Kunstbahnrodeln.
Der Tiroler David Gleirscher holte sich völlig überraschend die Goldmedaille.
Olympiasieger sehen anders aus. Sie blicken nicht hilflos um sich. Sie schütteln nicht ungläubig den Kopf, sie zucken auch nicht fragend mit den Achseln. Und schon gar nicht hören sie auf den Namen David Gleirscher.
David wer? David was? David wie bitte?
So muss es nahezu allen gegangen sein an den ersten beiden Tagen bei den Winterspielen in PyeongChang. Den österreichischen Sportfans, die mit diesem Namen noch vor 24 Stunden vermutlich nichts anfangen konnten. Der rodelnden Konkurrenz, die den Stubaier offensichtlich nicht auf der Medaillenrechnung hatte. Und nicht zuletzt wusste auch David Gleirscher nicht, wie ihm gestern in Südkorea geschah. „Ich bin sprachlos“, stammelte der Tiroler. „Ich habe gerade keine Ahnung, was da gerade passiert ist.“
Lange Durststrecke
Vielleicht ist es für David Gleirscher ein kleiner Trost, dass es in PyeongChang gestern praktisch allen so erging. Wer hatte schon mit einem österreichischen Olympiasieg gerechnet? Wer hatte denn schon gedacht, dass ein junger Mann namens David Gleirscher als erster heimischer Kunstbahnrodler nach einem halben Jahrhundert (Manfred Schmid, 1968) wieder einmal Gold im Herren-Einsitzer holen würde? „Das ist alles ein Wahnsinn“, sagte David Gleirscher.
Ja, der Tiroler hatte am Samstag zum Auftakt gleich einmal einen Bahnrekord aufgestellt, und klar, er hatte sich dann auch im zweiten Lauf überraschend keine Blöße gegeben und schließlich den ersten Tag hinter dem deutschen Seriensieger Felix Loch auf Rang zwei beendet. Aber wir reden hier immerhin von Olympia, wir sprechen über einen Rodler, der noch nie zuvor in seiner Karriere im Weltcup auf ein Siegespodest gerodelt war.
Letzte Wahl
„Der David war immer mein Joker“, sagt Rene Friedl mit einem Anflug von Genugtuung. Der deutsche Cheftrainer der österreichischen Rodler hatte auf den letzten Abdruck David Gleirscher für die Olympischen Spiele nominiert, obwohl dessen jüngerer Bruder Nico Gleirscher und auch Armin Frauscher im Weltcup die besseren Einzelergebnisse vorweisen konnten. „Aber ich wusste, dass er diese Bahn kann.“
Es war im Trainingskurs im Herbst, als sich Gleirscher seinen Startplatz sicherte. Der 23-Jährige bewältigte damals den anspruchsvollen Kurs so souverän, er fand dermaßen sicher den schnellsten Weg durch das Kurvenlabyrinth rund um die berüchtigte Neun, dass dem Trainer sofort klar war. „Der ist heiß.“
Und wie heiß er auf dem koreanischen Eis war. Während ein Favorit nach dem anderen vom Medaillenkurs abkam, blieb David Gleirscher die Gelassenheit in Person. Im dritten Lauf rutschte er kurzzeitig auf den drittenRangzurück,umdannim „Eiscanale Grande“für ein Finale Grande zu sorgen. Auch dank der Mithilfe der Konkurrenz. Erst blieb der US-Amerikaner Chris Mazdzer hinter dem Österreicher, dann leistete sich auch noch der hochdekorierte und hochveranlagte Titel- verteidiger Felix Loch einen Ausrutscher. „Dass ihm so ein Fehler passiert, damit hätte ich nie gerechnet“, sagte Gleirscher. „Es tut mir ehrlich gesagt leid um ihn.“
Der Olympiasieger setzt damit eine rot-weiß-rote Erfolgsserie im Eiskanal fort. Seit 1992 haben die Kunstbahnrodler noch bei jeden Olympischen Spielen zumindest eine Medaille geholt. Der sechste Olympiasieg der heimischen Pratzler macht freilich Lust auf mehr. „Wir können noch einiges erreichen“, sagt Sportdirektor und Mister Rodeln Markus Prock. „Im Doppelsitzer und im Teambewerb sind wir auch dabei.“
Doch daran dachte Gleirscher noch nicht. Weit nach Mitternacht feierte er im Austria House so heftig, dass die Sponsorwand umstürzte. Außerdem verletzte sich der Olympiasieger am Zahn. „Es war die Champagnerflasche, aber heute nehme ich das hin.“