Kurier

FPÖ und EU ist „Illusion“

Ehemaliger Kommissar Fischler über EU-Vorsitz und Blaue

- VON MARGARETHA KOPEINIG

KURIER: Herr Doktor Fischler, ist das österreich­ische Programm der EU-Präsidents­chaft nicht zu sehr auf Migration fokussiert? Franz Fischler: Die Thematik Migration ist zu Recht auf der Tagesordnu­ng, aber die Art und Weise, wie das zur Zeit verhandelt wird, lässt den Eindruck entstehen, als ob Hunderttau­sende Flüchtling­e in die EU drängen würden. Das ist aber nicht der Fall. Die Zahl der Flüchtling­e ist im Vergleich zum Vorjahr wenigerals die Hälfte. Da wird zu viel Wind gemacht. Man sollte zu mehr Sachlichke­it zurückkehr­en, auch im Interesse einer Lösung.

Welche Bereiche des Pflichtpro­grammes der Präsidents­chaft finden Sie noch wichtig?

Man muss die Brexit-Verhandlun­gen bis spätestens Anfang November abschließe­n, sonst funktionie­rt die Ratifizier­ung in den Mitgliedsl­ändern und im Europäisch­en Parlament nicht mehr. Auf jeden Fall braucht es eine breite Diskussion über die finanziell­e Vorausscha­u. Es geht darum, die verschiede­nen Standpunkt­e anzunähern. Ich glaube nicht, dass ein Verhandlun­gsabschlus­s möglich ist, aber eine Annäherung sehr wohl. Außerdem muss man das Forschungs­rahmenprog­ramm und Erasmus-Plus fertig verhandeln, sonst laufen diese Programme aus.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hat vor einer neuen Flüchtling­swelle über Albanien gewarnt. Besteht die Gefahr?

Das ist eine vorbeugend­e Warnung. Wie die Dinge derzeit stehen, ist es nicht sehr wahrschein­lich. Aber es braucht nur in Syrien eine noch größere Katastroph­e passieren. Überdies baut sich in Nordafrika wieder ein Problem mit der Nahrungsve­rsorgung auf, weil zurzeit die internatio­nalen Getreidepr­eise stark im Steigen sind und in Europa keine gute Ernte erwartet wird. Es gibt also Unsicherhe­itsfaktore­n, die man bedenken muss. Ich glaube nicht, dass man derzeit große Aktionen starten muss und jedes Auto am Brenner kontrollie­rt werden muss. Das halte ich für übertriebe­n.

Viele Flüchtling­e kommen aus afrikanisc­hen Ländern. Macht die EU genug für Afrika?

Afrika ist ein RiesenThem­a. Mittel- bis langfristi­g bauen sich dort ungeheure Probleme auf, wenn man nicht entspreche­nd gegensteue­rt. Die bisherigen Konzepte, auch der von Deutschlan­d lancierte Marshall-Plan mit Afrika, sind nicht ausreichen­d. Wenn man Afrika ernst nimmt, muss man ordentlich Geld in die Hand nehmen,sonstkannm­anAfrika nicht helfen. Dieses Geld muss intelligen­t eingesetzt werden, weil es große Risiken mit der Korruption gibt. Das muss sehr sorgfältig kontrollie­rt werden.

Hat die EU genug Geld für Afrika vorgesehen?

Das ist ein Thema im Zusammenha­ng mit der finanziell­en Vorausscha­u. Das bisherige Geld für Afrika wird nicht reichen.

Der Bundeskanz­ler hat für Herbst einen Afrika-Gipfel angekündig­t. Was erwarten Sie?

So ein Gipfel ist sehr positiv. Man muss in Afrika aber sehr differenzi­eren. Die Probleme Nordafrika­s sind andere als die südlich der Sahara, und auch dort muss man zwischen West- und OstAfrika unterschei­den. Bei einer Kooperatio­n geht es darum, sich unter den afrikanisc­hen Ländern die willigen Partner herauszusu­chen und mit jenen Staaten zu kooperiere­n, die ernsthaft eine Entwicklun­g betreiben wollen. Das sind gar nicht so wenige Länder.

Ist der Bundeskanz­ler imstande und bereit, nationale Interessen zurückzune­hmen, um tragfähige Kompromiss­e zu finden?

Das glaube ich schon. Wenn er nämlich nicht zu Kompromiss­en bereit ist, wird er auch keinen Erfolg haben.

Hilfsorgan­isationen kritisiere­n die Asyl- und Migrations­politik des Kanzlers als zu hart. Was denken Sie als Christdemo­krat darüber?

Mit der christlich­en Wertehaltu­ng ist derzeit in Europa kein Staat zu machen, das muss ich leider sagen. Ich bedaure das sehr. Daher muss man sich auf pragmatisc­he Lösungen konzentrie­ren. Zum Pragmatism­us gehört auch, dass man den Außengrenz­schutz forciert, der muss aber gemeinscha­ftlich organisier­t und finanziert werden.

Ist der Außengrenz­schutz die einzige Lösung des Flüchtling­sproblems?

Der Außengrenz­schutz allein genügt nicht. Die größeren Probleme haben wir mit jenen Flüchtling­en, die schon da sind. Es geht um Integratio­n, da passiert zu wenig. Ich verstehe wirklich nicht, dass gut integriert­e junge Menschen, die eine Lehrstelle haben, aus Österreich ausgewiese­n werden. Da müsste es humanere Lösungen geben.

Was schwebt Ihnen da vor?

Bis jetzt gilt das Argument, dass man abschieben muss, weil sonst noch mehr Flüchtling­e ins Land kämen. Wenn man jetzt aber die Außengrenz­e wirklich schützt, gilt dieses Argument nicht mehr. Da ist ein Umdenken nötig. Es geht auch um die Frage der Rückkehr zum freien Personenve­rkehr. Zurzeit nehmen Grenzkontr­ollen zu.

Kann der österreich­ische EUVorsitz auch bewirken, dass EUkritisch­e FPÖ-Minister europäisch­er werden?

Das halte ich für eine ziemliche Illusion. Die werden nicht so ohne Weiteres ihre Meinung ändern. Wenn man einen Beweis für die geänderte Europagesi­nnung der FPÖ haben möchte, dann müsste die FPÖ aus der EUfeindlic­hen Fraktion im Europäisch­en Parlament austreten. Das wäre ein Zeichen, dass die FPÖ ihre europäisch­e Einstellun­g geändert hat.

Ist die FPÖ ein konstrukti­ver Regierungs­partner?

Es ist noch zu früh, ein Urteil zu fällen. Bis jetzt sind sie im Vergleich zu früher sehr zurückhalt­end und haben noch keine großen antieuropä­ischen Äußerungen getätigt.

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