„Es braucht mehr Achtsamkeit im Kreißsaal“
Eine Hebamme erklärt, warum die Wertschätzung der Frau in der Geburtshilfe das oberste Prinzip sein muss
Renate Mitterhuber arbeitet seit 40 Jahren als Hebamme. In Fortbildungen thematisiert sie Gewalt in der Geburtshilfe und lehrt Hebammenschülerinnen Achtsamkeit im Umgang mit werdenden Müttern. KURIER: Was ist bei der Ausbildung von Hebammen wichtig? Renate Mitterhuber: Das oberste Prinzip ist die Wertschätzung der Gebärenden und ihres Partners. Als Hebamme soll man auch die eigenen Motive überprüfen und sich Hilfe holen, wenn man das Gefühl hat, unachtsam zu sein. Hebammen müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein, weil sie in gewisser Weise Macht über die Situation haben.
Wie sollen Hebammen auftreten, um übergriffigem Verhalten vorzubeugen?
Es geht darum, der Gebärenden den best- und größt- möglichen Schutz zu bieten. Als Hebamme muss man der Frau vermitteln, dass sie Tempo und Zeitpunkt von Untersuchungen steuern und jederzeit Stopp sagen kann. Das Einverständnis der Frau einzuholen und ihre Gestaltungsmöglichkeiten zu unterstützen, damit es zu keinem Gefühl des Ausgeliefertseins kommt, ist unsere Aufgabe. Die Geburt ist ein sehr sexueller Akt. Deswegen bedarf es einer hohen Achtsamkeit. Und: Jedes Nein, egal ob verbal oder nonverbal ausgedrückt, ist zu befolgen.
Welche Rolle nehmen Hebammen im Geflecht zwischen Arzt und Patientin ein?
Die Hebamme ist einer- seits Fürsprecherin der Frau, anderseits muss sie aber auch mit den Ärzten zusammenarbeiten. Es hängt von der Hierarchie des Hauses ab, ob Aggression und Misstrauen im Team vorherrschen, ob es zu Machtmissbrauch kommt, oder ob es ein ref lektiertes Zusammenarbeiten gibt, wo die Rollen klar verteilt sind und Vertrauen herrscht.
Welcher psychischen Gefahr sind Hebammen im Kreißsaal ausgesetzt?
Hebammen können sekundäre Traumatisierungen erleiden, vor allem, wenn sie noch in Ausbildung sind. Dann sind sie im Kreißsaal in der Hierarchie ganz unten. Kommt es zu Gewaltvor- kommnissen, fühlen sie sich machtlos und unverstanden, wenn sie Ärzte und Hebammen damit konfrontieren. Man wird zur Mittäterin und das macht etwas mit dem Selbstwert und der Psyche.
Was wünschen Sie sich für den Diskurs über Gewalt in der Geburtshilfe?
Dass alle Frauen die Möglichkeit haben, dem medizinischen Team nach der Geburt Feedback zu geben. Oft beginnt das Problem nämlich bei der Tatsache, dass problematische Vorkommnisse im Team gar nicht sichtbar sind. Feedback wirkt am besten und führt dazu, dass man – egal ob Hebamme oder Arzt – achtsamer wird im Tun.