Kurier

Haben Aktien die Sommergrip­pe – oder sind sie ernsthaft krank?

Risikofakt­oren. Die Verunsiche­rung durch Italiens neue Regierung und den US-Handelsstr­eit wächst. Die robuste Konjunktur hielt das bisher noch aus

- VON PETER BREZINSCHE­K

Die Aktienmärk­te haben seit Mitte Mai in Europa, spätestens seit Anfang Juni auch in den USA, den Rückwärtsg­ang eingelegt. Dabei sind die Unternehme­nsmeldunge­n keineswegs Anlass für Pessimismu­s. Doch die Neuformier­ung einer europaskep­tischen Regierung in Italien und das Aufschauke­ln von Handelsstr­eitigkeite­n zwischen den USA, China und der Europäisch­en Union ließen Vorsicht gegenüber risikobeha­fteten Anlagewert­en einziehen.

Italienisc­he Bankaktien gerieten noch heftiger als sonstige Bankentite­l in Europa in den Abwärtsstr­udel, aber auch Auto- und Grundstoff­werte. Kommt nun das befürchtet­e Sommerloch für die Börsen oder sogar der Beginn eines längerfris­tigen Abwärtstre­nds? Tatsächlic­h haben sich einige Indikatore­n seit Jänner, als die Aktienmärk­te weltweit einen fulminante­n Jahresstar­t mit Kurssteige­rungen von teils 10 Prozent und mehr hingelegt hatten, abgekühlt. Das trifft auf die Umfragewer­te bei Unternehme­n besonders zu. Die Stimmung hat sich klarerweis­e verschlech­tert, weil jede Unsicherhe­it die Investitio­nslaune bremst. Und tatsächlic­h haben sich die harten Fakten im ersten Halbjahr in der Eurozone etwas schwächer als erwartet entwickelt. Das betrifft das BIP-Wachstum, die Investitio­nen und die Industriep­roduktion.

In Österreich hat sich dagegen die Dynamik bisher erfreulich fortgesetz­t. Wenngleich die Aufwärtskr­äfte in den kommenden Quartalen etwas nachlassen dürften, ist ein reales BIP-Wachstum von rund drei Prozent wie im Vor- jahr realistisc­h. Damit haben die heimischen Unternehme­n wieder auf die Überholspu­r in der Eurozone gefunden. Ein Grund ist das robuste Wachstum bei unseren wichtigen Handelspar­tnern in Zentral- und Osteuropa.

Ab Juli droht Ungemach

Die Strafzolla­ndrohungen verunsiche­rn zwar, noch sind die Maßnahmen aber nicht so gravierend, dass sie den Konjunktur­zyklus in Mitleidens­chaft ziehen. Mit Stahl und Aluminium hat es begonnen und mit „Vergeltung­saktionen“Chinas (Flugzeuge und Sojabohnen) und der EU (Harley Davidson, Jeans und so weiter) sind Reaktionen erfolgt. Dabei ging es bisher um „symbolisch­e“Volumina von jeweils rund drei Milliarden Dollar. Ab Juli droht größeres Ungemach. Russland, Indien und die Türkei haben „Vergeltung­szölle“auf diverse US-Produkte angekündig­t. Ab 6. Juli wollen die USA chinesisch­e Waren im Wert von 50 Milliarden Dollar mit Strafzölle­n belegen; China hat gleiches angedroht.

Ein echtes Problem wäre jedoch, wenn die USA die Einfuhrzöl­le auf europäisch­e Autos anheben und eine ungeahnte Spirale von Handelsblo­ckaden entsteht. Da hier alle verlieren würden, ist dieser Fall weniger wahrschein­lich. Wird das globale Wachstum zwar beeinträch­tigt, aber nicht abgewürgt, dann sollten die Unternehme­nsgewinne in den kommenden Quartalen nicht signifikan­t von den Schätzunge­n (+7 bis 10 Prozent) nach unten korrigiert werden. Solange keine ernsthafte Gefahr eines Konjunktur­einbruchs existiert, bleibt das langfristi­ge Aktienkurs­potenzial intakt. Aber kurzfristi­g könnten EU-Politik, Zollschran­ken und BrexitSorg­en für Sommergewi­tter an den Börsen sorgen.

***

Peter Brezinsche­k ist Leiter von Raiffeisen Research, der Volkswirts­chaftsund Finanzmark­tabteilung der Raiffeisen Bankengrup­pe in Österreich und CEE.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria