Kurier

„Im Krieg bluten auch die Seelen“

Venedig-Jurypreist­räger Samuel Maoz über Israel, Schicksal und Bildschirm­schlachten

- VON GABRIELE FLOSSMANN

„Foxtrot“war der am meisten gefeierte Film in Israel im vergangen Jahr – aber auch der umstritten­ste. Denn er rührt an einem Tabu: Er kritisiert die israelisch­e Armee.

Die Filmfestsp­iele von Venedig würdigten Samuel Maoz dafür mit dem Großen PreisderJu­ry.Mitseinemg­lühenden Antikriegs­plädoyer „Lebanon“hatte der israelisch­e Regisseur in Venedig schon einmal auf horchen lassen – als Gewinner des Goldenen Löwen 2009. Trauma Wie schon in „Lebanon“geht es auch in „Foxtrot“um den Instinkt des Überlebens, der die Protagonis­ten des Geschehens vor ein moralische­s Dilemma stellt. Als Samuel Maoz zum KURIERInte­rviewkommt,wirkterzur­ückhaltend,fastschüch­tern. Auf keinen Fall aber wie ein einstiger Panzerfahr­er der israelisch­en Armee, der 1982 im Krieg gegen den Libanon diente und seither als Filmemache­r versucht, das Trauma, mit dem er aus den Kampfhandl­ungen hervorging, zu bewältigen. „Ich war ein behütetes zwanzigjäh­riges Kind, das noch nie mit Gewalt konfrontie­rt worden war und nun den Auftrag hatte, Menschen zu töten“, fasst der 1962 in Tel Aviv geborene Regisseur seine Erfahrunge­n zusammen.

In „Foxtrot“erzählt er die Geschichte eines Vaters und einer Mutter, die von der Nachricht über den Tod ihres Sohnes an den Rand der Verzweiflu­ng getrieben werden. Er sei – so teilt man den Eltern mit – als tapferer Soldat beim Einsatz an der libanesisc­h-israelisch­en Grenze gefallen.

In surrealen Bildern zeigt Maoz junge Soldaten, die auf verlorenem Wüstenpost­en eine Schranke bewachen, die hauptsächl­ich von einem Kamel frequentie­rt wird. Mit Zutaten, die an absurdes Theater erinnern, choreograf­iert Maoz einen mysterös-metaphoris­chen Tanz. Einen „Foxtrot“, der die Beteiligte­n immer wieder an den Ausgangspu­nkt zurückführ­t.

KURIER: Was ist für Sie das zentrale Thema des Films? Ist es der Umgang der Eltern mit der Todesnachr­icht des Sohnes, oder ist es die fast absurd anmutende Wartestell­ung Israels auf einen möglichen Krieg? Samuel Maoz: Der Film handelt vor allem davon, dass wir etwas kontrollie­ren wollen, das sich nur schwer kontrollie­renlässt.StarkeGefü­hle wie Schmerz und Trauer lassen sich nur schwer gesellscha­ftlichen Regeln unterordne­n – genauso wenig wie Krieg oder das, was wir „Schicksal“nennen.

Sie nennen den Film „Foxtrot“– also nach einem Tanz, in dem man nach einer gleichblei­benden Schrittkom­bination immer wieder an denselben Ausgangspu­nkt zurückkehr­t. Sehen Sie auch Ihre Protagonis­ten und womöglich sogar ganz Israel in diesem Tanz gefangen?

Die Idee zu diesem Film kammirdurc­heineGesch­ichte, die ich selbst erlebt habe. Ich hatte eines Morgens wieder einmal versucht, meine Tochter rechtzeiti­g für die Schule aus dem Bett zu bekommen. So rechtzeiti­g, dass sie den öffentlich­en Bus hätte nehmen können und ich nicht – wie beinahe jeden Tag – gezwungen wäre, ihr Geld für ein Taxi zu geben, damit sie pünktlich zum Unterricht kommt. Aber wieder einmal war meine Tochter spät dran und wieder hätte sie ein Taxi gebraucht. Es kam zum Streit und ich sagte: Fahr mit dem nächsten Bus. Dann kommst du heute eben zu spät und vielleicht wirst du endlichler­nen,dassdufrüh­er aufstehen musst.

Und dann?

Eine halbe Stunde später hörte ich im Radio, dass genau gegen diesen Bus ein Attentat verübt wurde, bei dem es Dutzende Tote gab. Ich stand unter Schock und es folgte die schrecklic­hste Stunde meines Lebens – bis meine Tochter endlich nach Hause kam. Unverletzt! Wie sich herausstel­lte, hatte sie auch diesen Bus versäumt. Um ihr Taschengel­d hat sie sich dann ein Taxi geleistet. Seither frage ich mich, was ich aus diesem Vorfall lernen sollte. Aber die Wahrheit ist: Wir können aus unserem Schicksal nichts lernen, denn jeder Tag unseres Lebens ist eine neue Herausford­erung.

Würden Sie also den Film in gewissem Sinne als autobiogra­fisch bezeichnen?

Ich habe in der Armee im Libanonkri­eg gedient und das war für mich eine traumatisc­he Erfahrung. Die Vaterfigur in meinem Film hat ähnliche Kriegserfa­hrungen hinter sich – aber das sind schon die einzigen Parallelen. Gefühle wie Angst, Schock, Trauer – aber auch wie Freude oder Liebe – sind als Erfahrung immer wieder neu.

Aber es gibt doch Schicksals­schläge, die die Menschen in Israel auf tragische Weise vereinen, denn nahezu jede Familie hat durch den Holocaust Angehörige verloren. Ist Ihr Film nicht auch eine Metapher für die Traumata solcher menschlich­en Verluste?

Natürlich wollte ich auch diese endlos erscheinen­de traumatisc­he Belastung der israelisch­en Gesellscha­ft zeigen. Aber für mich gibt es

trotzdem entscheide­nde Unterschie­de zwischen den Generation­en. Die Großeltern, die noch direkt vom Holocaust betroffen waren, konntensic­hgegendies­estragisch­e Schicksal nicht wehren. Als Angehörige­r der zweiten Generation habe ich in einem der Nahost-Kriege für Israel gekämpft, also konnte ich mich zur Wehr setzen und musste das auch tun – für meine Landsleute und für mich selbst. Aber seither frage ich mich ständig, welche Alternativ­en es zum Krieg gibt und was ich als Individuum zur Lösung der Konflikte beitragen kann. Es geht ja schließlic­h auch um unsere Kinder, die in Kriegen ihr Leben riskieren müssen.

Obwohl man in Ihrem Film keine Kampfhandl­ungen sieht, hat man das Gefühl, dass irgendwo in unmittelba­rer Nähe der jungen Soldaten einen Krieg gibt.

Die Kriegshand­lungen in „Foxtrot“finden tatsächlic­h nur auf dem iPad des Kommandant­en statt. Auf einem Computersc­hirm wirken Kriege strategisc­h berechenba­r und gerade junge Menschen lassen sich von solchen Eindrücken gerne verführen – auf beiden Seiten der Kampflinie­n. Aber auf den realen Schlachtfe­ldern geht es anders zu. Da bluten nicht nur unsere Körper, sondern auch unsere Seelen. Ich kann nur hoffen, dass es in jedem Land Menschen gibt, die dieses Blutvergie­ßen verhindern wollen. Bis es irgendwann einmal – und daran möchte ich einfach glauben – keinen Krieg mehr gibt.

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Der in Venedig mit dem Jurypreis ausgezeich­nete Film „Foxtrot“startet diese Woche in Österreich im Kino
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Die Eltern geraten über den Tod ihres Sohnes in Verzweiflu­ng
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Samuel Maoz: Hoffen, dass es „keinen Krieg mehr gibt“

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