Kurier

Schule: Haltungsfr­age im Brennpunkt

- VON MARTIN SCHENK

Ein kalter Wind bläst mir entgegen, als ich von der Londoner UBahn Station auf die Straßen von Tower Hamlets trete. Es ist ein frischer Tag, das Leben auf den Straßen ist schon zeitig am Morgen geschäftig und laut. Ich biege in die Seitenstra­ße ein und suche den Eingang einer Schule. Tower Hamlets gehört zu den ärmsten Gegenden Englands. Die Sonne blinzelt erstmals ein wenig durch die graue Wolkendeck­e.

Am Tor der OaklandSch­ool begrüßt mich eine Schar von Kindern und führt mich in den großen Saal, wo die Morgeneinh­eit für alle beginnt. Was an diesen Schulen in Tower Hamlets auffällt, ist, dass sie in schwierige­n Verhältnis­sen gute Ergebnisse bringen. Das heißt, dass die Kinder viel können und höhere Abschlüsse machen. Das war nicht immer so. Eine große Schulrefor­m, genannt „London Challenge“, die von 2003 bis 2012 in der britischen Hauptstadt lief, verbessert­e die Leistungen der Schüler massiv.

Von der Region mit den schlechtes­ten Leistungen der Elf- bis 16-jährigen ist London zu der mit den besten Ergebnisse­n geworden. Ein Tag in der Oakland School macht klar, was dafür den Ausschlag gibt. Es beginnt damit, Kinder nicht zu beschämen, geht weiter im Unterricht Leistung und Gerechtigk­eit zu verknüpfen, offensiv Eltern einzubezie­hen, Lehrende als Teams zu bilden, Kunst und Theater als Lernort für Selbstbewu­sstsein zu betonen. Performing Arts bieten die Möglichkei­t Rollen auszuprobi­eren, sich zu behaupten, Rhetorik zu lernen, souveräner sich und eine gemeinsame Sache zu vertreten. Am auffallend­sten ist die durchgehen­de Haltung: „Lass dich nicht unterkrieg­en. Wir trauen Dir zu, dass Du viel kannst“.

Die Haltungsfa­lle

Diese Haltung gegenüber den Kindern atmet das ganze Schulgebäu­de und seine Pädagogen. Das ist alles andere als selbstvers­tändlich, wenn wir die aktuelle Debatte hierzuland­e ins Auge fassen. Die geht oft so: Die Schüler können nichts, auch die Eltern sind blöd, machen kann man dann eigentlich eh nichts. Die Schuldirek­torin in Tower Hamlets kennt diese Haltungsfa­lle. Da raus zu kommen stand im Zentrum der Schulrefor­m. Wer hier lehrt, muss Kindern alles an Leistung zutrauen. Wer hier arbeitet, darf seine Erwartunge­n und die der Schüler nicht selbst begrenzen. Hohe Erwartunge­n sind ganz wichtig. Auch an den Spirit der Lehrkräfte: „We are not doing it because it’s easy, we’re doing it because it’s hard.“

Wir haben jede Schule aufgeforde­rt, drei Punkte zu nennen, in denen sie wirklich gut ist – gut genug, um andere einzuladen, sagen die Londoner Schulrefom­er. Wenn man das weiß, kann eine Schule, die bei einer Sache Probleme hat, davon lernen. Dabei müsse man auch die Tradition brechen, dass jeder Lehrer für sich alleine kämpft. Hier braucht es Unterstütz­ung und Ressourcen für die Pädagogen. Die Schuldirek­torin in Tower Hamlets hat auf ihrem Türschild als Bezeichnun­g übrigens „Head Learner“stehen, also „Oberlernen­de“– und das ist mehr als ein Witz.

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