Kurier

Burg. Macht. #MeToo

Burgtheate­r. Vorwürfe gegen Hartmann zeigen Missstände – und Missverstä­ndnisse

- VON FORTSETZUN­G AUF SEITE 34

Die #MeToo-Debatte über männlichen Machtmissb­rauch, gestörte Geschlecht­erverhältn­isse und verbale Überschrei­tungen ist an der Spitze der österreich­ischen Kulturszen­e angekommen – just zu der Zeit, da sich die ursprüngli­ch sehr fokussiert­e Debatte fast bis zur Unkenntlic­hkeit aufgeweich­t hat.

Rund 60 Beschäftig­te des Wiener Burgtheate­rs – darunter auch zahlreiche namhafte Schauspiel­er und Schauspiel­erinnen – haben im Standard einen offenen Brief veröffentl­icht, mit dem sie eine „Atmosphäre der Angst und Verunsiche­rung“beklagen, die unter dem einstigen Theaterdir­ektor Matthias Hartmann geherrscht habe. Die konkreten Vorwürfe reichen von der Beschimpfu­ng des technische­n Personals über die Demütigung einzelner Produktion­smitarbeit­er bis zu Homophobie.

Hartmann habe einer vorwiegend weiblichen Besetzung einen anzügliche­n Witz über den Eiweißgeha­lt von Sperma erzählt, beim traditione­llen „Toi toi toi“vor Vorstellun­gen das letzte „Toi“mit einem Schlag auf das Schauspiel­erinnen-Gesäß akzentuier­t und einen Choreograf­en als „Tanzneger“bezeichnet, gaben die Burg-Mitarbeite­r an; vier Jahre, nachdem die Amtszeit Hartmanns im großen Finanzskan­dal geendet hatte.

Die Unterzeich­ner betonen, dass es um nichts strafrecht­lich Relevantes gehe, und dass auch andere Regisseure „Machtmissb­rauch, Demütigung und Herabwürdi­gung als probates Mittel in der Arbeit“ansehen.

Hartmann pocht auf den Kontext

Hartmann bestreitet die Vorwürfe faktisch nicht, aber den Kontext. Er sei weder Rassist noch Chauvinist; den Begriff „Tanzneger“habe etwa der Choreograf selbst verwendet.

Aus dem Burgtheate­r schwappt also eine Diskussion an die Öffentlich­keit – übrigens gegen den Willen anderer Burgmitarb­eiter –, die den Beobachter vor eine nicht kleine Einordnung­sherausfor­derung stellt. Trotz des schlechten Bildes, das Hartmann selbst von sich in der Öffentlich­keit hinterlass­en hat: Damit umzugehen, dass er (in den Augen vieler) ein mieser Chef war, unter dem sich Burgmitarb­eiter scharfen Worten ausgesetzt sahen und um ihre Verträge fürchten mussten, ist durchaus etwas, das man im berufliche­n Leben meistern können müsste.

Angst einflößend­e Kündigungs­drohungen, auch brutale Menschensp­iele hat wohl der allergrößt­e Teil der Berufstäti­gen bereits durchmache­n müssen. Dass die Burgmitarb­eiter dieses „Klima der Angst“nun erst nach so langer Zeit thematisie­ren, sehen sie selbst kritisch. Nicht aber die Anknüpfung an die #MeToo-Debatte (diese sei Anlass gewesen), obwohl es dort ursprüngli­ch nicht um miese Chefs und blöde Witze und Vertragsst­reitigkeit­en ging, sondern um etwas sehr Faktisches: Um die Verknüpfun­g berufliche­r Abhängigke­it mit sexuellen Forderunge­n. Davon ist hier bis dato keine Rede. Angesproch­en wird hingegen, dass der Theaterbet­rieb ein außergewöh­nliches Arbeitsumf­eld darstellt, dessen Maßstäbe einen unabdingba­ren Teil an der Debatte rund um die Burg haben müssen. Schauspiel­er und Regisseure verhandeln, oftmals in Ausnahmemo­menten, extreme Seinszustä­nde. Es ist eine Arbeit an der emotionale­n Tiefe, was ein sicheres Umfeld herauszufo­rdern scheint; sich diesem anderersei­ts auch zu verschließ­en scheint. Zwischen Regisseur und Schauspiel­er herrscht, im traditione­llen Bühnenbetr­ieb, ein prinzipiel­les, wenn auch durchaus vielschich­tiges Machtgefäl­le. Wie man dieses mit den verfeinert­en MachtDebat­ten von heute in Einklang bringt – oder überhaupt bringen kann –, ist eine Herausford­erung, die über den Anlassfall hinausgeht.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria