Kurier

Feuerwehr fordert Strafe für Gaffer

Innenminis­terium prüft

- VON ELISABETH HOLZER UND GILBERT WEISBIER

Nachdem bei einem schweren Unfall in Graz Dutzende Schaulusti­ge um das Wrack standen und knipsten oder filmten, platzt dem Einsatzlei­ter der Feuerwehr der Kragen: Er fordert gesetzlich­e Handhabe gegen die sogenannte­n „Handy-Gaffer“, am besten Geldstrafe­n. „Das würde sich herumsprec­hen“, hofft Brandrat Dieter Pilat und setzt auf Abschrecku­ng. Noch gibt es diese Möglichkei­t für die Exekutive in Österreich nicht, die Polizei kann Beobachter bloß bei Behinderun­g der Einsatzkrä­fte oder Selbstgefä­hrdung wegweisen. Das Innenminis­terium nimmt die zunehmende­n Beschwerde­n der Helfer aber ernst und prüft. Denn der Grazer Zwischenfa­ll ist längst kein Einzelfall mehr.

Dem Grazer Feuerwehrm­ann Dieter Pilat reicht es. „Dieser Voyeurismu­s ist schockiere­nd und pietätlos“, sagt der Oberbrandr­at und meint damit einen Vorfall am Wochenende, den er als Einsatzlei­ter begleitete: Mehrere Dutzend Menschen seien mit gezückten Smartphone­s nahe einer Unfallstel­le in Graz gestanden, hätten das Wrack gefilmt und geknipst − während Helfer versuch- ten, drei Menschen zu retten.

Pilat fordert deshalb gesetzlich­e Handhabe gegen die gemeinhin als „Smartphone­Gaffer“bezeichnet­en Schaulusti­gen: „Wenn eine Geldstrafe verhängt werden würde, spricht sich das herum.“

Der Ärger von Einsatzkrä­ften über diese Art von Beobachter­n wächst zusehends. Zumal es nicht nur beim Zuschauen bleibt. Denn erstellte Videos und Fotos werden in sozialen Medien verbreitet. Feuerwehre­n in Niederöste­rreich etwa reagierten mit mobilen Sichtschut­zwänden auf die Smartphone-Voyeure; die Berufsrett­ung Wien bittet unter #habAnstand­haltAbstan­d um Respekt.

Pilat ist der erste Feuerwehrv­ertreter, der jedoch einen Schritt weiter geht: „Natürlich kann die Polizei Leute wegweisen, wenn sie uns bei der Arbeit behindern oder sich selbst in den Gefahrenbe­reich begeben“, schildert der Grazer. „Aber derjenige geht dann einfach zehn Meter weg, holt sein Handy heraus und filmt.“Ähnlich dem „Gaffer-Paragrafen“in Deutschlan­d wünscht sich der Grazer eine Möglichkei­t für die Exekutive, Geldstrafe­n zu verhängen. 20 bis 1000 Euro kostet Gaffen, eingestuft wird dies als Ordnungswi­drigkeit.

Die österreich­ische Polizei hat diese Möglichkei­t derzeit nicht. Doch auch im Innenminis­terium ist man angesichts der zunehmende­n Beschwerde­n von Einsätzkrä­ften alarmiert. „Es gibt das Bestreben seitens des Ministeriu­ms, rechtliche Maßnahmen zu setzen, wenn es sein muss“, betont Sprecher Alexander Marakovits. Wie diese Lösung aussehen soll, werde erst geprüft. Natürlich orientiere man sich dabei „an Regelungen in anderen Ländern“.

Zivilklage möglich

Eine rechtliche Handhabe gibt es allerdings schon jetzt – wenn auch über einen Umweg. Wer gegen seinen Wunsch fotografie­rt wird und sein Bild auf irgendeine­r Plattform veröffentl­icht entdeckt, kann dagegen zivilrecht­lich klagen. „Man macht sich straf bar, wenn man das Bild eines Unfalls veröffentl­icht und Menschen darauf erkennbar sind“, warnt August Bäck, Sprecher des Roten Kreuzes Steiermark. Er appelliert aber auch an das Gewissen jener, die einen Einsatz von Helfern festhalten. „Es hat immer Schaulusti­ge gegeben, früher auch. Aber was zunimmt, ist die fotografie­rende Masse. Und das ist unmoralisc­h.“Denn hinter jedem Unfall steckten Schicksale: „Opfer zu fotografie­ren, ist einfach verwerflic­h.“

Veränderte Lage

Auch Wolfgang Voelckel, dem Präsidente­n der österreich­ischen Gesellscha­ft für Notfall- und Katastroph­enmedizin, bereitet die derzeitige Situation durchaus Sorgen. „Neugierige hat es immer gegeben. Aber die Situation hat sich verändert, seit jeder ein Handy mit Fotofunkti­on bei sich hat“, be- dauert der Mediziner. Er habe außerdem den Eindruck, dass eine Tendenz zu mehr Gewalt aus dem anglo-amerikanis­chen Raum nach Europa schwappe: Dort müssten Rettungsle­ute teilweise schon mit Schutzwest­en Dienst tun. So weit ist es in Österreich zum Glück nicht, doch auch die Helfer beugen vor: „Wir haben kürzlich mit der Salzburger Polizei Selbstschu­tz und Selbstvert­eidigung üben dürfen.“

Der Notfallmed­iziner bemerkt aber auch eine weitere Veränderun­g: „ Natürlich gibt es gerade am Land auch hilfreiche Menschen, die bei einer Bergung mit anpacken. Aber die Meldungen zeigen, dass der Respekt vor Autorität, auch der Polizei, generell abnimmt.“

Für Einsatzkrä­fte hieße das, zu lernen, mit „mehr Aufmerksam­keit auf die Umgebung in eine Situation hineinzuge­hen und Deeskalati­on zu üben“.

„Der heutzutage leider normal gewordene Voyeurismu­s ist schockiere­nd.“Dieter Pilat Feuerwehr Graz

 ??  ?? Drei Menschen wurden in diesem Wrack eingeklemm­t und schwer verletzt: Während das Rote Kreuz und die Feuerwehr versuchten, sie zu retten, sollen Dutzende Schaulusti­ge gefilmt und geknipst haben (Montage)
Drei Menschen wurden in diesem Wrack eingeklemm­t und schwer verletzt: Während das Rote Kreuz und die Feuerwehr versuchten, sie zu retten, sollen Dutzende Schaulusti­ge gefilmt und geknipst haben (Montage)
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