Ein sympathischer Macbeth als Spielzeug des Zufalls
Kritik. Das TAG hält mit der neuesten Shakespeare-Arbeit von Gernot Plass sein hohes Niveau.
Man konnte vor der Premiere die Spannung spüren: Eine neue Shakespeare-Inszenierung von Gernot Plass gilt mittlerweile als echtes Ereignis. Das ist ein Status, den sich das kleine Theater, Plass und das hervorragende Ensemble über die vergangenen Jahre ehrlich verdient haben. Plass’ Konzept der Klassiker-Überschreibungen (=zeitgemäßen Neufassungen) hat, meist mit Gottfried Neuner und/oder Julian Loidl in den Hauptrollen, großartige Theaterabende hervorgebracht: „Richard II.“, „Richard III.“, „Faust“, „Die Räuber“, „Hamlet“, „Heinrich IV.“....
Jetzt geht es also um „Macbeth“(hier ergänzt um den Untertitel „Reine Charaktersache“), ein Stück, das besonders gut zu Plass’ verdichteter Erzählweise passt. Loidl spielt die Hauptrolle.
Die Handlung ist, typisch für Shakespeare, rätselhaft. Wir lernen Macbeth, wie er vor Einsetzen der Geschichte war, kaum kennen. Aber wir bekommen keine Hinweise darauf, dass in ihm ein Schurke steckt, der herauswill. Macbeth ist zu Beginn im Status eines Popstars: Er hat eine große Schlacht gewonnen, der König schenkt ihm einen hohen Titel, alle verehren ihn. Und dennoch reicht eine dubiose Prophezeiung dreier dubioser Hexen sowie die Sticheleien seiner ehrgeizigen Ehefrau, die seine Männlichkeit in Zweifel zieht, um ihn zum Königsmörder werden zu lassen.
Plass setzt diesmal weniger als früher auf die Musikalität von Sprache – die Inszenierung ist kein Sprechkonzert, sondern bietet die im Theater übliche Folge aus Rede und Gegenrede. Die zwei Stunden und zehn Minuten dauernde Aufführung ist dicht und rhythmisch gebaut und extrem genau. So scheitert Macbeth am Ende daran, sein Kampfgewand richtig anzulegen – wie von Shakespeare angedeutet.
Julian Loidl ist optisch der perfekte Macbeth, gleichzeitig ist er aber fast zu sympathisch. Am Ende möchte man ihn tröstend in den Arm nehmen. Ein Macbeth, den man gern hat – ist das überhaupt erlaubt? Andererseits: Vielleicht ist genau das ja das Spannende an dieser Inszenierung, die „Schicksal“als puren Zufall deutet.
Elisa Seydel ist eine herrliche, böse, mutige Lady Macbeth (ihr wünscht man ein wenig mehr Text). Jens Claßen, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel und Georg Schubert springen virtuos durch dutzende Rollen. Wieder einmal sei festgehalten: Die Qualität des Ensembles im TAG ist atemberaubend.
Großer Premierenapplaus für eine Inszenierung, der man höchstens vorwerfen könnte, dass sie schon fast zu perfekt, zu glatt dahin schnurrt, um der Abgründigkeit des Textes ganz gerecht zu werden. Nicht nur Poeten sondern auch Tonschöpfer regte der „Fauststoff “immer wieder zu Kreativität an. So auch Hector Berlioz, der seine Vertonung „La Damnation de Faust“nennt und dessen selbst verfasstes Libretto von Goethes Werk inspiriert ist. Zugegeben, es bereitet immer wieder Schwierigkeiten, sein kolossales Klanggemälde in Szene zu setzen. Und so ist es vom Linzer Landestheater durchaus mutig, „Fausts Verdammnis“szenisch aufzuführen.
Der Beginn dieser Inszenierung von David Marton ist durchaus verheißungsvoll: Wenn Faust zu einer abgebrochenen Brücke kommt und sich symbolhaft dort quasi am Ende seines (Lebens)Weges Naturbetrachtungen hingibt. Auch die Multiplikation der Figuren, bei denen der gesamte Chor mit den Solisten mitsingt – quasi die Vereinnahmung der Individualität durch die Masse – etwa beim erstmaligen Auftritt von Mephisto, macht Effekt.
Eigenwillig
Beim Liebesduett zwischen Faust und Margarete hingegen erscheint diese Vervielfältigung mit unzähligen Liebespaaren jedoch entbehrlich. Wie überhaupt der präzise und stimmgewaltig singende Chor, inklusive Kinderchor stark aufgewertet wird, allerdings in eigenwilligen Arrangements. Aber bald verliert die Inszenierung in dem öden Einheitsraum (Christian Friedländer), an Spannung. Dazu tragen auch die vielen, langen, gesprochenen Originalzitate des Chores aus Goethes „Faust“ebenso bei wie das unvermeidliche Videogeflimmer bei. Der finale „Ritt“in die Hölle findet in einem uralten Auto statt. Bei diesem dramaturgischen Höhepunkt passiert fast nichts, außer dass man am Video erlebt, wie Faust auf den Seziertisch gelegt und dann wiederum gleich gewandet wie Mephisto erscheint, der wiederum mit einem Koffer das Opernhaus verlässt und mit der Straßenbahn zum Linzer Hauptplatz fährt.
Beeindruckend
Beeindruckend ist die Sängerschar: Den Titelhelden singt Charles Workman mit schlankem, ideal für das französische Repertoire geeigneten Tenor, schwärmerisch mit allen Spitzentönen. Als Méphistophélès punktet mit kraftvoll-dämonischer Interpretation Michael Wagner. Jessica Eccleston ist eine Marguerite, deren Mezzo Innigkeit verströmt.
Im Bruckner Orchester Linz unter Markus Poschner erspürt man nach anfänglicher Zurückhaltung viele Emotionen, so auch das diabolische Gruseln und die farbigen Klänge der zukunftsweisenden Musik. Mannigfaltig dynamische Abstufungen sind ebenso zu erleben wie ein insgesamt sehr organischer Musikfluss.