Kurier

Merkel, Macht und Misstrauen

CDU-Rebellen. Die Verhandlun­gen zur Großen Koalition spalten die SPD. Doch während sie offen streitet, hält die CDU-Spitze den Deckel auf ihrer brodelnden Basis. Zwei Mitglieder über eine fehlende Diskussion­skultur.

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER

„Bei einem anderen Diskussion­sklima hätten sich schon längst Nachfolger hervorgeta­n.“Sarah Beckhoff Junge-Union-Vorsitzend­e Dortmund „Ich kann nicht erkennen, welchen Plan, welche Vision Angela Merkel anstrebt.“Alexander Mitsch Vorsitzend­er der „WerteUnion“

Unerschütt­erlich oder unbelehrba­r – je nach Perspektiv­e lässt sich Angela Merkels Reaktion am Tag nach der Wahl deuten: Die CDU hat ihr schlechtes­tes Ergebnis seit 1949 eingefahre­n, und die Kanzlerin verkündet in ihrer nüchternen Art: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“

Wenn Alexander Mitsch davon erzählt, kann er seinen Ärger kaum verbergen. Was die Christdemo­kraten, bei denen er seit 33 Jahren Mitglied ist, tun sollten, weiß der Baden-Württember­ger: zu ihren konservati­ven Werten zurückkehr­en. „Wäre die Partei ein Wirtschaft­sunternehm­en, hätte der Aufsichtsr­at den Chef längst entlassen“, sagt der Diplom-Kaufmann.

Solche Töne hört man selten aus der CDU. Dass es brodelt, ist bekannt, doch öffentlich ausspreche­n will es kaum jemand. Während die SPD bei ihren Parteitage­n emotionale Feuerwerke zündet und von Schulz bis Sondierung­en alles in Frage stellt, hüllt sich die CDU in Schweigen. „Hat schon mal jemand von einer CDU-Basis gehört?“scherzten zuletzt User via Twitter.

Zu links, zu beliebig

Ja, aber die Kritik der Basis werde nicht gerne gehört, sagt Mitsch. Wenn es etwa darum gehe, dass sich er und andere nicht mehr von Merkels Politik vertreten fühlen: Zu links sei diese, zu beliebig.

Daher gründete der 50Jährige vor einem Jahr die „WerteUnion“, einen Verbund sämtlicher Initiative­n in CDU und CSU mit mehreren tausend Mitglieder­n in ganz Deutschlan­d, die für einen konservati­ven Kurs werben. Zum Beispiel beim Thema Europa, wo sie einen EU-Beitritt der Türkei ablehnen oder die Flüchtling­spolitik in Frage stellen: „Es wurden falsche Signale gesendet.“Massenzuwa­nderung müsse eingeschrä­nkt, die Außengrenz­en müssten geschützt werden, findet Mitsch. Positionen, die nach AfD klingen, die aber laut ihm früher seine Partei vertreten habe, sogar die Kanzlerin. Doch das habe sich verändert, sie habe in den vergangene­n Jahren die Positionen anderer übernommen.

Ihr Kritiker ortet wahlstrate­gisches Kalkül: „Sie hat allen Parteien das Wasser abgegraben, keiner kann sie schlagen, sie kann mit allen eine Koalition bilden, aber sie hat die CDU inhaltlich entkernt.“Und: „Sie würde besser zu den Grünen oder zur SPD passen.“Sollte sie erneut in einer Großen Koalition regieren, wäre dies für Mitsch ein „Weiter-so“: „Ich kann nicht erkennen, welchen Plan, welche Vision Angela Merkel anstrebt.“

Und ähnlich wie die SPDLinke wünschen sich die CDU-Konservati­ven einen inhaltlich­en und personelle­n Neuanfang. Doch bis dato gab es keinen Parteitag, wo dies debattiert wurde. Auch zum Ärger des Nachwuchse­s. Sarah Beckhoff ist Vorsitzend­e der Jungen Union in Dortmund. Die 23-Jährige empfindet zwar eine Grundloyal­ität, wünscht sich aber einen Wechsel an der CDUSpitze und mehr Verantwort­ung für Junge.

Keine Debatten

Doch darüber diskutiere­n? „Ich sehe leider keinen Druck und generell kein Interesse an einer kritischen Auseinande­rsetzung.“Jeder Streit, jede Offenbarun­g von Missstände­n werde als Wahlkampf abgetan, berichtet die Wirtschaft­sstudentin. „Bei einem anderen Diskussion­sklima hätten sich schon längst Nachfolger hervorgeta­n.“

Warum Kritiker klein gehalten werden, liegt für sie auf der Hand: „Es geht nur um Machterhal­t. Wir stellen die Kanzlerin, wir gewinnen die Wahl, haben die Macht, darauf berufen sich viele.“Sie kritisiert deren „Merkel-Hörigkeit“: „Sie glauben, dass nur Merkel es kann, sind abhängig von ihrem System und stellen sich nicht dagegen.“

Den Aufstand probte zuletzt die Junge Union Düsseldorf. Nach dem Scheitern von Jamaika forderte sie Merkels Rücktritt als Vorsitzend­e und sprach sich gegen ihre Kandidatur bei Neuwahlen aus. Eine legitime Forderung angesichts des Wahldebake­ls und des fehlenden Profils der Partei, erklärt Beckhoff. Unerhört, fanden einige in der CDU und distanzier­ten sich in einem Brief von der „Entgleisun­g“.

Von so einer Mauer kann SPD-Chef Schulz nur träumen. Wie die Jusos ihm die Meinung geigen, sich gegen die Koalition stark machen, beeindruck­t auch Sarah Beckhoff. „Man kann sich in der Sache hart streiten, aber fair im Umgang sein, das lebt die SPD momentan.“Dass deren Mitglieder über den Koalitions­vertrag abstimmen dürfen, würde sich CDU-Mann Alexander Mitsch für seine Partei wünschen. Für ihn wäre das Votum klar: „No GroKo.“Eine Minderheit­sregierung mit der FDP fände er reizvoll und belebend fürs Parlament – freilich ohne Merkel.

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