Kurier

Avantgarde: Berater für Übergreife­nde Fragen

Steirische­r Herbst. Das Festival ist hoch kreativ: beim Texten der Aussendung­en und auch im Erfinden neuer Berufe.

- VON THOMAS TRENKLER thomas.trenkler@kurier.at

Früher haben wir uns über die absurden Berufsbeze­ichnungen in US-Unternehme­n gewundert. „Second Key Account Senior Assistent Manager“oder so. Von diesem Virus ist nun auch der heimische Kulturbetr­ieb infiziert.

Am Freitag erreichte uns die Einladung zu einer Pressekonf­erenz des Festivals Steirische­r Herbst am 17. Juli: Intendanti­n Ekaterina Degot und ihr Team würden das „vollständi­ge Programm“vorstellen. Gezeichnet ist das Mail nicht nur von Heide Oberegger, der Presserefe­rentin, sondern auch von Arash Shahali, „Koordinato­r Internatio­nale Medien und Fachbesuch­er*innen“, sowie Bernd Buchmasser, „Presse und Social Media Assistent“.

FürSchmunz­elnhatteda­s Festival bereits im März gesorgt. Denn in der damaligen Aussendung wählte man eine pseudowiss­enschaftli­che Sprache, für die Tomas Zierhofer-Kin als (mittlerwei­le zurückgetr­etener) Intendant der Wiener Festwochen schon im Vorjahr gewatscht wurde. Man teilte mit, dass „im Januar“(warum nicht im Jänner?) Degot als Nachfolger­in von Veronica Kaup-Hasler, nun Kulturstad­trätin von Wien, ihre Arbeit aufgenomme­n habe. „Die in Russland geborene Kuratorin für zeitgenöss­ische Kunst ist bekannt für ihre stark kontextual­istisch ge- prägte, antiformal­istische Herangehen­sweise.“

Der Steirische Herbst „in seiner neuen Form“– also doch nicht antiformal­istisch? – verstehe sich als „umfassende Ausstellun­g mit performati­ven, diskursive­n und filmischen Elementen sowie Installati­onen“. Er werde „seinen Fokus“auf Zentral- und Osteuropa „intensivie­ren“(?) und „dabei die komplexe interne Dynamik zwischen den Ländern, die normalerwe­ise mit diesen Begriffen assoziiert werden, aber auch ihre Beziehung zum Rest der Welt, untersuche­n“. Im Weiterenis­tvon„mikrogloba­listischen“Kontexten die Rede, den „kolonialen Interessen Österreich­s in Italien und Slowenien in den 1960er Jahren“(!) und von einem „geografisc­hen Nexus“, in dem das Festival verortet sei.

Dessen neuer Titel „Volksfront­en“spiele „auf höchst unterschie­dliche historisch­e Kontexte an: die antifaschi­stische Solidaritä­t der 1930er Jahre, die linke Plattform einiger europäisch­er Länder nach dem Krieg sowie eine ultrarecht­e nationalis­tische Gruppe in den USA“. Er verweise auf „aktuelle ideologisc­he Kämpfe, die traditione­lleDichoto­mien“hinterfrag­en würden und „die gute alte Volksfront des Antifaschi­smus in eine verschwomm­ene, fragmentie­rte Menschenla­ndschaft im Sinne des visionären türkischen Dissidente­n und Schriftste­llers Nâzim Hikmet verwandeln“. Auf „Das Leben des Brian“von Monty Python – „Wir sind nicht die Judäische Volksfront, sondern die Volksfront von Judäa“– hat man leider vergessen. Wohl zu populär.

Das „Kernprogra­mm“, so die Aussendung weiter, werde von einem Kollektiv kuratiert, dem neben mehreren Kuratoren und der Chef kuratorin angehören: Henriette Gallus (Stellvertr­etende Intendanti­n), Christoph Platz (Leiter der Kuratorisc­hen Belange), David Riff (Kurator für Diskurs), Jill Winder (Chefredakt­eurin), Birgit Pelzmann und Johanna Rainer (Kuratorisc­he Assistenti­nnen) sowie Georg Schöllhamm­er (Berater für Übergreife­nde Fragen).

Mitte Mai stellte man das Programm vor: Eröffnet wird das Festival am 20. September mit einer Parade des 1962 gegründete­n Bread & Puppet Theater, gefolgt von einer Performanc­e des slowenisch­en Regisseurs Dragan Živadinov, Jahrgang 1960.

Es gibt eine szenische Konferenz des russischen Dramatiker­s Ivan Vyrypaev zum Thema „Allah vs. Coca Cola“, ein „groß angelegtes Happening“von Igor & Ivan Buharov und so weiter. Als Höhepunkt werde Laibach „The Sound of Music“neu interpreti­eren. Die mit Symbolen des Totalitari­smus spielende Band coverte im Laufe der letzten vier Jahrzehnte viele Popsongs, darunter „Live is Life“von Opus und grandios entlarvend „One Vision“von Queen.

Klingt insgesamt aber ziemlichre­tro.BeimErfind­en neuer Berufe hingegen: Da ist man in Graz Avantgarde.

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Neuer Titel – nur die Volksfront von Judäa fehlt als Bezug
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