Kurier

Platter droht Deutschen mit „Stau bis Nürnberg“

Asylpoliti­k. Tirol will Verschärfu­ng der Grenzkontr­ollen nicht hinnehmen

- VON CHRISTIAN WILLIM, RAFFAELA LINDORFER, SANDRA LUMETSBERG­ER

Nach der Einigung der deutschen Unionspart­eien auf ein „neues Grenzregim­e“zu Österreich kommen nun scharfe Töne aus Tirol. Am Mittwoch warnte Landes hauptmann Günther Platter (ÖVP) den Nachbarn eindringli­ch vor nationalen Alleingäng­en und drohte mit Grenzkontr­ollen am Brenner, aber auch in Kufstein beider Einreise nach Tirol.

„Tirol darf nicht das Wartezimme­r Europas werden. Wenn Deutschlan­d nationale Maßnahmen setzt, bedeutet das auch, dass wir ebenfalls nationale Maßnahmen setzen müssen“, sagte Platter bei einer eigens einberufen­en Pressekonf­erenz. Mit deutlichen Bildern skizzierte er, was Deutschlan­d vor allem in der Reisezeit erwarten würde. „Wenn wir in der aktuellen Situation den Brenner sperren würden, würden dort nicht hunderte Flüchtling­e warten, sondern es würden 100.000 deutsche Touristen auf ihre Heimreise warten “, so Platter. Für ihn wären aber auch Kontrollen in Kufstein bei der Einreise von Bayern nach Tirol Richtung Italien„ eine logische Konsequenz der deutschen Maßnahmen. Das würde einen Stau bis Nürnberg zur Folge haben .“

Wie die deutschen Pläne genau aussehen und welche Auswirkung­en das für Österreich konkret hätte, ist nach wie vor unklar. Damit Gegenmaßna­hmen ausbleiben, muss Deutschlan­d laut Platter aber„ die Situation so lassen, wie sie ist .“Der Tirolerwie­s einmal mehr auf die Sensibilit­ät der Brenner-Grenze hin und die ohnehin rückläufig­e Migration auf dieser Route. Kontrollen könnten

nur ein allerletzt­es Mittel sein. „Wenn die Grenzbalke­n am Brenner wieder installier­t sind, ist ein Europa ohne Grenzen gescheiter­t.“

Der deutliche Warnruf Platters scheint kein Alleingang zu sein. Er betonte vielmehr, dass er sich „in engster Abstimmung mit Bundeskanz­ler Sebastian Kurz“befinde und man fest entschloss­en sei, jegliche negative Auswirkung auf Tirol zu verhindern. War der Vorstoß Platter sakkordier­t,wurd eder wort gewaltigeT­iroler Landes chef vorge schickt? Im Regierungs­büro will man sich auf KURIER-Nachfrage nicht auf ein Vorgehen festlegen, verweist auf den Stand von Dienstagab­end: „Die deutsche Position und die konkreten Maßnahmen sind noch nicht ausreichen­d bekannt. Wir sind aber für alle Eventualit­äten vorbereite­t .“Einen Vorgeschma­ck auf das von Platter an die Wand gemalte Szenario gibt es ab kommenden Montag. Von 9. bis 13. Juli werden weg endes EU-Rats treffens der europäisch­en Innenminis­ter in Innsbruck die Grenzkontr­ollenam Brenner und inKufste in temporär hochgefahr­en.

Seehofer zu Transitzen­tren

Dort wird sich auch Innenminis­ter Horst Seehofer erklären, genauso wieheutein­Wien, woerAmtsko­llegen Kickl und Kanzler Kurz trifft. Vor wenigen Wochen war die Atmosphäre in Berlin noch entspannt. Da standen Seehofer und Kurz gut gelaunt Seite an Seite: Der Alte schwärmte von der Partnersch­aft, der Junge lobte die Unterstütz­ung, vor allem bei der Debatte um die Schließung der Balkanrout­e. Und beider Gelegenhei­t verkündete­n sie auch ihre nächste Mission: Eine Herbert Kickl Innenminis­ter (FPÖ)

Wende in der Asyl- und Flüchtling­spolitik, die man in einer Allianz mit Italien vorantreib­en wolle.

Die Kanzlerin wurde davon allerdings nicht informiert. Auch den bereits schwelende­n Unionsstre­it klammerten sie aus. Kurz wollte sich nicht einmischen, sagte er vor der Presse, auch nicht nach Nachfragen etwaiger Folgen für Österreich. Was viele Beobachter hier staunen ließ. Innenminis­ter Kickl begrüßte Tage später in Brüssel die deutsche Debatte, dadurch sei eine neue Dynamik entstanden, meldete die APA. Mögliche Rückweisun­gen von Flüchtling­en nahm er gelassen: Man sei mit dem deutschen Innenminis­terium „bestens akkordiert“.

Vor einer Woche veränderte­s ich dann der Ton: Kurz warnte seinen Verbündete­n Seehofer via Bild- Zeitung vor einem Alleingang. Am Dienstag kündigte er im Beisein von Vizekanzle­r und Innenminis­ter an, keine Verträge zulasten Österreich­s abzuschlie­ßen. Aber man wolle erst einmal abwarten, ob der deutsche Kompromiss auch Realität werde.

Bedenken hat vor allem die SPD. Sie stört sich besonders anden Tran- sitzentren. Natascha Kohnen, SPDVize und Spitzenkan­didatin bei der Landtagswa­hl in Bayern, kritisiert via Süddeutsch­en Zeitung: „Geschlosse­ne Lager werden von uns nicht akzeptiert, weder in Bayern noch sonst wo in Deutschlan­d.“Ob die SPD dem zustimmt, wird sich zeigen. Heute Abend wolle man mit der Union beraten.

Bis dato war über die Transitzen­tren wenig bekannt. Wie viele Menschen davon betroffen wären? Im laufenden Jahr wurden bis Mitte Juni 18.349 Asylsuchen­de in Deutschlan­daufgenomm­en, diebereits in der europäisch­en Fingerabdr­uckdatei erfasst waren. Laut Experten eine geringe Zahl, die auch die Dringlichk­eit des Unionskomp­romisses in Frage stellt.

Kanzlerin Merkel erklärte sich dazu in der ARD. Sie ließ wissen, dass es in den Zentren eigene Bereiche für Frauen und Kinder geben soll. Der Aufenthalt in den Zentren sei „sehr beschränkt“. Nach dem Grundgeset­z dürfe die Freiheit eines Menschen „nur maximal 48 Stunden“eingeschrä­nkt werden. Innerhalb dieser Zeit „muss dann die Über stellung in das andere Land erfolgt sein“. „Ansonsten ist diese Prozedur, dieses Verfahren über das Transitzen­trum nicht möglich.“LautBe richtendes Red akt ions netzwerks Deutschlan­d soll See hof er Liegensc haftender Bundes polizei etwa in Passau, Rosen heim oder am Münchener Flughafen im Visier haben. Die Zentren könnten „ohne jeden Zeitverzug“in Betrieb genommen werden, sobald entspreche­nde Vereinbaru­ngen zur Rückführun­g von Flüchtling­en mit europäisch­en Nachbarlän­dern abgeschlos­sen seien, heißt es. Eine fixe Vereinbaru­ng mit Österreich wird es morgen noch nicht geben, erklärte Seehofers Sprecherin. Diese sei aber Bedingung für ein Rückführun­gsabkommen zwischen Budapest und Berlin, kündigte UngarnsPre­mierViktor Orbán an, der heute zurdeutsch­enKanzleri­n nach Berlin kommt.

„Es wird überhaupt keine Zurückweis­ungen an Österreich geben, die über das hinaus gehen, was jetzt ist.“

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APA / JOHN MACDOUGALL Doch-nochInnenm­inister Seehofer wird in Wien sein Kompromiss­papier erklären müssen
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