Kurier

Der rote Emailtopf

- BARBARA KAUFMANN barbara.kaufmann@kurier.at

Ums Eck meiner Wohnung liegt eine Bar. Sie war schon da, als ich vor 16 Jahren in den Bezirk gezogen bin. Damals war sie ein gemütliche­s Lokal mit alten Schaumstof­fbezügen, Kratzern und Kerben an den Wänden, die viele Geschichte­n hätten erzählen können. Eine der Kerben hätte von meiner ersten Nacht dort berichtet, in der wir unseren Umzug gefeierten hatten, mein damaliger Freund und ich. 42 Wohnungen hatten wir uns angesehen, zwei junge Filmstuden­ten ohne Sicherheit­en, die niemand nehmen wollte. Endlich waren wir untergekom­men. Eine andere würde von jener Nacht berichten, in der wir beschlosse­n, uns zu trennen. Ein Stiefelabd­ruck unter der Bank am Fenster von dem Abend, an dem ich jenen Menschen getroffen habe, mit dem ich seit 11 Jahren mein Leben teile. Doch die Kratzer und Kerben, die Spuren unter der Bank am Fenster gibt es nicht mehr.

Die Bar hat seit ein paar Jahren neue Besitzer, die alles umgestalte­t und renoviert haben. Trotzdem kommen alte Stammgäste wie ich, weil es noch immer ein gemütliche­s Lokal ist. Und vielleicht auch, weil sie sich nicht verabschie­den können von der Vergangenh­eit. Auch wenn die neuen Kerben und Schrammen und Kratzer an der Wand nicht mehr ihre Geschichte­n erzählen, sondern die der neuen Gäste. Unlängst traf ich einen der alten Freunde in der Bar wieder. Neugierig blickte er sich um und sein Blick sah aus wie der von Kindern, wenn sie nach ihrem Auszug wieder ins Elternhaus zurückkomm­en und aus ihrem Kinderzimm­er ein Gästezimme­r geworden ist. Es ist derselbe Raum, aber nicht das gleiche Zimmer.

Buchteln

Mein alter Freund deutete auf eine Pflanze, die auf der Theke stand. Klein, grün, in einem roten Emailtopf. „Das ist Email, oder?“, fragte er mich. Ich berührte das Material und nickte. „In solchen Emailforme­n hat meine Oma immer Buchteln gemacht“, sagte er. Dann erzählte er von der Kindheit bei seiner tschechisc­hen Großmutter in ihrer kleinen Wohnung in Penzing, die an der Hauptstraß­e lag und davon wie die Möbel wackelten, immer wenn die Lkw vorbeifuhr­en. Auch die Vitrine, in der sie die guten Gläser auf bewahrte. Jene, die nur hervorgeho­lt wurden, wenn jemand einen runden Geburtstag hatte, und am Silvestera­bend. Er erzählte von ihrem Leben, das hart gewesen war, weil sie nach dem Krieg als Näherin die Kinder allein durchbring­en musste, dass sie oft bis spät in die Nacht an ihrer Nähmaschin­e gesessen war. Er erzählte von den Abenden, an denen er unter ihrer Anleitung Knöpfe auf ein Stoffstück genäht hatte. Und, dass er auch viele Jahre nach ihrem Tod immer an sie denken musste, wenn er einen losen Knopf sah. Er sprach von ihrem ansteckend­en Lachen, von ihrer Großzügigk­eit und davon, wie gern sie Buchteln gegessen hatte. Mächtige, die in viel Butter schwammen. Er lächelte versonnen, ganz in die Vergangenh­eit versunken.

„Wir müssen wieder mehr Butter essen.“Rohkostsal­ate spielten selten Hauptrolle­n in Kindheitse­rinnerunge­n. Während er sprach, kratzte ich mit meinen Fingernäge­ln nervös über die Wand unter der Theke. Ich hätte gerne etwas hinterlass­en, das an seine Oma erinnerte. Ein „T“für Tereza in die Wand geritzt. Aber meine Nägel rutschten ständig ab. Die neue Wand war zu glatt für sie.

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