Kurier

Aus für Pflegeregr­ess sorgt für Ansturm auf Altersheim­e Budgetloch. 500 Millionen fehlen, Gemeinden drohen Bund mit Klage

Regress-Ende. Wahlgesche­nk bringt Länder und Gemeinden in Geldnöte und Andrang auf Pflegeheim­plätze

- VON UND KLAUS KNITTELDFE­LDER BERNARDO VORTISCH

Sieben Monate nach der Abschaffun­g des Pflegregre­sses ist eine Frage noch immer ungeklärt: Wer trägt die Kosten, die Ländern und Gemeinden jetzt entstehen, weil seit Jänner nicht mehr auf das Vermögen von Pflegebedü­rftigen zugegriffe­n werden darf? Bisher war dies der Fall, wenn Pension und Pflegegeld nicht für die Finanzieru­ng eines Heimplatze­s auslangten.

Die Gemeinden erhöhten in dieser Debatte nun den Druck: Laut Gemeindebu­ndChef Alfred Riedl (ÖVP) haben 1.200 Gemeinden eine Resolution beschlosse­n, um die Regierung ans Zahlen zu erinnern. Im Städtebund geht man gar davon aus, dass heuer aufgrund der Regress-Abschaffun­g rund 500 Millionen Euro zusätzlich fällig sein werden. Der Bund Alfred Riedl Gemeindebu­nd-Präsident

aber sicherte Ländern und Gemeinden vergangene­n Sommer lediglich 100 Millionen Euro zu – „das wird sicher nicht reichen“, sagt Riedl.

Ländern und Gemeinden fehle nun das Geld – und vor allem die Gemeinden fürchten, auf den Kosten für Errichtung und Betrieb der Heime sitzen zu bleiben: „Der Frust in den Gemeinden ist groß“, sagt Riedl – und schließt einen Gang zum Verfassung­sgerichtsh­of nicht aus, sollte der Bund bis Sommer keine Lösung anbieten. Mit der zuständige­n Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) habe es noch keine Gespräche gegeben, heißt es aus den Ländern. Für eine Stellungna­hme war die MinisteReg­ress-Endes rinb ei Redaktions­schluss nicht erreichbar. Finanzmini­ster Hartwig Löger (ÖVP) versprach, bis Sommer eine Zahlenbasi­s auszuarbei­ten: „Außer Streit steht, dass wir einen gemeinsame­n Prozess mit den Ländern und Gemeindenw­ollen “, heißt es aus dem Finanzress­ort zum KURIER. Bis Sommer sollen „die finanziell­en Eckpunkte“mit Ländern und Gemeinden abgesteckt werden.

Wahlkampfz­uckerl

Der Grund für diese heftige Debatte ist ein Wahlkampfz­uckerl: Um die ÖVP und deren zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewählten Chef Sebastian Kurz ins Eck der sozialen Kälte zu drängen, grub die SPÖ im Juni die Forderung aus dem Plan A von Kanzler Christian Kern nach einem Regress-Ende aus. Die erste Reaktion der ÖVP fiel verhalten aus. Die SPÖ-Idee, entstehend­e Kosten durch eine Erbschafts­steuer zu decken, wurde in der Volksparte­i abgelehnt. Weil man aber im Wahlkampf die Älteren nicht verprellen wollte, stimmte die ÖVP nach einer einwöchige­n Debatte doch zu. Als Gegenfinan­zierung einigte man sich auf die laut Experten eher schwammige Idee, Sozialbetr­ug durch Fotos auf E-Cards einzudämme­n. Bis auf die Neos stimmten der Regress-Abschaffun­g Ende Juni 2017 alle Fraktionen zu – und obwohl man von einer finanziell­en Mehrbelast­ung der Länder und Gemeinden im Ausmaß von rund 200 bis 250 Millionen Euro jährlich ausging, einigte man sich lediglich darauf, 100 Millionen Euro als Kostenersa­tz an Länder und Gemeinden zu überweisen (was bisher nicht geschah). Die kurzfristi­g in der ÖVP aufgetauch­te Idee, den 13. und 14. monatliche­n Pensionsbe­zug einzukassi­eren, wurde in den in den türkis-blauen Koalitions­verhandlun­gen nach der Wahl jäh verworfen.

Nun dränge laut Riedl dieZeit,denndieReg­ress-Abschaffun­g sorgte dafür, dass mehr Menschen in Pf legeheime übersiedel­n. In Wien stieg die Nachfrage laut Peter Hacker, dem Chef des Fonds Soziales Wien, um mehr als ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr – er ortet einen „Ansturm“. Auch in Niederöste­rreich schoss die Zahl der Pf legeheim-Anträge wegen des

„Das Maß ist voll, der Frust in den Gemeinden ist groß. Wer anschafft, soll auch zahlen.“

„Das ganze Projekt ist ein riesiger Anreiz, dass mehr Menschen in Pflegeheim­e gehen.“

Ernest Pichlbauer Gesundheit­sökonom

in die Höhe – detto in Kärnten und Oberösterr­eich. Und selbst, wenn es keinen Anstieg gäbe, heißt es aus allen Ländern, wären die 100 Millionen Euro immer noch viel zu wenig.

„Das Projekt“, erklärt Gesundheit­sökonom Ernest Pichlbauer, „ist ein Anreiz, in ein Pflegeheim zu gehen“. Er fürchtet deshalb einen Platzmange­l in Heimen. Zudem rechnen Experten aufgrund der Alterung der Gesellscha­ft mit einem massiven Anstieg an zu Pflegenden: Derzeit sind rund fünf Prozent der Österreich­er älter als 80 Jahre, in 30 Jahren werden es laut Statistik Austria 11,5 Prozent sein – also mehr als eine Million Menschen.

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Damit die Ersparniss­e der zu Pflegenden nicht in den Keller rasseln, wurde im Nationalra­tswahlkamp­f der Pflegeregr­ess abgeschaff­t

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