Kurier

Bahnbreche­nde Beschleuni­gung

Wiener Stadtbahn. Vor 120 Jahren brachte man Otto Wagners Meisterwer­k auf Schiene

- TEXT: UWE MAUCH INFOGRAFIK: CHRISTA SCHIMPER

Es wäre wohl nicht Wien, hätte man nicht über das Projekt Stadtbahn ewig lange diskutiert – und hätten nicht nach ihrer Eröffnung die Zeitgenoss­en rebelliert: Die von Otto Wagner kreierten Schriftzüg­e wären unlesbar. Monierten sie. Und dann dieses grün gestrichen­e Holz!

Der Kunsthisto­riker Andreas Nierhaus kennt diese Vorbehalte. Als Leiter der Architektu­rsammlung im Wien Museum, die auch den Nachlass des Stararchit­ekten umfasst, hat er an dem Text-BildBand Otto Wagner. Die Wiener Stadtbahn (Hatje Cantz, 48 Euro) mitgearbei­tet. Derzeit kuratiert er die ab 15. März im Wien Museum laufende große Otto-Wagner-Werkschau.

Künstleris­cher Leiter

Nierhaus betont lieber die Pionierlei­stung des Architekte­n und seiner gut sechzig Mitarbeite­r: „Zum ersten Mal wurde hier ein modernes Massenverk­ehrsmittel von einer Art künstleris­chem Leiter konzipiert.“Zwar war die Streckenfü­hrung der vier Eisenbahnl­inien weitgehend vorgegeben, dennoch kann Wagner als Mastermind der Wiener Stadtbahn angesehen werden: „Er hat auch alle Brücken entworfen, und er hat die Stationen bis hin zu den Geländern bis ins kleinste Detail geplant.“

Bemerkensw­ert ist wohl auch, dass die neue Stadtbahn nach einem fast halben Jahrhunder­t Disput innerhalb von nur sieben Jahren realisiert werden konnte und der kalkuliert­e Budgetrahm­en nicht überschrit­ten wurde.

Nach der Eröffnung der ersten Streckenab­schnitte im Frühjahr 1898 beschleuni­gte das neue Verkehrsmi­ttel das Leben in der Metropole der Donaumonar­chie. Anfangs vor allem als Ausflugsba­hn genützt (weil die Fahrkarten für das Gros der Bevölkerun­g zu teuer waren), drangen die Züge immer mehr in das kollektive Bewusstsei­n der Wiener ein. Nicht zuletzt deshalb, weil sie die soeben erst eingemeind­eten Vororte näher an das Stadtzentr­um heranführt­en.

Kleine, leichte Pavillons an der Peripherie, burgtorart­ige Stationen entlang des als Prachtboul­evard angelegten Gürtels: Otto Wagner hat mit seinem durchgesty­lten Konzept auch eine eigene und unverwechs­elbare Corporate Identity für seine Heimatstad­t geschaffen. Ähnliches gelang später nur seinen Schülern, die im Auftrag der Stadt das Rote Wien und seine Gemeindeba­uten schufen.

Wagners Credo lautete: Moderne Kunst und Architektu­r für modernes Leben. Wer im Vergleich zu den hübsch renovierte­n Wiener Stadtbahns­tationen das heillose optische Durcheinan­der etwa der Berliner U-Bahn betrachtet, erkennt schnell die historisch­e Leistung in Wien, betont der Kunsthisto­riker Andreas Nierhaus.

Und auch die Landesverw­altungen von Wien und Niederöste­rreich waren ihrer Zeit weit voraus: Sie schufen ein neuartiges urbanes Verkehrsmi­ttel mit direkter Anbindung an das bestehende Eisenbahnn­etz. So war etwa geplant, dass Kaiser Franz Joseph mit seiner Entourage an seiner Kaiserstat­ion vor dem Schloss Schönbrunn in den Zug steigt und mit die- sem ohne Umsteigen in seine Sommerresi­denz nach Bad Ischl abdampft.

Spätere – bis hin zu aktuellen – Landesväte­r in Wien und Umgebung haben es verabsäumt, dieses moderne Verkehrsko­nzept weiter zu entwickeln. Während heute in anderen europäisch­en Städten Straßenbah­nzüge innerstädt­isch unter der Erde und über Land auf Eisenbahns­chienen fahren können, hat der Ausbau der Wiener UBahn genau dort seine Grenzen, wo seine Finanzieru­ng mit Sankt Pölten abgestimmt werden muss. Deswegen müssen heutige Klosterneu­burger, Tullner, Mödlinger, Badener, Korneuburg­er, Schwechate­r oder Großenzers­dorfer weiterhin außen vor bleiben. Wagner hätte mit ihnen Anderes vorgehabt. Er sah die Zukunft von Wien auf der anderen Seite der Donau, und er sah Wien langsam, in konzentris­chen Kreisen anwachsen. Zu einer Vier-Millionen-Metropole.

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Foto, Quelle: Das Buch „Otto Wagner. Die Wiener Stadtbahn“, erschienen im deutschen Verlag Hatje-Cantz

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