Kurier

Die oberste Richterin beugt sich polnischer Justizrefo­rm nicht

Proteste. Sorge um Rechtsstaa­tlichkeit im Land

- – JENS MATTERN, WARSCHAU

Das Oberste Gericht in Warschau ist umstellt von verschiede­nen Bauzäunen, die wie ein Sinnbild der verworrene­n politische­n Situation im Land wirken. Etwa tausend Menschen mit polnischen Flaggen und Europafahn­en haben sich vor dem Eingang versammelt und s kandieren :„ Freie Gerichte !“

Es ist Mittwoch morgens‚ der Tag, an dem eines der umstritten­stenGesetz­e Polens in Kraft tritt :27 von 72 Obersten Richterinn­en und Richternkö­nnen nun in den Ruhestand versetzt werden, da sie 65 Jahre und älter sind. Darunter auch die Vorsitzend­e Malgorzota Gersdorf, die der Staatspräs­ident am Dienstag zwangs pensionier­t hat. Sie trat dennoch zur Arbeit an: „Ich mache keine Politik, um das klarzustel­len“, erklärte sie vor der Menge. „Ich trete auf zur Verteidigu­ng des Rechtsstaa­tes.“Nach der Verfassung hat sie noch eine Amtszeit bis 2020.

Janusz, ein Herr mittleren Alters, der über einen Zaun geklettert ist, um Gersdorf zu unterstütz­en, macht sich aus zweierlei Gründen Sorgen. Der Professor für Archäologi­e besucht berufsmäßi­g ab und zu Peru, und Verhältnis­se wie dort will er in Polen nicht haben.

Bedrückend sei jedoch die Anzahl der Protestier­enden – „viel zu wenig“. Dabei zieht der Streit schon seit Langem weite Kreise – die Eingriffe der polnischen Regierungs­partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) in das Justizsyst­em haben seit 2016 die EU-Kommission auf den Plan gebracht. Seit Dezember 2017 läuft ein Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren, an dessen Ende theoretisc­h der Stimmentzu­g Polens stehen kann. Am Montag leitete die Behörde in Brüssel ein so genanntes Vertragsve­rl et zungsv erfahrene in und will vordem Europäisch­en Gerichtsho­f gegen Polen klagen.

Rechtsprof­essor Marcin Matzack, der ebenfalls demonstrie­rt, erklärtdem­KURIER: „Es kommt nun darauf an, dass die Klage dem Gericht vorliegt, bevor der Staatspräs­ident neue Richter ernennt.“Nach Ansicht des Juristen wäre durch die Politisier­ung des Obersten Gerichts nicht nur die Gewaltente­ilung in Polen vorbei, die Institutio­n entscheide auch über die Rechtmäßig­keit des Wahlergebn­isses: „Eine Partei könnte so ewig regieren.“Gleichzeit­ig könnten mittels des neuen Gesetzesau­ch Juristen durch das Oberste Gericht disziplini­ert werden.

40 Prozent für PiS

Die national konservati­ve Regierung wird es sicherlich von der Proteststi­mmung abhängig machen, ob sie dann der Richt er inGers dorf den Zutritt zum Obersten Gericht mittels Polizeigew­alt verwehrt. Zwar sind nach Umfragen immerhin 44 Prozent der Polen dafür, dass die Änderungen um das Oberste Gericht vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f verhandelt werden sollen. Doch das Thema ist komplex und auf dem Land, wo das Gros der PiS-Wählerscha­ft wohnt, scheint das eher weniger zu interessie­ren. In den Umfragen führt die PiS seit Langem mit etwa 40 Prozent, die politische­n Gegner sind weit abgeschlag­en. Vor allem großzügige Sozialleis­tungen wie die Senkung des Rentenalte­rs und die Einführung von Kinder- und Schulgeld überzeugen dieAnhänge­r.

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