Schule: Haltungsfrage im Brennpunkt
Ein kalter Wind bläst mir entgegen, als ich von der Londoner UBahn Station auf die Straßen von Tower Hamlets trete. Es ist ein frischer Tag, das Leben auf den Straßen ist schon zeitig am Morgen geschäftig und laut. Ich biege in die Seitenstraße ein und suche den Eingang einer Schule. Tower Hamlets gehört zu den ärmsten Gegenden Englands. Die Sonne blinzelt erstmals ein wenig durch die graue Wolkendecke.
Am Tor der OaklandSchool begrüßt mich eine Schar von Kindern und führt mich in den großen Saal, wo die Morgeneinheit für alle beginnt. Was an diesen Schulen in Tower Hamlets auffällt, ist, dass sie in schwierigen Verhältnissen gute Ergebnisse bringen. Das heißt, dass die Kinder viel können und höhere Abschlüsse machen. Das war nicht immer so. Eine große Schulreform, genannt „London Challenge“, die von 2003 bis 2012 in der britischen Hauptstadt lief, verbesserte die Leistungen der Schüler massiv.
Von der Region mit den schlechtesten Leistungen der Elf- bis 16-jährigen ist London zu der mit den besten Ergebnissen geworden. Ein Tag in der Oakland School macht klar, was dafür den Ausschlag gibt. Es beginnt damit, Kinder nicht zu beschämen, geht weiter im Unterricht Leistung und Gerechtigkeit zu verknüpfen, offensiv Eltern einzubeziehen, Lehrende als Teams zu bilden, Kunst und Theater als Lernort für Selbstbewusstsein zu betonen. Performing Arts bieten die Möglichkeit Rollen auszuprobieren, sich zu behaupten, Rhetorik zu lernen, souveräner sich und eine gemeinsame Sache zu vertreten. Am auffallendsten ist die durchgehende Haltung: „Lass dich nicht unterkriegen. Wir trauen Dir zu, dass Du viel kannst“.
Die Haltungsfalle
Diese Haltung gegenüber den Kindern atmet das ganze Schulgebäude und seine Pädagogen. Das ist alles andere als selbstverständlich, wenn wir die aktuelle Debatte hierzulande ins Auge fassen. Die geht oft so: Die Schüler können nichts, auch die Eltern sind blöd, machen kann man dann eigentlich eh nichts. Die Schuldirektorin in Tower Hamlets kennt diese Haltungsfalle. Da raus zu kommen stand im Zentrum der Schulreform. Wer hier lehrt, muss Kindern alles an Leistung zutrauen. Wer hier arbeitet, darf seine Erwartungen und die der Schüler nicht selbst begrenzen. Hohe Erwartungen sind ganz wichtig. Auch an den Spirit der Lehrkräfte: „We are not doing it because it’s easy, we’re doing it because it’s hard.“
Wir haben jede Schule aufgefordert, drei Punkte zu nennen, in denen sie wirklich gut ist – gut genug, um andere einzuladen, sagen die Londoner Schulrefomer. Wenn man das weiß, kann eine Schule, die bei einer Sache Probleme hat, davon lernen. Dabei müsse man auch die Tradition brechen, dass jeder Lehrer für sich alleine kämpft. Hier braucht es Unterstützung und Ressourcen für die Pädagogen. Die Schuldirektorin in Tower Hamlets hat auf ihrem Türschild als Bezeichnung übrigens „Head Learner“stehen, also „Oberlernende“– und das ist mehr als ein Witz.