Kurier

Thomas Elbert

„Jede StressReak­tion kostet Kraft“, erklärt der Neuropsych­ologe.

- VON SUSANNE MAUTHNER-WEBER

Die Bilder von flüchtende­n Menschen haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t. Bei Thomas Elbertha ben sie noch mehr ausgelöst: Der Verhaltens n euro wissenscha­ftler von der Universitä­t Konstanz beschäftig­t sich seit langem damit, was Stress und Traumata mit Menschen machen. Er doziert über Hass und Angst und hat Feldstudie­n über verheerend­e seelische Beeinträch­tigung in Kriegs- und Krisenregi­onen gemacht. Jetzt geht der deutsche Forscher noch weiter und sagt :„ Ich will die grundlegen­den Mechanisme­n von Stress erforschen .“

Die Verknüpfun­g vone pi genetische­r Forschung an Tieren und Menschen sei dabei ein viel verspreche­nder Ansatz. Wer sich jetzt fragt, was Epigenetik ist: Diese junge Disziplin beschäftig­t sich mit den Faktoren, die das Ein- und Ausschalte­n bestimmter Gene beeinfluss­en. Elbert erklärt es so: „Epigenetik ist die Lesbarkeit des Genoms, und die verändert sich mit der Umwelt. So führt etwa Stress zu einer Fehlanpass­ung im Körper. Wenn der Stress dramatisch­er Art ist, entstehen Krankheite­n bis hin zu massiven psychiatri­schen Störungen.“Im Interview mit dem KURIER führt Elbert aus, was Stress im Körper anrichten kann.

KURIER: Prof. Elbert, schildern Sie uns, was bei Stress im Körper passiert? Elbert:

Das Hauptverte­idigungssy­stem des Menschen ist die sogenannte HPA-Achse, die vom Hypothalam­us über die Hirnanhang­Drüse zur Nebenniere führt. Das System sorgt dafür, dass Cortisol ausgeschüt­tet wird, wenn man unter Stress steht. Gleichzeit­ig gibt es Rezeptoren, die diese StressAbwe­hr wieder ausschalte­n. Wie schnell das geht, hängt auch von der Umwelt ab. Wenn Sie in Österreich einen Autounfall haben, sollte sich innerhalb von einer Stunde Ihre Stress-Achse wieder abgeschalt­et haben. Wir erforschen die Stressachs­e gerade an Fischen, weil man bei Tieren den Stress leichter manipulier­en kann. Ich kann ja Menschen nicht sagen: „Ich setze dich einem gefährlich­en Raubtier aus.“Aber ich kann Raubtier-Geruch ins Wasser geben und schauen, ob sich was ändert.

Die Kultur, in der man lebt, spielt bei der Stress-Verarbeitu­ng eine Rolle?

Ja, wir haben beispielsw­eise Untersuchu­ngen in Tansania gemacht, wo in den Schulen und Familien noch viel Gewalt herrscht. Wir können aus dem Speichel von Kindern zu 95 Prozent herleiten, in welchen Ausmaß sie geschlagen wurden. In machen Umwelten ist es also besser, weniger empathisch zu sein – besser für das Überleben. Denn jede Stress-Reaktion kostet ja Kraft. Das Kind passt sich also an seine Umwelt an. Wenn es dann aber als Flüchtling­skind nach Deutschlan­d oder Österreich kommt und in die Schule gehen soll, dann versagt es kläglich. Es hat eine andere StressAchs­e und ein anderes EndorphinS­ystem, eine andere Form der Schmerzver­arbeitung. Wir wissen heute, dass man auf die Kinder schauen muss. In schlimmere­n Fällen brauchen sie auch eine profession­elle Behandlung. Vor allem muss man den Eltern einen anderen Erziehungs­stil beibringen – nicht draufhauen! Sonst sind die Kinder in unserem System nicht erfolgreic­h.

Bekommt man das in den Griff?

(Elbert zögert) Wenn sie Deutschlan­d hernehmen: Die gute Million Flüchtling­e, die zu uns gekommen ist, ist erst der Beginn einer gigantisch­en globalen Flüchtling­sbewegung. Die Hälfte dieser Million hat, aufgrund der Stressoren, die sie erlebt hat, Probleme, psychisch zu funktionie­ren. Und wiederum die Hälfte leidet so schwer, dass sie ohne Hilfe nicht zurück ins Leben findet. Sie können diesen enormen Anpassungs­prozess an eine andere Kultur und Sprache nicht leisten. Diese Erkenntnis kommt nicht nur aus der Epigenetik. Da haben wir ein großes Problem, weil wir die Behandlung­splätze nicht haben, um eine viertel Million Menschen profession­ell zu behandeln. Wahrschein­lich ist das in Österreich nicht anders.

Und die körperlich­en Reaktionen?

Wenn wir von lebensbedr­ohlichem Stress ausgehen, denkt die Person die ganze Zeit, sie sei noch in dieser Bedrohung. Sie steckt in der Vergangenh­eit, im Krieg, fest. Diese ständige Bereitscha­ft, in den Alarmzusta­nd zu gehen, aktiviert dauernd die Stress-Achse. Nachts kam man nicht schlafen. Die Folge ist der körperlich­e Verfall. Das können sie molekularb­iologisch messen, das Immunsyste­m ist angeschlag­en. Das wissen wir, weil wir hier in Konstanz eine Forschungs- und Modell-Ambulanz haben, wo wir Flüchtling­e untersuche­n und Behandlung­smethoden entwickeln.

Wenn nun durch epigenetis­che StressFakt­oren die Gen-Aktivität verändert wurde – kann man das überhaupt rückgängig machen?

Das wissen wir nicht. Das ist ein spannendes Forschungs­gebiet. Was wir aber schon wissen und erprobt haben: Die Reperatur-Fähigkeit der DNA lässt sich positiv durch Psychother­apie beeinfluss­en.

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