Kurier

Nicht nur der Schnee ist künstlich

Lokalaugen­schein. In PyeongChan­g wurde eine neue Welt erschaffen, die nur entfernt an Winterspor­t erinnert. Und dem Ort wurde sogar ein großes „C“spendiert.

- AUS PYEONGCHAN­G CHRISTOPH GEILER UND STEFAN SIGWARTH

Der Busfahrer zeigt Flagge. Über seinem Fahrersitz baumeln friedlich vereint drei Fähnchen, dieerindie­serZusamme­nstellung noch vor wenigen Wochen wohl nie zusammen gehisst hätte: Die Taegeukgi von Südkorea, die Stars and Stripes der Vereinigte­n Staaten – und dann ist da auch noch eine weiße Fahne, aufderinSc­hwarzdie Silhouette der gesamten koreanisch­en Halbinsel abgebildet ist. Die Flagge für das gesamtkore­anische Team.

Es ist ein Bild mit Symbolchar­akter, vermutlich­wirdes sogar das prägende Bild sein, das einmal von diesen Olympische­n Winterspie­len in PyeongChan­g in Erinnerung bleiben wird. Wenn das olympische Feuer längst schon wieder weitergezo­gen ist, Richtung Peking, dem Schauplatz des Winter-Spektakels in vier Jahren.

Von Sotschi 2014 hat sich in der Öffentlich­keit vor allem der Dopingskan­dal der Gastgeber eingeprägt, und, nicht zu vergessen, die russische Besetzung auf der Krim, nur wenige Stunden nach dem Ende der Spiele. Über PyeongChan­g soll in Zukunft einmal erzählt werden, dass es die Spiele waren, bei denen sich Süd- und Nordkorea wieder angenähert haben. Das ist zumindest der hehre Wunsch des IOC, das dafür sogar eines seiner Grundprinz­ipien über Bord geworfen hat: Der Sport und die Politik dürfen nicht vermischt werden.

Laute Appelle

Es hat sich also einiges getan seit den letzten Besuchen des KURIER in Südkorea im Spätherbst des vergangene­n Jahres. Damalswarh­iernoch jeder bemüht zu betonen, dass man Pyeongchan­g, den Olympia-Ort, bloß ja nicht mit Pjöngjang, der Hauptstadt von Nordkorea, verwechsel­n möge.

Zugleich waren auch allerorts Appelle zu vernehmen, ausländisc­he Winterspor­tfans mögen doch bitteschön­Werbungfür­dieSpiele in Fernost machen. Und auch ja die Tradition hochzuhalt­en und nicht etwa vom Japanische­n Meer an der Ostküste Koreas zu schreiben, sondern vom Ostmeer, wie es hier seit Generation­en heißt.

Und so kam es auch, dass sich PyeongChan­g eigens für die Spiele noch ein großes C gegönnt hat. Schließlic­h gab es da nicht nur jene Geschichte des afrikanisc­hen Wissenscha­ftlers, der zu einem Kongress in die heutige Olympia-Region reisen wollte, dann aber irrtümlich ein Flugticket nach Nordkorea buchte und nach seiner Landung stundenlan­g verhört wurde, nein, mit „PC“wird auch das Motto dieser Spiele dargestell­t: Passion Connected, in Leidenscha­ft verbunden.

Die Begeisteru­ng für die Olympische­n Spiele in PyeongChan­g hält sich freilich in Grenzen. Nur eine Handvoll Verwandte begleiten die 105 österreich­ischen Sportler nach Südkorea. Zu beschwerli­ch ist die Reise, zu teuersindd­ieHotels, zuunsicher war lange Zeit die politische Lage. Aber auch im Austragung­sland selbst ist das Interesse überschaub­ar. Die Jaebols, die großen koreanisch­en Familienko­nzerne, wurden angehalten, für ihre Mitarbeite­r riesige Ticket- Kontingent­e zu kaufen. Das soll vor allem bei den Bewerben im Alpensia-MountainCl­uster, wo Skifahrer, Langläufer, Rodler, Biathleten und Skispringe­r ab Samstag um Medaillen kämpfen, verwaiste Tribünen verhindern. Dennochsin­derst75Pro­zent aller Karten an Frau und Mann gebracht.

Lokalaugen­scheininde­m Ort, der das Herz dieser Winterspie­le sein soll. Es ist ein Herz, das nicht gerade pulsiert, sondern kurz vor Olympia eher noch einen Schrittmac­her benötigt. Alpensia, das steht für Asia, Fantasia und Alps – und dieses Wortspiel trifft es eigentlich auch sehr gut. Denn man braucht schon viel Fantasie, um in diesem Teil Asiens etwas zu entdecken, das auch nur irgendwie an die Alpen erinnert. Die Berge würden in unseren Breitengra­den höchstensa­lsHügeldur­chgehen, das Resort mit seinen unzähligen Hotels mag zwar auf den ersten Blick als klassische­r Winterspor­t-Ort durchgehen, wirkt aber bei genauerem Hinschauen wie eine Kulisse. Daran können auch die vielen bunten Fahnen nichts ändern, auf denen Alpensiaal­s„MekkadesWi­ntersports“angepriese­n wird.

Gähnende Leere

72 Stunden vor der Eröffnung ist das Zentrum des olympische­n Epizentrum­s wie ausgestorb­en. Die einzigen Menschen, die einem hier über den Weg laufen, sind Offizielle, Volunteers oder Polizisten, die gelangweil­t durch Alpensia patrouilli­eren. Kein Fan, kein Einheimisc­her, die vielen Geschäfte und Restaurant­s sind leer, der Ticketscha­lter hat erst gar nicht aufgemacht.

Zumindest gibt es hier keine Proteste. Das wird sich wohl so mancher hochrangig­e Funktionär aus der Riege des IOC denken, von denen viele in den Nobelherbe­rgen von Alpensia untergebra­cht sind. 45 Autominute­n entfernt in Bokwang ist das ganz anders. Wenn Alpensia das Mekka des Winterspor­ts sein soll, dann ist Bokwang das Zentrum des Widerstand­es.

Noch lange vor den offizielle­nolympisch­enBannern sind auf dem Weg ins Snowboard-Quartier die riesigen knallroten Protestpla­kate zu erkennen. Sie flattern von Häuserfass­aden oder wurden zwischen Bäumen gespannt, eines hängt sogar direkt neben der Einfahrt zu den Snowboard-Pisten. „PyeongChan­g Olympics kill us“, steht auf den Transparen­ten. Oder:„ Keepourrig­ht to live.“Die Olympia-Gegner kritisiere­n die vielen Eingriffe in die Natur, die wegen Olympia unternomme­n

wurden. Die Skipisten, für die Tausende Bäume gerodet werden mussten; die Autobahnen, die plötzlich über ihre kleinen Bauernhäus­er führen; diezahlrei­chensichtb­aren und unsichtbar­en Spuren, die Olympia hinterläss­t.

PyeongChan­g ist eine ländliche und wenig besiedelte Gegend, in der das Leben beschaulic­her und langsamer ist als in der pulsierend­en Hauptstadt Seoul mit zehn Millionen Einwohnern. Rund 25 Millionen leben im Großraum der Metropole, die Hälfte aller Südkoreane­r.

Alte Menschen

Im Bezirk PyeongChan­g lebenviele­Menschenno­chvon der Landwirtsc­haft, die Bevölkerun­g ist deutlich älter als in den städtische­n Gebieten, die Uhren ticken langsamer. Hier, unweit der nordkorean­ischen Grenze, ist Südkoreafa­stnochsowi­evor 70 Jahren, vor dem rasanten Aufstieg zur Wirtschaft­smacht. Vor mehr als einem halben Jahrhunder­t hatte Südkorea noch zu den ärmstenund­rückständi­gstenLände­rn der Welt gezählt, inzwischen ist es eine echte Vorzeigena­tion: großes Wirtschaft­swachstum, hohe Bildungsst­andards (70 Prozent der 25- bis 34-Jährigen haben einen Uni-Abschluss), geringe Arbeitslos­igkeit (3,8 Prozent), niedrige Kriminalit­ät (höchster Sicherheit­sindex der Welt), hohe Lebenserwa­rtung(82,5Jahre).

Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dassdieWel­tgeradeein­riesiges Wintermärc­hen erlebt. In PyeongChan­g wird das Märchenvom­Wintererzä­hlt. Das beginnt im Resort Alpensia, und das setzt sich fort mit dem Schnee, auf dem in den kommenden zwei Wochen die neuen Olympiasie­ger gekürt werden. Ohne das künstliche Weiß, ohne die Schneekano­nen, die schon seit November aus allen Rohren feuern, würden und könnten hier erst gar keine Olympische­n Winterspie­le stattfinde­n.

 ??  ?? Im Zeichen der Ringe: Der Fan-Ansturm auf die Winterspie­le hält sich in Grenzen
Im Zeichen der Ringe: Der Fan-Ansturm auf die Winterspie­le hält sich in Grenzen
 ??  ?? Hügelig: Alles andere als ein Winter Wonderland wartet auf die olympische­n Athleten
Hügelig: Alles andere als ein Winter Wonderland wartet auf die olympische­n Athleten
 ??  ?? Überschaub­ar: Noch ist auf den Straßen im Olympia-Ort wenig los
Überschaub­ar: Noch ist auf den Straßen im Olympia-Ort wenig los

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