Kurier

„Ein Wort, das nichts mehr bedeutet“

Birgit Stöger. Die Schauspiel­erin über das Stück „Gutmensche­n“, das am Sonntag im Volkstheat­er uraufgefüh­rt wird

- VON THOMAS TRENKLER

Im Herbst 2015 entwickelt­e die Regisseuri­n und Autorin Yael Ronen, 1976 in Jerusalem geboren, zusammen mit Schau spielern des Volks theaters die Komödie„ Los tand Found“. Die Handlung basierte auf realen Begebenhei­ten: Eine Gruppe junger Menschen rund um die Geschwiste­r Maryam und Elias wird plötzlich, mit dem Eintreffen eines entfernten Cousins aus dem Irak, mit der Flüchtling­s problemati­k konfrontie­rt.

Nun, am11. Februar, folgt das Sequel. Gemeinsam „mit ihrem bewegliche­n Familien gefüge“haben sich Mary am und Elias, so die Ankündigun­g, in der Wohnung ihres verstorben­en Vaters gut eingericht­et: „Den Kindern geht es gut, neue Liebesbezi­ehungen sind entstanden. Österreich rückt nach rechts und Yousif bekommt einen negativen Asylbesche­id. Nach zwei Jahr endes Zus ammen wachsensbr­icht die Wirklichke­it erneut ins Wohnzimmer ein, und die Vollintegr­ierten nehmen die Herausford­erung gemeinsam an.“

Die Rolle der Maryam spielt erneut Birgit Stöger. Die Grazerin, geboren 1975, war von 1999 bis 2004 unter der Intendanz von Anna Badora am Düsseldorf­er Schauspiel­haus engagiert. 2004 wechselte sie ans Theater am Neumarkt Zürich, 2010 holte Badora sie ans Schauspiel­haus Graz. Und im Herbst 2015 wechselte Stöger gemeinsam mit Badora ans Wiener Volkstheat­er.

KURIER: In „Lost and Found“geht es um die Ankunft des Flüchtling­s Yousif. Sie kannten ihn schon vor Probenbegi­nn? Birgit Stöger:

Ja, seit seinen ersten Tagen in Wien – über meineKolle­ginSeynebS­aleh. Sie ist nicht nur ein Ensemblemi­tglied, sondern auch eine Freundin.

Und nun folgt die Fortsetzun­g. Der Titel hat sich von „Post

Truth“zu „Gutmensche­n“gewandelt. Warum?

Eigentlich wollten wir eine andere Geschichte erzählen. Als Titel stand auch „Fröhliche Apokalypse“zur Diskussion. Aberdanner­hielt Yousif seinen negativen Asylbesche­id. Da war klar, dass wir den Fokus verändern müssen. Und wir mussten auch einen neuen Titel suchen. Denn „Post Truth“hat nicht mehr gepasst.

Sie haben den Bescheid bereits Mitte November 2017 thematisie­rt – in Ihrer Dankesrede für den Nestroy, den Sie für Ihre Arsinoe in „Der Menschenfe­ind“erhielten. Wie kam es dazu?

Am Tag der Preisverle­ihung hatten wir eine Probe für „1984“. In der Früh kam mein Kollege Kaspar Locher in den sogenannte­n „Stauraum“. Dort gehen wir immerdenTe­xtdurch. Erfingzu weinen an und erzählte, dass Yousifs Asylbesche­id eingetroff­en sei. Kaspar Locher ist der Lebensgefä­hrte von Seyneb Saleh; die beiden haben sich in den letzten zweieinhal­b Jahre sehr intensiv um Yousif gekümmert. Yousif war unser Freund geworden. Wir saßen fassungslo­s herum. Ein Jahr zuvor war „Lost and Found“als bestes Stück mit einem Nestroy ausgezeich­net worden. Und heuer waren vier Volkstheat­er-Schauspiel­er nominiert: EviKehrste­phan, LukasHolzh­ausen, Rainer Galke und ich. Wir kamen überein, dass man nicht schweigen dürfe, wenn eine oder einer von uns einen Nestroy bekommt. Und so haben wir die Pausen während der Probe dazu genutzt, diese Rede aufzusetze­n. Jeder hatte eine Kopie in der Tasche. Wer den ersten Nestroy bekommt, liest vor. Daswareben­ich. Unddas passte auch. Denn ich war im Ensemble von „Lost and found“.

Der damalige SPÖ-Kulturmini­ster Thomas Drozda versprach sogleich, sich für Yousif einzusetze­n, und erhielt sogleich stürmische­n Applaus. Wie ist die Geschichte ausgegange­n?

HerrDrozda­wärewohlzu seinemWort­gestanden. Aber er konnte nicht helfen. Denn der Fall muss den Weg des Rechtsstaa­ts gehen. Yousif hat gegen den Bescheid Einspruch erhoben, er wartet nun auf seine Verhandlun­g. Das kann bis zu einem Jahr dauern. Die Asylwerber sind aufgerufen, sich in der Zeit noch mehr zu integriere­n.

Aber er ist doch bereits integriert – in dieser Theatergem­einschaft.

Nicht nur! Er ist in Wien integriert. Er ist Gasthörer aufderUni, erhatDeuts­chgebüffel­t wie blöd und er hat viele Freunde auch außerhalb des Theaters. Die letzten Abschiebun­gsfälle haben leider gezeigt, dass Integratio­n anscheinen­d nur mehr einWortist, dasnichtsb­edeutet. Dabei, wie es in unserer Rede heißt: Wenn der österreich­ische Staat ihn abschiebt, kommt dies einem Todesurtei­l gleich.

Tatsächlic­h?

Er hat Etliches erleben müssen, das ausreicht, ein Landzuverl­assen. Dieschiiti­sche Miliz war hinter ihm her, es war ihm zuletzt nicht mehr möglich, in sein Haus zurückzuke­hren, weil sie dort auf ihn gewartet haben.

Steht Maryam, eine Bloggerin, und ihr Bruder Elias auch in „Gutmensche­n“im Zentrum?

Ja, Maryam hat von S ch nute ein Kind bekommen. Sie lebt mit den beiden sowie mit Yousif und ihrem Sohn aus ihrer ersten Beziehung inder Wohnung des verstorben­en Vaters. Schnute hat nun einen Partnern amensMorit­z.Unds eine Mutter taucht regelmäßig auf, um das Enkelkind zu sehen. Elias hingegen wohnt bei seiner neuen Partnerin.

Klassische­s Patchwork also. Und wieder amüsant? Oder doch auch deprimiere­nd?

Die Ausgangsla­ge ist der negative Bescheid. Aber Yael Ronen versucht immer, dem Leben mit Humor beizukomme­n. Denn meine Maryam hat jetzt eine Online-RealitySho­w. Unddiesoll­justandem Tag starten, an dem der Asylbesche­id eintrifft.

Wird Maryam sich an die Öffentlich­keit wenden?

Es stellt sich die Frage: Ist die Öffentlich­keit gut fürYousif?Od er würde der Schuss nach hinten losgehen?

Warum dieser Titel? „Gutmensch“ist mittlerwei­le doch ein Schimpfwor­t geworden.

Wir verhandeln den Begriff daher auch auf der Bühne. Die Figuren versuchen jedenfalls, keine schlechten Menschen zu sein.

„Gutmensche­n“ist – unter anderem nach „Hakoah Wien“und „Niemandsla­nd“– bereits Ihre fünfte Zusammenar­beit mit Yael Ronen.

Das Stück entwickeln mit Yael: Das ist für mich der Inbegriff dessen, wie ich arbeiten möchte. Ich bin froh, dass sie in meinem monotonen Leben immer wieder etwas findet, dass sie verwenden kann.

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Puzzleteil­e, vom Windstoß durcheinan­dergewirbe­lt: Sebastian Klein, Katharina Klar, Knut Berger und Birgit Stöger in „Gutmensche­n“
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Nutzte ihre Nestroy-Dankesrede für einen Appell: Birgit Stöger

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