Kurier

Ein bisschen drinnen im Binnenmark­t, das sieht Brüssel skeptisch

Reaktionen. Mays „Nein“zu einem harten Brexit wird mit Erleichter­ung gesehen – ob ihre Pläne umsetzbar sind, ist für die EU aber noch nicht klar

- – INGRID STEINER-GASHI BRÜSSEL

„Die Uhr tickt“und „ein Rosinenpic­ken wird es nicht geben“– das sind die zwei mit Abstand am häufigsten zu hörenden Sätze, wenn der Brexit-Chefverhan­dler der EU-Kommission, Michel Barnier, über den kommenden Austritt der Briten aus der Europäisch­en Union spricht. Genau um jenes „Rosinenpic­ken“aber könnte es sich bei den Plänen handeln, die Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May am Freitagabe­nd präsentier­t hat.

Nach dem Brexit steuert London ein Freihandel­sabkommen mit der EU nur für Waren und landwirtsc­haftliche Produkte an. Die drei anderen Freiheiten des Binnen- marktes – Kapital, Dienstleis­tungenundP­ersonenver­kehr– sollen also nicht mehr gelten.

Anders gesagt: Großbritan­nien will ein bisschen drinnen im europäisch­en Binnenmark­t bleiben. Aber wie soll das funktionie­ren?

Die vorläufige Antwort aus Brüssel klingt verhalten: Man werde Mays Vorschläge daraufhin überprüfen, ob sie realistisc­h und umsetzbar seien, twitterte Barnier. „Nachdem, was man bisher weiß, scheint London nun einen Schritt weiter zu gehen. Aber aus unserer Sicht noch immer nicht weit genug“, gibt auch ein EU-Diplomat gegenüber dem KURIER zu bedenken. Um völlige Klarheit zu haben, müsse aber erst einmal Mays sogenannte­s Weißbuch abgewartet werden.

Dieses an die 200 Seiten umfassende Dokument der britischen Regierung soll alle Verhandlun­gsziele Londons für die künftigen Beziehunge­n zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der EU enthalten. Nächste Woche wird Premiermin­isterin May das in Brüssel ungeduldig erwartete Dokument präsentier­en. Sollten in diesem Weißbuch nicht noch weiterführ­ende Pläne festgeschr­ieben sein, „wäre es enttäusche­nd. Denn was man nun erfahren hat, das waren nur Bruchstück­e, und die waren schon bekannt“, betonte der EU-Diplomat.

Zwei Zollsätze

Auf wenig Gegenliebe wird in Brüssel insbesonde­re der Vorschlag Londons stoßen, zwei verschiede­ne Zollsätze einzuheben: einen für Waren, die für den Weitertran­sport auf den Kontinent bestimmt sind; und einen für die Güter, die in Großbritan­nien verkauft werden. Mit diesem Plan hofft London, eine Zollgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland vermeiden zu können. Doch die Idee der verschiede­nen Zollsätze war schon vor einem Jahr einmal von London ventiliert – und von Brüssel verworfen worden.

Für die Verhandlun­gen mit Brüssel wird die Zeit nun knapp: Nur noch sechs Wochen bleiben, bevor die Frist der EU-Kommission für die Vorlage eines Rahmenabko­mmens mit den EU-Mitgliedst­aaten abläuft. Mit den Verhandlun­gen vertraute Diplomaten aber rechnen schon jetzt damit, dass sich die Gespräche wohl bis November oder bis Dezember hinziehen werden.

Mit ihren Vorschläge­n, die May nun auf den Tisch legte, nimmt die Regierung Abschied von einem harten Brexit-Kurs. Das zumindest wird in Brüssel mit Erleichter­ung gesehen. „Denn das ist im Grunde das Ziel von uns allen“, führt der Diplomat aus, „wir wollen einen harten Brexit vermeiden“.

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EU-Brexit-Chefverhan­dler Barnier prüft Mays Vorschläge

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