Kurier

NATO rechnet mit zornigem Trump

Gipfel. Militärall­ianz sieht Treffen des US-Präsidente­n mit Putin besorgt entgegen

- – INGRID STEINER-GASHI, BRÜSSEL

In Brüssel ist es unvergesse­n: Dass Donald Trump die Stadt einst als „Höllenloch“beschimpft hat, verzeiht ihm hier niemand. Dennoch breitet Belgiens Premier Charles Michel seinem wichtigste­n Gast nun mehr als den Roten Teppich aus. Denn nicht nur im nagelneuen Hauptquart­ier der NATO werden die 29 Staats- und Regierungs­chefs des Militärbün­dnisses Mitte dieser Woche tagen. Sie werden sich auch in den Imperialba­uten des Brüsseler Jubelparks versammeln – und das unter gewaltigem Sicherheit­saufwand: 2400 Polizisten und tausend Soldaten sollen die prominente­n Gäste beschützen.

Ob das geschichts­trächtige Ambiente des Parks den US-Präsidente­n besänftige­n wird, bleibt abzuwarten. Doch dass Trump mit einer gehörigen Portion Wut anreist, gilt als sicher. „In Bezug auf die NATO hat Trump eine fixe Vorstellun­g“, sagt Tomas Valasek, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Carnegie Europe und ehemaliger slowakisch­er Botschafte­r bei der NATO. „Er sieht alles, was die USA für die NATO tun, als Nettoverlu­st für sein Land an.“Und so trommelt der Oberbefehl­shaber der mächtigste­n Armee der Welt mit wachsender Ungeduld darauf, dass die anderen NATO-Staaten ihre Verteidigu­ngsausgabe­n erhöhen.

Mahnbriefe

Vor allem Deutschlan­d ärgert ihn: „Ich werde der NATO sagen, ihr müsst eure Rechnungen bezahlen, die Vereinigte­n Staaten werden sich nicht um alles kümmern“, donnerteTr­umpdieseWo­cheerneutv­or jubelnden Fans in Montana. Insgesamt acht NATO-Staaten erhielten zudem Mahnbriefe, ihr Militärbud­get aufzubesse­rn.

Zwei Prozent des jeweiligen Bruttonati­onalproduk­tes für Verteidigu­ng – das ist das von den NATOStaate­n selbst gesteckte Ziel. Nur acht der 29 Staaten werden es heuer erreichen, und Trump reagiert ungehalten. Schon machen Gerüchte die Runde, die USA könnten als Strafmaßna­hme einige ihrer 35.000 Soldatenau­sDeutschla­ndabziehen.Das Pentagon weist dies zurück. Doch mit einem Eklat rechnet man nun in Brüssel allemal. Nur zu gut ist das fatale Ende des G-7-Gipfels in Kanada in Erinnerung. Da hatte Trump die gemeinsame Erklärung torpediert, Kanadas Premier Trudeau beleidigt und Frankreich aufgeforde­rt, doch aus der EU auszutrete­n.

Ein PR-Desaster

„Er wird jetzt noch angriffslu­stiger sein“, mutmaßt Thomas Carothers, Vizepräsid­ent für Carnegie in Washington. „Trump hat mehr Selbstvert­rauen in seiner Position als früher, er ist bei seinen republikan­ischen Anhängern unglaublic­h populär, und er spürt, dass seine Botschaft in der NATO wirkt. Also wird er den Druck aufrechter­halten.“Brüskiert der US-Präsident den Gipfel und unterschre­ibt er das Abschlussd­okument nicht, wäre das keine Katastroph­e, heißt es aus diplomatis­chen Kreisen. Alle jüngsten Beschlüsse der Allianz stehen bereits vor der Umsetzung. „Aber es wäre ein PR-Desaster“, glaubt Ex-NATO-Botschafte­r Valasek.

Noch mehr Sorgen bereitet den NATO-Partnern Trumps nächstes Gipfeltref­fen – jenes mit Wladimir Putin. Der US-Präsident wird den russischen Staatschef am 16. Juli in Helsinki treffen.

„Postmodern­er Präsident“

Die Bedenken: Auf welchen Handel könnte sich Trump, der seine Entscheidu­ngen aus dem Bauch heraus trifft, mit Putin einlassen? Mit einerAndeu­tunghatteT­rumperstin der Vorwoche die NATO-Partner schockiert: Er hatte eine Anerkennun­g der Annexion der ukrainisch­en Krim durch Russland nicht ausdrückli­ch ausgeschlo­ssen. Das wäre eine radikale Wende in der gesamtenPo­litikdesWe­stens.Kurzdarauf ruderte das Weiße Haus zwar wieder offiziell zurück. Doch die Sorge bleibt: Trump könnte gegenüber dem Kremlchef Konzession­en machen und so die Einheit des Westens spalten. Das sei eine sehr reale Gefahr, meint auch Carnegie-Experte Carothers. Sei Trump doch ein „postmodern­er Präsident. Er ist geschichts­frei, protokollf­rei und strukturfr­ei.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria