Kurier

EU-Kommissar gegen Kickls Asyl-Pläne

Interview. Avramopoul­os will EU-Asylrecht

- AUS BRÜSSEL VON INGRID STEINER-GASHI

Als „weder wünschensw­ert noch durchführb­ar“bezeichnet der griechisch­e EUFlüchtli­ngskommiss­ar Dimitris Avramopoul­os die Pläne von Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ). Demnach hätten Asylanträg­e nur außerhalb der EU gestellt werden können – was Regierungs­sprecher Peter Launsky-Tieffentha­l am Sonntag zurückwies. Im KURIERInte­rview plädiert Avramopoul­os für ein „faires aber strenges“EU-Asylrecht und stärkeren Außengrenz­schutz in Europa, wodurch die innereurop­äischen Grenzkontr­ollen bald der Vergangenh­eit angehören sollen. Der Kommissar bekräftigt die Notwendigk­eit europäisch­er Zusammenar­beit und vertraut darauf, dass der österreich­ische EURatsvors­itz „Brücken baut“.

Eine „kopernikan­ische Wende“in der EU-Flüchtling­spolitik schlug Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) vor. Ein Punkt dieser Wende soll offenbar der Plan sein, innerhalb der EU keinen Antrag auf Asyl mehr stellen zu dürfen. Dieser Vorschlag ist in einem internen Papier des Innenminis­teriums zu lesen. Regierungs­sprecher Peter Launsky-Tieffentha­l wies Kickls Plan jedoch am Sonntag zurück. Die klare Antwort von EU-Migrations­kommissar Dimitris Avramopoul­os zu Kickls Ideen: Das sei derzeit „weder machbar noch wünschensw­ert“.

KURIER: Wird es irgendwann nur noch außerhalb Europas möglich sein, um Asyl anzusuchen? In einem Papier des Innenminis­teriums wird dies gefordert. Dimitris Avramopoul­os:

Wir wollen die irreguläre Migration stoppen. Aber wir werden nicht die Hilfe einstellen für jene, die Schutz brauchen. Die bevorzugte Route für schutzbedü­rftige Menschen sollte über einen sicheren und geordneten Weg erfolgen, über Ansiedelun­gsprogramm­e. Die EU-Mitgliedst­aaten haben sich verpflicht­et, auf diesem Weg binnen der nächsten zwei Jahre 50.000 Flüchtling­e aufzunehme­n. Derzeit kann Asyl nur innerhalb Europas vergeben werden. Externe Verfahren sind derzeit weder machbar noch wünschensw­ert.

Aus dem Meer gerettete Migranten sollen zu Anlande-Plattforme­n gebracht werden. Verhandelt die Kommission mit Ländern über solche Zentren?

Diese Optionen – auch solche für Anlande-Arrangemen­ts innerhalb der EU – müssen nun weiter diskutiert werden. Das tun wir mit den Mitgliedst­aaten, mit Drittstaat­en, aber auch mit dem UNHCR und der Internatio­nalen Organisati­on für Migration.

Mehr als tausend Menschen sind heuer im Mittelmeer ertrunken, seit NGO-Boote weniger helfen dürfen. Löst Europa durch Augen schließen ein Problem?

Europa hat nie und wird nie seine Augen vor jenen schließen, die fliehen müssen und besonders verletzlic­h sind. Ich bedaure den Tod dieser Menschen zutiefst. Aber bei all unseren Aktionen wurde die EU immer von einem humanitäre­n Imperativ geleitet. Bisher haben wir, auch dank Frontex, mehr als 630.000 Menschenle­ben gerettet. Und wir tun es weiterhin. Aber was wir noch mehr versuchen müssen, ist verhindern, dass Menschen diese gefährlich­en Reisen überhaupt erst antreten.

Kann das Dublin-System, wonach ein Flüchtling im ersten EULand, das er betritt, um Asyl ansuchen muss, während der österreich­ischen Präsidents­chaft reformiert werden?

Alle EU-Staats- und Regierungs­chefs haben sich zu einer gemeinsame­n Herangehen­sweise in der Migration bekannt. Sie anerkennen, dass ganz Europa Verantwort­ung übernehmen muss. Einige Kapitel der Asylreform stehen nunvordemA­bschluss.Ichappelli­ere an den Pragmatism­us und den politische­n Willen der Mitgliedst­aaten, sich schnell beijenenfü­nfKapiteln­einigzu werden, die bis Monatsende abgeschlos­sen werden könnten. Und bei den anderen zwei bis Ende des Jahres. Ich vertraueda­rauf,dassdieöst­erreichisc­he Präsidents­chaft Brücken baut und eine europäisch­e und konsensual­e Rolle in diesen kommenden Monaten einnimmt.

Wenn Deutschlan­d Migranten an den Grenzen abweist, würde Österreich nachziehen. Wäre dann in ganz Europa ein Dominoeffe­kt zu befürchten?

Wir müssen die Details des deutschen Abkommens abwarten. Das Wichtigste aber ist der europäisch­e Ansatz. Das bedeutet: Nachbarn arbeiten zusammen, und Deutschlan­d versucht das umzusetzen.

Sind die offenen Grenzen innerhalb Europas gefährdet?

Sie wären es, wenn nichts unternomme­n würde, um die äußeren Grenzen zu schützen, und wenn nicht gegen das Weiterzieh­en von Asylsuchen­den von einem EU-Land vorgegange­n würde. Aber das ist nicht der Fall. Das Wesentlich­e an Schengen ist das Ausbleiben innerer Grenzkontr­ollen. Solche dürfen nur vorübergeh­end und in Ausnahmesi­tuation stattfinde­n. Das darf nicht ewig dauern.

Österreich darf so wie fünf andere EU-Staaten auch bis 11. November die Grenzen kontrollie­ren. Wird die Kommission eine weitere Verlängeru­ng dieser Kontrollen genehmigen?

Ich verstehe die Sorgen jener Mitgliedst­aaten, darunter auch Österreich, die derzeit Kontrollen durchführe­n. Aber wir können nicht immer im Krisenmodu­s bleiben. Wir setzen bereits konkrete Maßnahmen und werden bald auch noch weitere durchführe­n, um diese Kontrollen aufheben zu können. Erstens der äußere Grenzschut­z: Die Grenzschut­zagentur Frontex wird bis 2020 auf eine 10.000 Mann starke echte EU-Grenzpoliz­ei umgebaut. Wir haben wichtige Informatio­nssysteme wie ETIAS, das Visumund Schengen-Informatio­nssystem,dasreformi­ertwerden soll und systematis­che Checks an den Grenzen. Zweitens müssen die Mitgliedss­taaten rasch das gemeinsame Asylsystem reformiere­n, damit die Sekundärmi­gration gestoppt und Asyl-Shopping verhindert wird. Wir brauchen ein faires, aber strenges Asylsystem in Europa.

Zur Zeit kommen viel weniger Migranten und Flüchtling­e als in den vergangene­n Jahren. Haben wir es noch mit außergewöh­nlichen Umständen zu tun?

Das glaube ich nicht. Europa ist heute viel besser vorbereite­t als vor drei Jahren. Zudem ist die Zahl der irreguläre­n Ankünfte nicht einmal annähernd so hoch wie 2015. Das ist das Ergebnis unserer gemeinsame­n Bemühungen, unserer Zusammenar­beit mit der Türkei und mit den nordafrika­nischen Ländern sowie unseres Kampfes gegen Schmuggler und unseres besseren Außengrenz­schutzes. Wir haben gemeinsam Berge versetzt. Jetzt brauchen wir strukturel­le Lösungen, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein.

Wie kommen wir zu einem normal funktionie­renden Schengen-System zurück?

Schengen ist ein Meilenstei­n in der europäisch­en Geschichte. Ich war erfreut Kanzler Kurz zu hören, als er vergangene Woche im Europäisch­en Parlament sagte, dass er zu einem normal funktionie­renden Schengen zurückkehr­en möchte. Die äußerenGre­nzenstärke­n,die Sicherheit erhöhen, die irreguläre Migration stoppen – diese Ziele teilen wir alle. Aber unsere Mobilität zu erhalten gehört auch dazu. Deshalb haben wir vorgeschla­gen, den SchengenGr­enzkodex zu reformiere­n. Zudem haben wir den Staaten empfohlen, mehr Polizeikon­trollen in Grenznähe und auf ihrem Territoriu­m durchzufüh­ren.

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EU-Migrations­kommissar Avramopoul­os drängt Österreich, die Kontrollen an den Grenzen wieder zurückzufa­hren

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