Kritisch, populär, nah am Geschehen: Harings Erbe lebt weiter
Ruhm. Durch den frühen Tod des Künstlers blieb sein Werk den 1980ern verhaftet. Doch seine Impulse hallen nach
Wäre er nicht so früh einer AIDS-Erkrankung erlegen, würde Keith Haring heuer am 4. Mai seinen 60. Geburtstag feiern. Doch in welcher Position würde er dies tun? Als ein Starkünstler wie Jeff Koons (*1955), der sein populäres Formenrepertoire heute mit einem Atelier-Großbetrieb als Luxusartikel zu Millionenpreisen produziert? Oder wie sein ehemaliger WG-Kollege Kenny Scharf (*1958), der heute auf eine breite Lizenzprodukt-Palette vom Skateboard bis zum Badeschlapfen blicken kann, seine Formensprache seit den 1980er Jahren aber kaum geändert hat? Wäre Haring überhaupt noch Teil der Kunstwelt oder doch eher Sozial- oder Umwelt-Aktivist?
Der „Artivist“und seine Jünger
Solche Thesen müssen notgedrungen Spekulation bleiben. Fest steht, dass die Impulse, die Haring der elitären Kunstwelt wie auch der Popkultur zu seiner Zeit gab, nicht einfach versandeten. Als einen der nächsten Verwandten Harings in unserer Gegenwart sieht Albertina-Kuratorin Elsy Lahner das britische „Kunst-Phantom“Banksy: „Sowohl Haring als auch Banksy können als ,Artivists’ bezeichnet werden, denen es ein Anliegen war beziehungsweise ist, auf aktuelle Themen und Ereignisse im öffentlichen Raum künstlerisch zu reagieren“, schreibt sie im Katalog.
Während Banksy durch seine Schablonenbilder („stencils“) und durch Projekte wie das in Bethlehem nahe der israelischen Sperrzone eröffnete „Walled Off Hotel“immer wieder starke Kommentare zur Tagespolitik abgibt, bleibt die Identität des Künstlers bis heute geheim. Haring war dem gegenüber eine öffentliche Figur, der gern auch Workshops mit Kindern und Jugendlichen abhielt und sich sozial engagierte: Hier sieht Kuratorin Lahner etwa eine Parallele zum südafrikanischen Künstler Robin Rhode (*1976), der sein zeichnerisches Werk oft ebenfalls aus den Galerien in öffentliche Räume hinausträgt und andere Menschen einbindet.
Kurz vor seinem Tod verfügte Haring selbst die Gründung einer Stiftung, die nicht nur sein eigenes künstlerisches Erbe bewahren, sondern auch karitativ tätig sein sollte: Nach wie vor vergibt die Stiftung Förderungen an Sozialprojekte für unterprivilegierte Kinder und Jugendliche. Ein zweiter Förderschwerpunkt sind Organisiationen, die sich der AIDS-Prävention und -Aufklärung verschrieben haben. Die finanziellen Mittel stammen unter anderem aus dem regen Lizenzgeschäft: Dass Haring-Figuren weiterhin auf Sweatshirts gedruckt werden, habe der Künstler ausdrücklich gewünscht, sagt Stiftungs-Chefin Julia Gruen.
Der Umgang mit Harings Werk wirft auch ein Schlaglicht darauf, welch unterschiedliche Bahnen der Ruhm von Künstlern nach deren Tod einzuschlagen vermag. So legte etwa das Werk von Harings Zeitgenossen Jean-Michel-Basquiat (1960 – 1988) nach dem Drogentod des Künstlers einen Höhenf lug am Kunstmarkt hin.
Haring und Basquiat am Markt
Ebenso wie Haring hatte Basquiat seinen Ruf mit Markierungen im Stadtraum begründet. Auch er kultivierte eine gleichermaßen archaische wie elaborierte Bildsprache und überbrückte Gräben zwischen elitärer Kunst und der Straße (Das Städel Museum Frankfurt zeigt bis 27.5. eine große BasqiuatSchau, die Dieter Buchhart, Kurator der Haring-Schau, cokuratierte). Als der Sammler Yusaku Maezawa am 18. Mai 2017 bei einer Sotheby’s-Auktion 110,5 Millionen US-Dollar für ein Werk Basquiats zahlte, war der (vorläufige) Höhepunkt des Hypes um den Künstler erreicht. In derselben Versteigerung wurde auch der bislang höchste Preis für ein Werk Keith Harings erzielt: 6,5 Millionen USDollar. Nur anhand der kunsthistorischen Relevanz ist dieser Preisunterschied zu Basquiat nicht zu erklären. Vielleicht ist die Offenheit und Zugänglichkeit des Künstlers Keith Haring den Superreichen bis heute ein wenig suspekt.