Fifty shades of grauer Vorzeit – Pornografie in der Steinzeit
Pikant. Von den Schamlippen der Venus von Willendorf bis zu Männerfantasien auf Gürtelschnallen: ein Streifzug durch die Erotik-Geschichte
Der Hauptdarsteller trägt eineHaube. Erhatseinen Blick auf den Mond gerichtet. Oder sind es doch die ZehenseinerHerzdame? Jedenfalls ist sein Gemächt mächtig aufgeregt, während er in seine auf ihrem Thron schmachtenden Geliebten eindringt. Keine Szene aus einem Pornovideo, vielmehrMotivaufeinerGürtelschnalle aus der Eisenzeit, ausgestellt in einer Pultvitrine im altehrwürdigen Naturhistorischen Museum Wien.
„Gar nicht so prüde unsere Vorfahren“, schmunzelt Karina Grömer bei ihrer Spezialführung, die einen Ausflug in die Ur-Geschichte der Erotik ermöglicht. Der Saal 13 hat es der Archäologin besonders angetan. Hier finden sich einige Pikanterien, die der großen KarawanederMuseumsbesucherfür gewöhnlich verborgen bleiben.
Nicht jugendfrei
Die Forscherin hat ein gutes Auge für nicht jugendfreie Motive, diebisindieSteinzeitzurückreichen. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass Sex und Erotik in der Evolution der Menschen immer schon wichtig waren. „Weil sonst würde es uns in der heutigen Form gar nicht geben.“
Dass dies nicht einfach dahingesagt ist, beweist auch ein etwas genauerer Blick auf eine kleine, rundliche, rund 29.500 Jahre alte Kalksteinfigur, besser bekannt als Venus von Willendorf. „Sehen Sie nur, wie detailliert die Figur gearbeitet ist‚“, erklärt Karina Grömer. „Man sieht sogar ihre Schamlippen.“
Auch sonst hätte die VenusFalle aus der Altsteinzeit einiges zubieten:„EinenüppigenBusen und einen ebenso nackten Bauch, der Fruchtbarkeit symbolisieren soll.“Und es sei auch kein Zufall, dass der Erzeuger dieser Figur mit Rötel gearbeitet hat, umihreinemehralseindeutige Signalfarbe zu verpassen.
Wichtig ist der PrähistorikerinderHinweis, dassdieseFrauen-Darstellungnichtalleinewar auf weiter Flur. „Wir wissen heute von Figuren aus Stein, Ton, Elfenbeinetc. mitunbekleideter Körpermitte von Portugal bis Sibirien.“Mit einer einzigen Ausnahme sind alle Fundstücke dem weiblichen Geschlecht nachempfunden. EineReplikim Schaukasten zeigt sogar eine Frauenfigur mit Seil um den Körper. Fifty shades of grauer Vorzeit sozusagen.
Ein paar Meter in der Schausammlung weiter bzw. ein paar tausend Jahre in der Menschheitsgeschichte später, gelangen wir in die Bronzezeit. Dort richtet Karina Grömer den interessierten Blick auf die ausgestellten 3000 bis 4000 Jahre alten Schmuckgegenstände.
Verschmitzt fügt sie hinzu: „DieMännerwarenbeimTragen von Schmuck immer schon unglaublich unkreativ. Im Gegensatz zum Tierreich, wo das Männchen meist die prachtvollereErscheinungdarstellt, ist es bei den Menschen spätestens ab der Bronzezeit die Frau, die mit aufwendigem Schmuck, auch aus Gold, ihre Schönheit und ihre Reize betont.“
Den Schmuck tragen die Frauen laut Grömer nicht ganz zufällig im Brustbereich. Als echte Finesse wertet die Archäologin die Klapperblechfibeln aus der Hallstatt-Zeit. „Damit konnten zusätzlich akustische Signale ausgesendet werden“, erklärt die ArchäologinmitgroßerLeidenschaft.„So wie die It-Girls heute, die mit ihren Stöckelschuhen signifikante Tonspuren auf dem Parkett hinterlassen.“
Frühe Pop-Ikonen
Die um den Hals getragenen 3500 Jahre alten Blechscheiben mit ihren langen dünnen StachelnerinnernindesandieBühnenMadonnainden1990er-Jahren. Sie werfen die Frage nach ihrer Botschaft auf. Die Interpretation reicht von „Rühr mich nicht an!“bis hin zu Sado-Maso-Fantasien. Karina Grömer meint: „Für mich hat das schon beide Komponenten. Auch Lady Gaga würde diese Dinger sicherlich gerne tragen. Damit würde man nebenbei auch auf dem Lifeball gute Figur machen.“
Richtig zur Sache geht es dann auf den Situlen (Kübeln), Männergürtelschnallen sowie Schwertscheiden aus der Eisenzeit. Gefunden wurden sie im Raum zwischen Niederösterreich und Norditalien. Der eingangs entdeckte Galan und seine Dame, die beim freizügigen Liebesakt zu sehen sind, zieren ein rund 2500 Jahre altes eisenzeitliches Fundstück aus dem heutigen Slowenien.
Auch nicht von schlechten Eltern: Boxkämpfer und Reiter mit ihren erigierten Gliedern. Nicht im Naturhistorischen Museum zu sehen und dennoch der Rede wert: die Bildfolge auf einer Situla aus Norditalien mit einem recht simplen Plot. Der geht ungefähr so: Mann lernt Frau kennen, sie lieben sich in allerlei Variationen und Verrenkungen, so sehr, dass sich sogar dieMatratzewölbt, umamEnde ein Kind in Händen zu halten.
Archäologin Grömer betont: „Neben der Erotik, die diesen Darstellungen innewohnt, sind dieAbbildungenimmerauchals Teil einer kultischen Handlung sowie als Symbol für die Legitimation von Dynastien oder der VerbindungvonzweiHerrscherhäusern zu sehen.“