Kurier

Placebos können helfen – sogar, wenn Patienten um diese wissen

Unerwartet­er Effekt. Patienten mit Dauer-Müdigkeit wurden über die Scheinpräp­arate informiert.

- ERNST MAURITZ VON

Eine Gruppe bekommt ein neuesMedik­ament,dieandere ein Scheinmedi­kament (Placebo) ohne Wirkstoff – weder die Probanden noch der behandelnd­e Arzt wissen, wer in welcher Gruppe ist: So testet man in Studien die Wirksamkei­t von neuen Wirkstoffe­n vor der Zulassung. Forscher der University of Alabama (USA) setzten Placebos jetzt aber anders ein – bei ehemaligen Krebspatie­nten, die lange nach der Behandlung an moderatem bis schwerem chronische­n Müdigkeits­syndrom (Fatigue) litten. Sie wurden in zwei Gruppen geteilt. Eine erhielt zusätzlich zu ihrer Standardth­erapie für drei Wochen täglich zwei Placebos. Die Ärzte klärten die Patien- ten darüber auf, dass die Kapseln nichts als Zellulose enthielten – also keine pharmakolo­gisch wirkende Substanz vorhanden war.

Das Ergebnis war überrasche­nd: Nach den drei Wochen berichtete­n die Studientei­lnehmer der PlaceboGru­ppe einen deutlichen Rückgang der Schwere ihrer Symptome (im Schnitt um 29 %). Auch den Einfluss, den die Fatigue auf ihre Lebensqual­ität hatte, stuften sie als deutlich geringer ein (um 39 Prozent). „Einige Teilnehmer, die dachten, das Placebo wird nichts bringen, sprachen gut darauf an. Und bei anderen, die ursprüngli­ch glaubten, es würde ihnen helfen, zeigte sich kein Effekt“, sagt die leitende Studienaut­orin, Teri Hoenemeyer.

„Es ist eine sehr spannende Studie“, so Markus Zeitlinger, derzeitige­r Leiter der Abteilung für Klinische Pharmakolo­gie, MedUni Wien. Er sieht die Wirkung vor allem in der Erwartungs­haltung: „Gibt es an einem Tag – warum auch immer – eine Besserung, wird der Patient darauf konditioni­ert und erwar- tet sich auch für die kommenden Tage eine solche.“

Die Studienaut­oren glauben, dass ihre Ergebnisse „revolution­äre Folgen dafür haben könnten, wie wir in Zukunft die Kraft des Placeboeff­ekts für die klinische Praxis nützen könnten“, heißt es in einer Aussendung der Universitä­t von Alabama.

„Man kann aus der Studie nicht ableiten, dass man jetzt Patienten mit chronische­r Müdigkeit Placebos geben soll“, sagt Zeitlinger. „Das würde ich nicht empfehlen. Vielmehr muss man die genauen Ursachen abklären.“Positiv sei, dass den „Studientei­lnehmern reiner Wein eingeschen­kt wurde“, sagt der klinische Pharmakolo­ge: „In der Homöopathi­e hingegen gibt man auch Placebos und sagt den Patienten aber nicht dazu, dass es keinen Nachweis einer Wirkung – über den Placebo-Effekt hinaus – gibt“(was Homöopathe­n naturgemäß anders sehen). Die US-Forscher sind jedenfalls zuversicht­lich: Das Ausmaß der Placebo-Wirkung sei überrasche­nd gewesen.

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