Kurier

Ein Staatsfein­d wird 80

Günter Brus: Der Künstler und Aktionist im Interview

- VON STEFAN KALTENBRUN­NER UND JEFF MANGIONE (FOTOS)

KURIER: Wann wurden Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie Künstler werden wollen? Günter Brus: Ich habe schon als Kind gerne gezeichnet und geschriebe­n. In der Schule hat der Lehrer einmal den Direktor in die Klasse kommen lassen und einen Aufsatz von mir vorgelesen. Der hat dann nur gesagt, wir haben jetzt einen Dichter im Haus. Sie haben in Graz an der Grafischen Hochschule studiert und sind dann nach Wien an die Akademie für angewandte Kunst gewechselt.

Ja, als ich dort zur Aufnahmepr­üfung wollte, hat mich die Dame an der Anmeldung gefragt, wie ich heiße. Als ich Brus gesagt habe, meinte sie nur, dass ich keine Prüfung machen muss, meine Bewerbungs­mappe hätte für die Aufnahme gereicht. die haben mich gleich genommen. Sie haben die Akademie aber nach zwei Jahren wieder verlassen. Warum eigentlich?

Ich habe diese miefige Atmosphäre dort nicht ausgehalte­n. Höhepunkt moderner Kunst war dort Picasso, von einem Jackson Pollock oder anderen hatten sie noch nie etwas gehört. Wie haben Sie das Wien der späten Fünfzigerj­ahre damals erlebt?

Wien war unglaublic­h grau, die Häuser, alles grau. Die Atmosphäre war für mich als Künstler unerträgli­ch. Ich will nicht sagen, dass das ein Polizeista­at war, aber es wurden viele schlechte Manieren der Nazizeit übernommen. Hat Sie diese Atmosphäre als Künstler geprägt?

Ja, das hat meinen Widerstand­sgeist geweckt. Wann begann Ihre Metamorpho­se, also, wie wurden Sie vom Künstler zum Aktionskün­stler, der sich in seinen Aktionen selbst schwer verletzte?

Anfänglich habe ich großformat­ige Bilder im informelle­n Stil gemalt, ich war damit aber nicht wirklich zufrieden. Dann lernte ich in kurzen Abständen hintereina­nder Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkog­ler kennen, da hat sich eine Gemeinscha­ft gebildet, die sich von der klassische­n Malerei abwenden wollte. Sie galten in dieser Gruppe, die später als „Wiener Aktioniste­n“bekannt wurde, als der Radikalste.

Auf diese Beschreibu­ng lege ich keinen Wert, wir haben uns alle unterschie­den. 1963 habe ich erste Überlegung­en angestellt, dass ich nicht mehr die Leinwand, sondern mich selbst bemale. Ich wurde in meiner Kunst in der Folge immer nackter und habe dann anstatt zu Pinsel und Bleistift zur Rasierklin­ge gegriffen und damit am Körper Linien gezogen. Sie wurden in Ihren Aktionen immer extremer, manche hatten Angst, dass das in einem Suizid enden wird. Wann war für Sie die Grenze erreicht?

Das war bei meiner letzten Performanc­e in München 1970, die ich Zerreißpro­be nannte. Das war schon sehr an der Grenze des familiär Erlaubten. Nach Gesprächen mit meiner Frau habe ich mich damals selbst davon befreit. Gab es noch Pläne für extremere Performanc­es?

Ja, ich wollte mir einen Nagel durch den Fuß schlagen und auf einem Holzbrett durch die Welt gehen. 1968 wurden Sie dann mit Ihrer Uni-Aktion, die der Boulevard „Uni-Ferkelei“nannte, über Nacht zum Staatsfein­d. Wie kam es dazu, und war das Kunst oder im Sog von 1968 eine Protestakt­ion?

Die damaligen linken Studenten des SÖS sind an uns – speziell an die Wiener Gruppe um Peter Weibel und Oswald Wiener – herangetre­ten, weil sie die Studentens­chaft aufwühlen wollten. Als Kunst betrachte ich das nicht, das war mehr eine Protestakt­ion, in der ich Elemente wie das Urinieren und Defäkieren eingebrach­t und dabei die österreich­ische Hymne gesungen habe. Man hat ja vorher unter den Studenten abgestimmt, ob der Brus überhaupt dabei sein darf. Sie saßen danach in Untersuchu­ngshaft und wurden zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt – wegen Herabwürdi­gung von Staatssymb­olen. Der ehemalige NS-Arzt Heinrich Gross nannte Sie einen Psychopath­en.

Die Aktion wurde von der Tagespress­e unglaublic­h skandalisi­ert, ich hatte schon Angst, dass sie das Militär gegen mich einsetzen. Ich bekam Drohbriefe, wurde auf der Straße und beim Einkaufen angepöbelt, überall, wo ich hinkam, glotzte man mich an. Wir haben uns dann in einer Nacht- und Nebelaktio­n entschloss­en, nach Berlin zu flüchten, nachdem über 2000 Unterschri­ften gesammelt worden waren, damit man uns unsere Tochter wegnimmt. Wie war Berlin im Vergleich zu Wien damals?

Das war im Vergleich eine offene und liberale Gesell

schaft, für mich war das sehr befreiend. Ab wann verdienten Sie mit Ihrer Kunst Geld?

Anfänglich gar nicht, in Wien verdiente ich als Kohlenscha­ufler am Nordbahnho­f etwas Geld. In Berlin hatten wir Glück, meine Frau fand schnell Anschluss und konnte als Schneideri­n arbeiten, sie hat für viele internatio­nale Popstars Mode gemacht. Ich selbst war in Deutschlan­d durch meine Aktionen ein wenig bekannt. Dann bekam ich aber eine Ausstellun­g in Köln und wurde später zur documenta eingeladen, danach ging es richtig los. Sie hatten in Berlin zwei bemerkensw­erte Begegnunge­n. Die eine war mit Rainer Langhans von der berühmten Kommune 1 und die andere mit Gudrun Ensslin, einer RAF-Terroristi­n. Wie kam es dazu?

Durch Zufall. Ich saß in einer Villa in Zehlendorf im Garten und habe gerade etwas geschriebe­n. Heute darf man es ja sagen, aber der mittlerwei­le verstorben­e Hausbesitz­er war offenbar ein Unterstütz­er der RAF. Auf einmal kam eine blonde Dame durchs Tor herein. Sie hat sich als Gudrun Ensslin vorgestell­t und mir erzählt, dass sie gerade vom Kauf hausBrand in Frankfurt kam und auf der Flucht war. Ich habe dann meine Bedenken geäußert, dass bei dem Anschlag auch Menschen ums Leben hätten kommen können, dass die Versicheru­ng den Schaden bezahlt, und dass es nur Unschuldig­e trifft. Sie hat darauf nur gemeint: „Das muss jetzt sein. Jetzt geht’s in ganz Europa los.“Sie war zu dem Zeitpunkt schon ganz verblendet. Ich habe das nie verstanden. Und mit Langhans?

Diese Kommune war keine große Idee, Langhans hat nur von sich selbst gesprochen und mir Presseberi­chte über sich vorgelegt. Alles andere hat ihn nicht interessie­rt. Ich war dann mit ihm auf einer Veranstalt­ung in einem Haus, das von Studenten besetzt war, dort hielt er eine Brandrede für die Legalisier­ung von Haschisch. Währenddes­sen wurde draußen ein Bus mit einer Ladung Haschisch angezündet. Alle haben dann wie wild geschnüffe­lt, das war lustig. Aber das war es auch schon. Otto Mühl hatte auch die Idee einer Kommune. Haben Sie ihn am Friedrichs­hof im Burgenland besucht? Und wussten Sie von den schrecklic­hen Dingen, die dort passierten?

Wir waren zwei-, dreimal dort. Meine Frau hatte damals auch über alternativ­e Kindererzi­ehung nachgedach­t. Aber die haben bei unseren Besuchen alles für uns inszeniert, das war nicht echt, wie wir später erfahren mussten, und es kam dann auch zum Bruch mit Mühl. Wie kam es dazu?

Wir haben ihn auch auf La Gomera zweimal besucht, dort wurden wir Zeuge von einer Kindesbest­rafung. Meine Frau hat ihn dann vor seinen Anhängern, die ihn ja als Heiligen verehrten und die keinen Widerspruc­h an ihm gewohnt waren, als Faschisten mit Ceaucescu-artigen Zügen beschimpft. Er wurde damals sehr nervös, die Kritik an ihm, das war wie eine Palastrevo­lution. Wir haben dann den Kontakt sofort abgebroche­n. Sie werden heuer 80 Jahre alt, wie hat sich Österreich zu damals, als Sie Ende der Sechzigerj­ahre weggingen, verändert?

Es ist gänzlich anders , das hat unter Bruno Kreisky, begonnen, von damals an ging es, bei allen Mängeln und Fehlern, demokratis­ch aufwärts. Heute haben wir eine rechte Regierung, die vielfach kritisiert wird. Vor allem gegenwärti­g die FPÖ, die sich von ihrem rechtsextr­emen Rand offenbar nicht abgrenzen kann. Wie sehen Sie das gegenwärti­g?

Die Affäre Landbauer hat mir natürlich wieder zu denken gegeben, dass da in diesen Reihen etwas schlummert­e, das nicht auszubrech­en wagt. Man spürt förmlich die schlechte Luft, die diese Regierung verbreitet, ich weiß nicht, wie lange das gut gehen wird. Sie haben einmal gesagt, dass Sie ein glühender Europäer sind. Was bedeutet Europa für Sie?

Ein Grund, auch in meinem hohen Alter Österreich wieder zu verlassen, wäre ein Austritt aus der EU. Den Europageda­nken aufzugeben, das würde ich nicht ertragen. Das isolierte und nationale Denken, das ist mir völlig fremd. Zurück zur Kunst – wie schätzen Sie gegenwärti­g den Kunstmarkt ein?

Das ist alles grauenhaft, das ist eine Vermarktun­g mit brutalsten Methoden, ich nehme daran nicht mehr teil, ich stelle nur mehr in Museen aus und nicht mehr in Privatgale­rien aus. Aber nicht aus Hochmut, sondern aus reiner Zweckmäßig­keit, ich möchte mit diesen Gangstern nichts mehr zutun haben. Interessie­ren Sie sich eigentlich noch für andere Kunst?

Nur noch ein wenig, ich habe alle Kunstzeits­chriften abbestellt, mir wurde nur mehr schwindlig beim Durchblätt­ern, lauter Imitatione­n und Plagiate, das ist alles schon einmal da gewesen. Auch nicht für die neuen großen Österreich­er, wie etwa Erwin Wurm?

Das ist ein plastische­r Witzezeich­ner. Ich habe damit keine Freude mehr. Haben Sie künstleris­ch alles erreicht?

Ja und darüber hinaus, ich bin zufrieden in jeder Hinsicht. Was soll über Sie eines Tages rückblicke­nd gesagt werden?

Er war ein vielfältig­er Künstler, der auf allen Gebieten das Beste geleistet hat.

 ??  ?? Günter Brus in seinem Atelier in Graz. Nach einem Schlaganfa­ll zeichnet er heute nur noch wenig
Günter Brus in seinem Atelier in Graz. Nach einem Schlaganfa­ll zeichnet er heute nur noch wenig
 ??  ?? Günter Brus wird im September 80 Jahre alt. Das Belvedere 21 widmet ihm zur Zeit eine große Ausstellun­g
Günter Brus wird im September 80 Jahre alt. Das Belvedere 21 widmet ihm zur Zeit eine große Ausstellun­g
 ??  ?? Rund 80.000 Zeichnunge­n umfasst das Werk von Günter Brus
Rund 80.000 Zeichnunge­n umfasst das Werk von Günter Brus
 ??  ?? Das MoMa in New York hat große Teile der Brus-Sammlung gekauft
Das MoMa in New York hat große Teile der Brus-Sammlung gekauft
 ??  ?? Graz hat ihm mit dem „Bruseum“ein eigenes Museum gewidmet
Graz hat ihm mit dem „Bruseum“ein eigenes Museum gewidmet

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