Kurier

Peking erprobt totale Überwachun­g

Punktesyst­em. Regierung vernetzt alle Datenbanke­n des Landes und bewertet Verhalten der Bürger

- – IRENE THIERJUNG

Soll ich am Abend Salat oder Pizza beim Lieferserv­ice bestellen, die Ersparniss­e in Laufschuhe oder Computersp­iele investiere­n – und soll ich hier bei Rot über die Straße huschen? Fragen wie diese werden sich Chinesen künftig öfter stellen – könnten diese doch bald darüber entscheide­n, ob sie einen Kredit oder einen Studienpla­tz bekommen und ob sie ins Ausland reisen dürfen.

In mehreren Städten erprobt China ein Bewertungs­system auf Punktebasi­s, das sämtliche Lebensbere­iche umfasst. Während die Teilnahme daran derzeit freiwillig­erfolgt, sollsieinz­weiJahren für alle 1,3 Milliarden Einwohner Pflicht sein. Offiziell dient das „Sozialkred­itsystem“der Kriminalit­ätsund Terrorbekä­mpfung, vor allem ermöglicht es dem Regime aber, die Bevölkerun­g lückenlos zu überwachen und zu konditioni­eren.

„AAA“-Status

Das Prinzip ist einfach: Für „gutesVerha­lten“imSinnePek­ings, wie Regimetreu­e oder einen gesunden Lebensstil, werden auf dem persönlich­en Sozialkred­it-Konto Punkte gutgeschri­eben. Die höchstmögl­iche Beurteilun­g ist wie bei den Bewertunge­n internatio­naler Finanz-Ratingagen­turen der „AAA“-Status. Wird dieser länger aufrecht erhalten, winken Belohnunge­n wie eine bessere Krankenver­sicherung. „Schlechtes“Verhalten – und dazu zählt auch das der Eltern, Verwandten oder Freunde – wird mit Punkteabzu­g bestraft. Als „schlecht“gelten u. a. regelmäßig­er Alkoholkon­sum, Verkehrsve­rstöße, ein „Like“unter einem kritischen Posting oder ein Streit mit Nachbarn. Niedrige Punktezahl­en können durch „gute Taten“ausgeglich­en werden, etwadurchB­lutspenden. Der schlechtes­te Status ist „D“und kann bis zum Verlust des Jobs führen.

Über die nötigen Informatio­nen verfügt die Regierung bereits jetzt großteils. Sie stammen aus öffentlich­en Datensamml­ungen wie Sozialvers­icherungs-, Krankenode­r Gerichtsak­ten, Zeugnissen oder Steuerbesc­heiden. Die meisten Daten stellen die Bürgerquas­ifreiwilli­gzurVerfüg­ung: durch ihr Surfverhal­ten im Internet, Onlinekäuf­e oderdasinC­hinaweitve­rbreiteteB­ezahlen via Handy-App.

170 Millionen Kameras

Die beiden größten Datensamml­er sind die Internetri­esen Alibaba (das chinesisch­ePendantzu­Amazon) und dessen Bezahldien­st Alipay sowie der Kommunikat­ionskonzer­n Tencent mit dem Kurznachri­chten- undBezahls­ervice WeChat. Visuelle Informatio­nen über die Bürger und ihr Verhalten liefern 170 Millionen Überwachun­gskameras im ganzen Land. 2020 sollen es 400Million­ensein.

Damit „Big Brother“Staat weiß, wen er auf den Aufnahmen sieht, wird, wie übrigens auch in Europa und den USA, unermüdlic­h an Gesichtser­kennungsso­ftware getüftelt. Zielderchi­nesischenF­ührungiste­s, jedenabgeb­ildeten Chinesen binnen drei Sekunden identifizi­eren zu können. Jüngstes Vorzeigepr­ojekt ist eine Gesichtser­kennungsbr­ille für Polizisten. Diese schießt Fotos von vorbeigehe­nden Menschen und checkt dann eine gigantisch­e Datenbank ab. Fotomateri­al zum Abgleichen gibt es in China genug: Jeder Bürger hat einen Personalau­sweis mit biometrisc­hem, zentral gespeicher­tem Foto.

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Neues Projekt: Eine Brille für Polizisten macht Fotos von Passanten und gleicht sie mit Datenbanke­n ab

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