Unsere Tage zu zählen lehre uns
Das Fastentuch zeigt die Bruchstücke des Lebens.
Auch in den Kirchenräumen wird Zurückhaltung geübt. In deraltenTraditioneinesFastentuches wird der oft prächtige Hochaltar schlicht verhüllt, im Stephansdom seit einigen JahrenvonzeitgenössischenKünstlern, die ich dafür gewinnen darf. Dieses Jahr hat Lisa Huber ein großformatiges Werk geschaffen, die Auseinandersetzung mit den Psalmen in Holzund Papierschnitten, Kirchenfenstern und großformatig bestickten Tüchern steht schon seit langem im Mittelpunkt des Schaffens der Kärntnerin.
Das von ihr für den Dom gefertigteFastentuchist16x6Metergroß, daraufzeigtLisaHuber 33 abstrakte schwarze Scherenschnitte, in Sticktechnik künstlerisch umgesetzt. Bruchstücke unseres Lebens sind darauf zu sehen, Striche, dieaufunvollendete Fragmente unserer irdischen Zeit hinweisen. Sie sollen auch den Blick auf unser Dasein schärfen. Wir wissen ja alle, wie fragil und kurz unser Leben sein kann. Und die großen Glaubenszeugen Abraham, Jakob und David assistieren.
Lisa Huber hat hier den Psalm 90 aus dem Alten Testament interpretiert, der aus diesen Lebenserfahrungen schöpft und sie gleichsam verdichtet. „Von Jahr zu Jahr säst du die Menschenaus; siegleichendem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es und blüht, am Abend wirdesgeschnittenundwelkt…
Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sindesachtzig. DasBeste daran ist nur Mühsal und Beschwer, raschgehtesvorbei, wir fliegen dahin… Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.“
In der Fastenzeit steht uns die Erneuerung unseres Lebens bevor, wir können diese Weisheit des Herzens entwickeln, auch lernen, unsere Zeit besser zu nützen, durch den Blick auf unsere Vergänglichkeit.
Das Fastentuch von Lisa Huber bietet uns dafür eine Fläche der Meditation, einen Anstoß, eine künstlerische Umsetzung, die tief im Herzen berührt. Ab Aschermittwoch ist es im Dom zu sehen.
Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan.