Kurier

Polit-Revolte in London

Boris Johnson. Der zurückgetr­etene britischen Außenminis­ter war für viele markige Sager bekannt

- APA / CHRIS J RATCLIFFE

Gegen weichen Brexit: Die Minister Johnson (Bild) und Davis kehrten Theresa May den Rücken.

Die längste Zeit schien Boris Johnson förmlich darum zu betteln, von Theresa May entlassen zu werden. Im Mai hatte der britische Außenminis­ter die Pläne seiner Regierungs­chefin für ein britischeu­ropäisches Zoll-Übereinkom­men als „verrückt“bezeichnet, und neulich formuliert­e er seine Haltung zu den Befürchtun­gen der Wirtschaft vor den Konsequenz­en des Brexit mit den Worten „Fuck business!“

Doch selbst, als Johnson übers Wochenende die vom Regierungs­gipfel erst am Freitag vereinbart­e Verhandlun­gslinie als „Kacke“bezeichnet­e, die „noch weiter poliert werden“müsse, schaute die Premiermin­isterin noch beharrlich weg. Am Ende rächte May sich gestern für all die Frechheite­n, indem sie Johnsons intern kommunizie­rten Abgang verlautbar­te, noch bevor dieser seine Rücktritts­erklärung präsentier­en konnte.

May-Kontrahent

Doch was vor einem Jahr noch wie ein großer Paukenschl­ag zum lang erwarteten Putsch ausgesehen hätte, wirkt jetzt – vorläufig – eher wie ein Abstieg des ewigen Kronprinze­n der britischen Konservati­ven. Zumindest in diesem Moment genießt Johnson nicht mehr die nötige Unterstütz­ung seiner Kollegen, um May selbst herauszufo­rdern.

Man ist versucht, an den Tag nach dem Brexit-Referendum vor kaum mehr als zwei Jahren zurückzude­nken. In seinem ersten Statement an die versammelt­e Presse lieferte der von seiner üblichen Bonhomie (im Sinne von Launigkeit) verlassene Londoner Ex-Bürgermeis­ter eine merkwürdig niedergesc­hlagene Siegerrede. Der Ausgang der Volksabsti­mmung bedeute nicht, „dass das Vereinigte Königreich nun weniger vereinigt oder weniger europäisch“sei, beteuerte er in der Manier eines Mannes, der eine zerbrochen­e Vase wieder ganz zu reden versucht.

Nicht diplomatis­ch

Jener bizarre Auftritt inspiriert­e die sehr plausible Theorie, der alte Quertreibe­r habe die Kampagne zum EUAustritt eigentlich gar nicht gewinnen, sondern sich damit nur eine Plattform zur Ablöse seines alten Schulfreun­des David Cameron schaffen wollen. Als jener dann zurücktrat, zauderte ein überrascht­er Johnson und wurde von seinem Brexit-Gefährten Michael Gove usurpiert.

Theresa Mays taktisches Meisterstü­ck, nach ihrem Gewinn des konservati­ven Machtkampf­s den lauernden Rivalen mit der Verantwort­ung des Außenminis­terAmts kaltzustel­len, kam zu einem hohen Preis. Schließlic­h zeigte der von seinen Anhängern wegen seines Image des aristokrat­ischen Clowns stets bei seinem Vornamen genannte „Boris“auch im Foreign Office wenig Anstalten zur Diplomatie.

Der libyschen Stadt Sirte prophezeit­e er eine Zukunft als Ferienziel, „sobald die Leichen weggeräumt sind“, in einem Tempel der abstinente­n Sikhs schwärmte er von höheren Whiskey-Exporten nach Indien nach dem Brexit, und die britische Reuters-Mitarbeite­rin Nazanin ZaghariRat­cliffe sitzt im Iran immer noch im Gefängnis, nachdem ein unvorberei­teter Johnson in einer parlamenta­rischen Fragestund­e irrtümlich aussagte, die Britin habe dort Journalist­en ausgebilde­t.

Ex-Journalist

Schon in seiner früheren Karriere als Journalist pflegte Johnson ein berüchtigt lockeres Verhältnis zum Faktischen. Als Europa-Korrespond­ent des Daily Telegraph erfand er an der Wende zu den Neunzigerj­ahren einige der hartnäckig­sten Mythen über die Brüsseler Bürokratie, deren Nachhall später den Weg zum Brexit bereiten sollte.

Der „explosive Effekt“seiner Artikel auf seine Partei, schrieb er rückblicke­nd, habe in ihm ein „eigenartig­es Machtgefüh­l“ausgelöst. Der Grad der Explosion, die er nun mit seinem Rücktritt ausgelöst hat, ist einstweile­n noch nicht abzusehen.

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 ??  ?? Ein Hochrisiko-Poker um die Macht: Boris Johnson will durch seinen Rücktritt noch einmal die britische Regierung aufmischen
Ein Hochrisiko-Poker um die Macht: Boris Johnson will durch seinen Rücktritt noch einmal die britische Regierung aufmischen
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Johnson wollte schon als Londons Stadtchef hoch hinaus
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Und auch auf dem Tennisplat­z gab er den kämpferisc­hen Clown
 ??  ?? Auch als Rugby-Spieler gegen japanische Volksschul­kinder
Auch als Rugby-Spieler gegen japanische Volksschul­kinder

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