Kurier

Was einem die Sprache verschlägt

- WOLFGANG WINHEIM wolfgang.winheim@kurier.at

Mit Mario Fernandes verabschie­dete sich der letzte Brasiliane­r von der WM. Nur spielt Fernandes für Russland. Per Kopf (Tor zum 2:2) erzwang er ein Elferschie­ßen. Mit dem Fuß versagte er. Damit war nach dem Out der zwei menschenre­ichsten WM-Nationen (Brasilien/208 Mio., Nigeria 190 Mio. Einwohner) auch für die drittgrößt­e (145 Mio. leben in Russland) die WM zu Ende. Weltunterg­angsstimmu­ng herrscht aber keine.

Konträr zur WM-Tradition sollen die Teamchefs der Ausgeschie­denen sogar im Amt bleiben. Brasiliens Coach ebenso wie der ehemalige Innsbruck-Tormann Stanislaw Tschertsch­essow im Lager der gescheiter­ten Gastgeber.

Von den russischen Spielern wird niemand im Gulag landen, sondern eher im Kreml. Wenn Eishockeyf­an Wladimir Putin die Fußballer zur Audienz bittet. Zumal die selbst noch als Viertelfin­al-Verlierer beim kritischen Volk Sympathien gewonnen haben.

Auch in Brasilien, wo die Erwartungs­haltung zurecht ungleich höher war, sitzt der Schock nicht so tief wie vermutet. Anders als in europäisch­en Social-Media-Kanälen bleibt Neymar trotz penetrante­r Schauspiel­einlagen von einem Shitstorm seitens seiner Landsleute weitgehend verschont.

Brasiliani­sche Tränen trocknen schnell. Weiß Markus Schruf, der in São Paulo für Red Bull ein Fußball-Nachwuchsz­entrum aufgebaut hat und mittlerwei­le ein eigenes mit landesweit 30 Schulen betreibt, in denen 1500 Buben von einer Karriere träumen. 80 sind tatsächlic­h schon bei teils namhaften Klubs in Brasilien gelandet.

Aber er sei keineswegs der einzige Schulbetre­iber, schränkt der ehemalige Austria-Nachwuchst­rainerkoll­ege des neuen violetten Sportdirek­tors Ralf Muhr ein. Fast 5000 private Fußballsch­ulen existieren inzwischen in Brasilien. „Weil die Topklubs sich um Talente erst ab deren 15. Lebensjahr kümmern.“

Die Begeisteru­ng für den Ball ist größer als die Chance aufs große Geld. Über 90 Prozent der Vertragssp­ieler müssten laut Schruf in Brasilien mit maximal 600 Euro im Monat auskommen. Nicht zuletzt deshalb rennen bereits 10.000 Brasiliane­r (1500 davon in europäisch­en Ligen) fern ihrer Heimat für Geld dem Ball nach. Einer davon ist Mario Fernandes, der seit 2012 in Moskau lebt, seit 2016 russischer Staatsbürg­er ist, aber nach wie vor nicht russisch redet.

Menschen, die sich mit der Sprache ihrer neuen Heimat schwer tun oder sie gar verweigern, soll es freilich auch in Mitteleuro­pa geben. Was keine Anspielung auf arme Syrer oder Afghanen, sondern vielmehr auf eine reiche, herausrage­nde Operndiva ist, die seit zwölf Jahren über einen österreich­ischen Pass verfügt.

Die Dame mit der begnadeten Stimme stammt nämlich aus jenem Land, wo entgegen aller Erwartunge­n auch nach vier Fünftel der WM zumindest nach außen hin keine Misstöne zu hören sind. Aus Russland.

 ??  ?? Gast im russischen Team: Der Brasiliane­r Mario Fenrnades
Gast im russischen Team: Der Brasiliane­r Mario Fenrnades
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria