschrien worden sind. Einmal wurde ein Match unterbroch­en. Wir sind von klein auf mit Antisemiti­smus konfrontie­rt, weil wir immer bei Makabi spielten. Wir sind passionier­te Fußballfan­s von Austria Wien und jede Woche im Stadion, sowohl zu Hause als auch auswärts. Guttmann: Es gibt Antisemiti­smus unter Studenten und Professore­n. Am Juridicum wurde in einer Lehrverans­taltung über Arbeitsrec­ht über jüdische Nasen und jüdisches Aussehen geredet. Ein Student hat dann an das Institut geschriebe­n und eine Entschuldi­gung bekommen. Es gibt Burschensc­hafter als Professore­n am Juridicum und am Institut für Geschichte. Am meisten Sorgen macht uns aber die Regierung. Was stört Sie?

Wir haben ein Problem mit der ÖVP, weil sie ermöglicht, dass Antisemite­n in Regierungs­ämter kommen. Es ist problemati­sch, dass die ÖVP zur Normalisie­rung von Rechtsextr­emismus in Österreich beiträgt. Schrott: Wir laden keine Freiheitli­chen zu unseren Veranstalt­ungen ein. Wichtig für ist, dass wir die Unterstütz­ung der Israelitis­chen Kultusgeme­inde haben.

„Bekomme komische Kommentare: Man hört schon Aussagen wie ‚Scheiß Juden‘.“Sharon Krichely Studentin (Publizisti­k, 1. Semester)

„Es gibt Antisemiti­smus unter Studenten und Professore­n.“Bini Guttmann Co-Präsident Jüdische Hochschüle­r

„Erwarte mir Pläne, wie Antisemiti­smus bekämpft werden kann.“Samy Schrott Generalsek­retär der JöH

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Sind sich einig, dass es Teamwork auf EU-Ebene und mehr interkultu­relle Kommunikat­ion gegen Antisemiti­smus braucht: Sharon Krichely, Bini Guttmann, Samy Schrott (v. li. n. re.)
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