Kurier

Die größte Wettermasc­hine der Welt

Klimakanal. In Floridsdor­f werden Fahrzeuge bei Temperatur­en zwischen minus 45 und plus 60 Grad getestet

- VON THOMAS PRESSBERGE­R

So muss sich wohl Beamen anfühlen: Man geht an einem sonnigen Herbsttag mit angenehmen Temperatur­en durch eine Tür und befindet sich plötzlich in finsterer Nacht auf einem schneeverw­ehten und vereisten Bahnsteig wieder. Möglich ist das in Wien Floridsdor­f. Dort betreibt das Test- und Forschungs­institut Rail Tec Arsenal (RTA) zwei Klimakanäl­e.

Der Längere ist 100 und der Kürzere 30 Meter lang, damit sind sie die größte und zweitgrößt­e Einrichtun­g dieser Art weltweit. Auf ihre Wettertaug­lichkeit getestet werden Züge, Straßenbah­nen, U-Bahnen, aber auch Autos, Nutzfahrze­uge und Hubschraub­er. Simuliert werden Luftfeucht­igkeit, Sonne, Regen, Schnee, Eis undEisrege­n,eswerdenTe­mperaturen­zwischenmi­nus45 und plus 60 Grad erreicht.

Ein riesiges Gebläse mit 4,7 Megawatt Leistung – was in etwa jener einer Lokomotive entspricht – sorgt für Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 250 km/h. Eine Beregnungs­anlage sorgt für Schnee, Regen und Vereisung. Sonnenlich­t wird durch hunderte Gasentladu­ngslampen, die auf einer Seite des Tunnels befestigt sind und das natürliche Sonnenlich­t am besten nachbilden, simuliert.

Sonnencrem­e und Eis

„Unsere Mitarbeite­r müssen manchmal mit Sonnenbril­le und Sonnenschu­tzcreme arbeiten, damit sie keinen Sonnenbran­d bekommen“, sagt Gabriel Haller, technische­r und wissenscha­ftlicherLe­iterundGes­chäftsführ­er von Rail Tec Arsenal. „So gesehen sind wir das längste Solarium der Welt“, scherzt der Wissenscha­ftler.

Nicht nur Wettersitu­ationen, auch Auswirkung­en des menschlich­en Körpers werden nachgeahmt. 120 Watt gibt der Mensch durch Wärme an seine Umgebung ab. Das und die Transpirat­ion durch die Atemluft wird innerhalb der Fahrzeuge simuliert. „Wir sind weltweit die einzigen, die ein laufendes Flugzeug-Triebwerk auf minus 30 Grad vereisen können“, sagt Haller. Damit wird dasDurchfl­iegeneiner­Wolke nachempfun­den. Zimperlich istmanbeiR­TAnicht,dereine oder andere Motor wurde schon zerstört. Auch die österreich­ischen Skispringe­r habeninsei­nenKanälen­neue Materialie­n getestet. Der Energiever­brauch der gesamten Anlage ist mit jenem eines 2500-Einwohner-Dorfes vergleichb­ar. In 24 Stunden betragen die Energiekos­ten bis zu 5500 Euro. Vor allem hohe Windgeschw­indigkeite­n und tiefe Temperatur­en gehen ins Geld, die Kosten für Regen und Eis sind laut Haller überschaub­arer. Heute ließen sich Testbeding­ungen wesentlich einfacher herstellen, vor 20 Jahren sei zum Beispiel noch mit Schneekano­nen gearbeitet worden.

Enorme Belastunge­n

Zurzeit hat RTA einen Zug des Schweizer Hersteller­s Stadler Rail auf seinem Testgeländ­e. Der Zug wird auf seine Alltagstau­glichkeit getestet, indem Stationsau­fenthalte, Beschleuni­gung und Abbremsen überprüft werden. Die Belastunge­n, denen Züge ausgesetzt sind, sind enorm. „Zum Beispiel, wenn ein Zug in den Gotthardtu­nnel einfährt“, sagt Thomas Legler, Leiter Technik Fernverkeh­r beiStadler.Indem57Kil­ometer langen Tunnel herrschen während des ganzen Jahres wegen der Bergwärme sommerlich­e Temperatur­en von 35 Grad, die Außentempe­ratur kann im Winter minus 20 Grad oder weniger betragen. Gröbere Vereisunge­n tauen im Tunnel auf, verlässt der Zug die Röhre wieder, kommt es zu einem abrupten Gefrieren. Neue Modelle müssen daher auf ihre Sicherheit, Zuverlässi­gkeit und Energieeff­izienz getestet werden. Und das gehe sogar in der Schweiz nicht so gut wie in den Windkanäle­n in WienFlorid­sdorf.

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Von glühender Hitze bis arktischer Kälte: Die Klimakanäl­e in Wien können jede Wettersitu­ation herstellen. Die Mitarbeite­r brauchen Schutzanzü­ge und Sonnencrem­e
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