Ein Bett für eine Nacht – wieso Belgier gestrandete Flüchtlinge beherbergen
Bürgerplattform. Justine steigt unablässig von einem Fuß auf den anderen. Es ist ungewöhnlich kalt in diesen ersten Februartagen in Brüssel, nachts fällt die Temperatur unter null Grad. „Ich mag nicht einmal daran denken, wie es wäre, hier im Freien zu schlafen“, sagt die junge Belgierin. Und doch bliebe es Hunderten Flüchtlingen in der Hauptstadt Belgiens nicht erspart, würden sich nicht Nacht für Nacht Menschen in Brüssel und Umgebung finden, die die Gestrandeten bei sich daheim aufnehmen. Für eine Nacht. Oder zwei. Manchmal auch wochenlang.
Die private Bürgerplattform BLXRefugees, gegründet von Studenten wie Adriana und dem ehemaligen Manager Mehdi Kassou, bringt sie jede Nacht zusammen: Die gestrandeten Flüchtlinge, die alle nach Großbritannien weiter wollten, aber in Belgien hängen blieben. Und jene Bürger, die nicht tatenlos zusehen wollten, wie der Staat die Verantwortung zurückweist. Treffpunkt: jede Nacht im Park Maximilien nahe Brüssels düsterem Nordbahnhof.
Keine Spur von Hanna
Mit dicker Jacke und Pudelmütze stapft Adriana durch die wartende Menge, begrüßt jeden einzelnen Belgier und Flüchtling mit einem warmen Lächeln. „Hast du Hanna gesehen?“, wird die Studentin von Severine gefragt. Die mehrfache Mutter kommt „mindestens zwei Mal die Woche hierher“, um Flüchtlinge mit nach Hause zu nehmen. Heute sucht Severine eine Frau aus Eritrea, die schon bei ihr übernachtet hat. Doch keine Spur von ihr. „Vielleich hat sie es mittlerweile nach London geschafft“, mutmaßt Severine.
In mühevoller Organisationsarbeit suchen die ausschließlich freiwilligen Helfer bei BLXRefugees über ihre Facebook-Seite die Informationen zusammen: Welcher Flüchtling passt zu welchem Gastgeber? Wer fährt die Flüchtlinge zu Familien, die ihre Gäste nicht persönlich abholen kommen können?
Justine und ihre Freundin Brigitte sind heute, wie sie sagen, „nur zum Chauffieren gekommen“. Beherbergt haben die beiden allein stehenden Frauen schon mehrmals Flüchtlinge. „Nie hat es Probleme gegeben“, schildert Justine, „aber ich gebe zu, die erste Nacht habe ich schlecht geschlafen“. Zwei junge Äthiopier waren mehrere Nächte bei ihr geblieben. „Sie waren so erschöpft, haben die ersten 24 Stunden praktisch durchgeschlafen.“
Einmal wieder ein Bett haben, sich waschen dürfen, etwas Warmes essen und Menschen, die einen freundlich umsorgen – ein Luxus, den die meisten Flüchtlinge im Park Maximilien seit ihrer lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer nicht mehr erlebt haben.
Belgiens Regierung sind die Vorkommnisse im Park ein Dorn im Auge. Doch als vor zwei Wochen die Polizei ausrückte, um die allnächtliche Flüchtlingsaufnahme zu verhindern, stellten sich ihr Tausende Belgier entgegen. Nun bereitet man ein – höchst umstrittenes – Gesetz vor: Die Polizei soll unangemeldet Privatwohnungen durchsuchen dürfen, in denen sie illegale Migranten vermutet.