So kam es zum Machtwechsel in der SPD
Kommt die Große Koalition, wird Andrea Nahles künftig die angeschlagene Partei führen
Es muss ihn geben. Den Moment, wo Politiker ahnen, dassesbaldvorbeiist. Woalle Argumente und Reden nicht mehr bei den Leuten hängen bleiben. Vielleicht hatte ihn Martin Schulz zuletzt beim Sonderparteitag. Als Andrea Nahles mit dem Heft auf den Tisch knallte und mit ihrer Rede die Delegierten mitriss, für die Koalition zu stimmen, underzuvornurmatten Applaus bekam. Oder ahnte eresimDezember? Vorseiner Wiederwahl als SPD-Chef warnte er noch die Genossen vor Machtspielen wie in der Polit-Serie „House of Cards“: „DasisteineSerie, dieichkenne, aber so will ich nicht werden“, so Schulz. „Fiktion sollte Fiktion bleiben“, sagte er.
Nun ist es doch passiert. Im Willy-Brandt-Haus verschieben sich die Machtverhältnisse. Just am Tag der Einigung zum Koalitionsvertrag kursierte ein verräterisches Foto: die Parteispitze in Siegeslaune, Martin Schulz nur im Eck. Sigmar Gabriel gar nicht erst drauf.
Wenige Stunden später fanden sich Schulz und Nahles vor der Presse wieder. Der 62-Jährige hatte seit 32 Stunden nicht geschlafen. In der SPD-Zentrale, wo er vor einem Jahr einzog, verkündet er den Abtritt als Parteichef. Es klang aufgesagt, aber ehrlich: Die Partei wünsche sich einen Vorsitzenden, der nicht der Regierung angehöre. Und sie wünsche sich Erneuerung. Das sei für ihn „kaum noch zu leisten“.
Im öffentlichen Bild wirkte Schulz nach sei- nem Kurswechsel zunehmend schwach. So könne man die Partei kaum führen, nicht in einer Großen Koalition neben der scheinbar übermächtigen Kanzlerin, diese Erzählweise kursierte. Dass der ehemalige Europaparlamentspräsident nicht so in die Annalen eingehen will, ist klar. Was aber tun?
Reha im Außenamt
MittwochabendkamdieAntwort. Das Thema Europa liege ihm am Herzen, er wolle ins Auswärtige Amt gehen, kündigteeran. Wissend, dass dies auch seinen Vorgänger Sigmar Gabriel rehabilitierte. Er ist bei den Wählern beliebt wie nie zuvor und würde gerne Außenminister bleiben. Aber ihm diesen Gefallen tun? Ihm, der Schulz viel Chaos hinterließ. So ähnlich kam es nach der Wahl rüber: Schulz beschwerte sich, dass auch dieses Mal bei der Bestimmung des Kanzlerkandidaten ein Weg gewählt wurde, derkaumZeitfürKampagnen-Vorbereitung vorsah. Adressiert war die Kritik an Gabriel, der als Parteichef nie kandidierte, anderevorschob.
Gabriels Termine als Außenminister sind teils schon abgesagt. Sein AbgangkämeauchAndreaNahles gelegen. Sie kennt Gabriel gut, hat mit ihm vor JahrengegenSchröderundMüntefering gekeilt. Beide waren sich aber mehr ab- als zugewandt, wasStreitverursachte.
AlsSchulznunseinekünftige Nachfolgerin ankündig- te, strahltedie47-Jährige. Bedankte sich für den „freundschaftlichen Generationenwechsel“, wissend, dasserberechenbarer ist als Gabriel, der gerne via Interviews die Parteiführung kritisierte.
Jetzt muss nur noch der SPD-Vorstand zustimmen, dann wird Nahles in der 153jährigen Parteigeschichte die erste Frau an der Spitze derParteisein. Aberselbstsie, dielautSchulz„Hammerund Amboss“sein kann, braucht in der Regierung einen Verbündeten. Olaf Scholz, Hamburgs Oberster Bürgermeister, der Finanzminister und Vizekanzler werden soll, ist es. Noch ist er aber nicht aus der Deckung gekommen.
Geäußert hat sich indessen in Zeitungen der FunkeMediengruppe Sigmar Gabriel. Er wirft seinem ehemaligen Freund Schulz Wortbruch vor: „Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt.“WelchesVersprecheneswar, sagte er nicht.