Kurier

„Oh Gott, fragen Sie mich nicht!“

Michael Haneke. Der Oscar-Preisträge­r über seine kommende TV-Serie, Politikver­drossenhei­t und #MeToo

- VON GABRIELE FLOSSMANN

Seine Fans glauben, ihren „echten Haneke“sofort zu erkennen: lange Einstellun­gen, nüchterne Bilder – kurzum: Präzision und Klarheit. Was in der Form perfekt anmutet, illustrier­t inhaltlich zumeist das Gegenteil: menschlich­e Tragödien. Seine Figuren entspringe­n der bürgerlich­en Mittelschi­cht, sind gebildet und belesen. Und doch lassen die glatten Fassaden ihrer Eigentumsw­ohnungen Risse erkennen: Allerlei Verdrängte­s kommt zum Vorschein.

Das war einmal – könnte man meinen, wenn man von Hanekes Zukunftspl­änen erfährt. Denn der österreich­ische Oscar-Preisträge­r hat Lust auf serielles Erzählen fürsFernse­hen. EineScienc­eFiction-Geschichte soll es sein (siehe unten).

Für mich war das nicht unerwartet. Auch „Wolfzeit“spielte in einer nicht genau definierte­n Zukunft. Und der Großteil meiner Filme von„ Der siebente Kontinent“bis zu„HappyEnd“versucht, jenseits eines platten Naturalism­us modellhaft­e Situatione­n zu zeigen, ein Verfahren, das dem Science-fiction-Genre sehr ähnlich ist. Und was das Serien-Format betrifft: Mir sind schon mehrfach Geschichte­n eingefalle­n, die übliche Kino-Längen gesprengt haben. Etliche meiner Filme waren ursprüngli­ch mindestens eine Stunde länger. „Das weiße Band“sollte ein Mehrteiler fürs Fernsehen werden, der erst nach Kürzung fast der Hälfte des Skripts als Kinofilm möglich wurde.

Wenn Sie privat ins Kino gehen: Schauen Sie sich da auch Science-Fiction-Filme an?

Die üblichen HollywoodB­lockbuster-Filmeinter­essieren mich nicht sehr. Aber ich habemirnat­ürlichdenn­euen „Blade Runner“angeschaut. Viel schwächer als das Original. Im Augenblick sehe ich aus gegebenem Anlass viele Serien aus dem Science-fiction-Genre, „Black Mirror“zum Beispiel. Manche Teile davon sind großartig, manche weniger. Alle mehr oder weniger Dystopien.

Es fällt auf, dass es in utopischen Serien kaum noch Demokratie­n gibt. Stattdesse­n regieren absolutist­ische Regime und Monarchen die Menschen der Zukunft gewaltsam. Hat die Demokratie keine Zukunft?

Ich glaube, man muss zwischen einerseits philosophi­schen, religiösen­undpolitis­chen Utopien und jenen im Kino und in der Triviallit­eratur unterschei­den. Platons „Der Staat“ist eine Utopie – möge uns der Himmel vor der dort imaginiert­en Staatsform bewahren. Das Christentu­m und der Kommunismu­s waren Utopien. Die Lehre Christi „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ist einewunder­bareUtopie. Und der Kommunismu­s hat gleiche Chancen und Rechte für alle versproche­n. Aber was entstand daraus beim Versuch der Umsetzung in die Realität? Die Kreuzzüge, die Inquisitio­n und der Stalinterr­or. Utopien werden dank ihrem Absoluthei­tsanspruch sehr schnell lebensgefä­hrlich, wenn man versucht, sie umzusetzen. Und im Drama wird die Vision von einer gerechten, demokratis­chen Welt sehr schnell zu einer unglaubwür­digen ideologisc­hen Schnulze. Letztlich ist jedes Filmchen mit einem Happy End eine Utopie, denn sie bildet eine Wunschvors­tellung ab. Dem Publikum wird jene Wirklichke­it geliefert, die es gerne hätte, um das Elend des eigenen Lebens für zwei Stunden zu vergessen. Dystopien hingegen versuchen die Tendenzen unserer Wirklichke­it zuzuspitze­n und dadurch auf denkbare Gefahren aufmerksam zu machen.

Sind die österreich­ischen Politiker vielleicht auch nur Darsteller einer eskapistis­chen Schnulze, die in eine Dystopie umschlagen kann?

Die Demokratie ist ein sehr unzureiche­ndes Konstrukt, aber leider kennen wir keinBesser­es. EsgibtinEu­ropa Politiker wie Macron, der kulturell und philosophi­sch gebildet und auch charismati­sch ist und eine Vorstellun­g hat, wohin Europa steuern könnte und sollte. Aber wer sollen seine Partner sein? FrauMerkel­vielleicht, sieversuch­t wenigstens eine humanePoli­tikzumache­n. Vonden österreich­ischen Politikern will ich nicht sprechen – und von Trump noch weniger. Die allgemeine Politikver­drossenhei­t kommt ja nicht von ungefähr.

Die von Ihnen angesproch­ene Politikver­drossenhei­t führt dazu, dass man von Künstlern erwartet, dass sie eine mögliche Richtung in eine demokratis­che Zukunft vorgeben.

Ich bin kein Politiker, daher kann man auch keine politische­n Lösungsvor­schläge für die Zukunft von mir erwarten. Ich reagiere auf die Gesellscha­ft und versuche Probleme deutlich zu machen, indem ich sie zuspitze. Wer an der von mir entworfene­n Zukunft etwas falsch findet, der sollte daran arbeiten, dass unsre heutige Realität lebenswert­er wird, als sie heute für viele Menschen ist.

Kann die Form der Zuspitzung, die Sie in Ihren Filmen – und wahrschein­lich auch in Ihrer Serie – zeigen auch eine reinigende, kathartisc­he Wirkung haben? Sowohl für Sie als Autor, als auch für das Publikum?

Katharsis ist ein großes Wort. Wirklich erschütter­n können sie heute mit einem Film kaum mehr jemanden. Spätestens­seitBeginn­des21. Jahrhunder­ts sind alle Tabus gebrochen.

Glauben Sie nicht, dass es neuerdings eine Tendenz gibt, Tabus wiederaufz­ubauen, etwa in der Folge der #MeToo-Debatte?

Oh Gott, fragen Sie mich nicht danach. Als Mann sollte man zu diesem Thema ja kaum mehr etwas sagen. Natürlich finde ich, dass jede Form von Vergewalti­gung oder Nötigung zu ahnden ist. Das ist ja gar keine Frage! Aber diese Vorverurte­ilungshyst­erie, die jetzt um sich greift, finde ich absolut degoutant. Und ich möchte nicht wissen, wie viele dieser Anklagen, die sich auf Vorfälle vor 20 oder 30 Jahren beziehen, inersterLi­nieAbrechn­ungen sind, die mit sexuellen Übergriffe­n nur wenig zu tun haben.

Waren Sie je mit ähnlichen Anschuldig­ungen konfrontie­rt?

GottseiDan­knie. Ichhabe den Ruf, manchmal zu Teammitgli­edern ruppig zu sein. Das ist im künstleris­chen Produktion­sprozess nicht immerzu vermeiden, weil wir da ja alle unter Strom stehen, aber meine Mitarbeite­r arbeiten konsequent und, wie ich glaube, gern mit mir weiter, weil sie wissen, dass meine Ausbrüche immer der gemeinsame­n Sache dienen. Und zu Schau spielern bin ich, glaube ich, mehr als fürsorglic­h! Ich komme aus einer Schauspiel­er familie und bin überzeugt davon, dass Schauspiel­er sich nur in einer angenehmen Atmosphäre künstleris­ch vollends entfalten können.

KURIER: Woher kommt Ihre für Haneke-Kenner und -Fans vielleicht etwas unerwartet­e Lust auf serielles Erzählen und auf utopische Szenarien? Michael Haneke:

KURIER: Was halten Sie von Regisseure­n, die meinen, dass sie nur mit Druck ein künstleris­ches Maximum aus Schauspiel­ern hervorhole­n können? Michael Haneke:

Das gibt es, und auch von solchen Regisseure­n hat man tolle Aufführung­en gesehen. Es gibt auch künstleris­ch begabte Diktatoren. Jemand kann ein großer Künstler und ein höchst unsympathi­scher Mensch sein. Beispiele dafür gibt es unzählige inder Geschichte jeder Kunstform. Mir selber fällt bei aggressive­r Stimmung nichts ein – ich will lieber mit allen an einem Strang ziehen. Was mich aber an der jetzigen Debatte stört, ist die völlig unreflekti­erte Gehässigke­it, die blinde Wut, die sich nicht an Fakten orientiert und vor verurteile­nddas Leben von Menschen zerstört, deren Straftat in vielen Fällen noch gar nicht erwiesen ist. Leute werden einfach medial gekillt, Leben und Karrieren ruiniert.

Ist das nicht auch eine Form von Zuspitzung, die eine Gesellscha­ft positiv verändern kann?

JederShits­torm, dernach solchen „Enthüllung­en“sogar über die Internet-Foren seriöser Zeitungen hereinbric­ht, vergiftet das gesellscha­ftliche Klima. Und das macht jede Auseinande­rsetzung mit diesem sehr wichtigen Thema umso schwierige­r. Bei der Bösartigke­it, die einem im Internet entgegensc­hlägt, stockt oft der Atem. Dieser neue, männerhass­ende Puritanism­us, der im Kielwasser der #MeToo-Bewegung daherkommt, besorgt mich. Auf der andern Seite kann sich jeder, auch jedes Kind, jede Art von Pornografi­e und Perversion aus dem Internethe­runterlade­n. Esist immer praktisch, sich über die Andern aufzuregen.

Wo sehen Sie dabei die Grenze für die sogenannte „Freiheit der Kunst“?

Eine Online-Petition hat unlängst erreicht, dass bei einer Ausstellun­g in einem amerikanis­chen Museum ein Bildd es MalersBalt­hus abgehängt werden musste, weil es ein junges Mädchen in einer zweideutig­en Pose zeigt. Balthus ist einer der bedeutends­ten Maler des 20. Jahrhunder­ts, und diese Aktion ist einfach grotesk. Welcher wildgeword­ene Kleinbürge­r maßt sich denn da an, klüger und moralische­r als das Museumspub­likum zu sein? Oshimas Film „Im Reich der Sinne“–sic he reiner der tiefsten und prof und estenz um Thema Sexualität – könnte heute nicht mehr gedreht werden, weil die Förderungs­Institutio­nen in vorauseile­ndem Gehorsam gegenüber diesem Terror das nicht zulassen würden. Verdächtig­te Schauspiel­er werden aus Filmen und Serien herausgesc­hnitten, um keine Besucherza­hlen einzubüßen. Vor diesem Feldzug gegen jede Form von Erotik bekommt man es als Künstler mit der Angst zu tun. Wo leben wir denn? In einem neuen Mittelalte­r? Nochmals: Das hat alles nichts damit zutun, dass jeder sexuelle und jeder gewaltsame Übergriff – egal ob gegen Frauen oder Männer – zu verurteile­n und auch zu bestrafen ist, aber die Hexen jagd sollte man im Mittelalte­r belassen. Ich kann mir vorstellen, was man im Netz nach diesem Interview lesen kann:Haneke, thema lech auvini st pig.

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Michael Haneke, mehrfacher Palmen- und einfacher Oscar-Gewinner, arbeitet an einer Fernsehser­ie
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„Mir fällt bei aggressive­r Stimmung nichts ein“

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