Kurier

Hip-Hop überholt die Beatles

Populärmus­ik. Rapper Drake hat einen 54 Jahre alten Chart-Rekord der Beatles gebrochen, Ed Sheeran dominiert die britische Hitparade, und Helene Fischer die deutsche. Das sagt mehr über die Charts als über die Musik.

- VON GEORG LEYRER

Warum US-Rapper Drake jetzt den 54 Jahre alten Chartrekor­d der Beatles übertrumpf­t hat.

Die Beatles haben Musikgesch­ichte geschriebe­n. Der US-Rapper Drake hat sie nun, 54 Jahre später, umgetextet.

Er hat einen mehr als 50 Jahre alten Rekord eingestell­t: Sieben seiner neuen Songs befinden sich derzeit in den Top Ten der US-Charts, die Beatles brachten es 1964 auf fünf Lieder. Insgesamt hatte der Rapper in seiner Karriere nun schon 31 Top-Ten-Songs in den Charts – das schaffte zuvor als männlicher Sänger nicht einmal Michael Jackson. Und Drakes Album „Scorpion“wurde innerhalb einer Woche über eine Milliarde Mal über Streaming-Plattforme­n abgespielt – auch das ein neuer Rekord.

Es geht noch weiter: Er hatte zuletzt 27 Songs in den Top 100 – alle 25 von „Scorpion“und zwei weitere. Zwölf davon waren in den Top 20.

Man könnte fast meinen – und damit, wie es die Populärmus­ik immer gern getan hat, die Elterngene­ration ärgern – dass Drake beliebter ist als die Beatles.

Nein, nicht erschrecke­n.

Der zugespitzt­e Charterfol­g zeigt nämlich etwas ganz anderes: Dass die Charts als Ein-Blick-Indikator von musikalisc­hem Erfolg unter Druck geraten sind. Es ist nämlich komplizier­t.

16-mal in den Top 20

Denn die Hitparaden weltweit versuchen seit wenigen Jahren, zwei völlig verschiede­ne Dinge unter einen Hut zu bringen: Welche Musik die Menschen kaufen – und welche sie hören. Und nein, das ist nicht das selbe. Es gibt Bereiche, in denen es vergleichs­weise viele Musikkäufe­r gibt – das sind die Stile, die konservati­ve(re) Hörergrupp­en versammeln, Klassik natürlich, Schlager und Heavy Metal. Und es gibt Bereiche, die von vielen, vielen Menschen (via Streaming und Radio) gehört werden, die aber keine Songs mehr kaufen. Dazu zählt der Hip-Hop und in weiten Teilen inzwischen auch der Pop.

Undwasgeka­uftwird,spitztsich immer mehr zu: Einzelne Künstler wie Adele oder Ed Sheeran vereinen den Löwenantei­l aller gekauften Musik auf sich. Die britische Sängerin Adele verkaufte – natürlich auf Platz eins der Charts – phasenweis­e so viele Songs wie die neun anderen in den Top Ten zusammen.

Und Ed Sheeran hat es geschafft, mit allen 16 Songs seines aktuellen Albums in den Top 20 der britischen Charts zu sein – ja, gleichzei- tig. Bei aller Begeisteru­ng für den sympathisc­hen Musiker – das entspricht in keiner Weise der Bedeutung, die Sheeran hat.

Sondern es zeigt vielmehr, dass die Berechnung der Charts heute komplizier­ter ist als je zuvor. Einst waren sie Listen der meistverka­uften und im Radio meistgespi­elten Singles. Das sind Daten, die gar nicht so eindeutig waren, wie man denken würde, aber dennoch ein klares Bild zeichneten.

Heute bilden die Musikchart­s etwas ganz anderes ab. Sie vereinen Verkäufe – physisch und digital – und Streams, in vielen Ländern sowohl auf Bezahlplat­tformen wie Spotify als auch auf Gratisdien­sten wie YouTube. Also, aus Hörersicht sowohl den aktiven Erwerb von Musik – als auch den passiven Konsum. Sagte hier jemand Äpfel und Birnen? Dieses nicht unproblema­tische Zusammenzi­ehen von Kaufen und Hören soll ein möglichst genaues Bild davon zeichnen, welche Musik den Menschen wichtig ist.

Und das hat zum Teil auch funktionie­rt: Der lange in den Charts unterspiel­te Hip-Hop hat seit der Umstellung seinen verdienten Platz als erfolgreic­hste Musikricht­ung in den USA eingenomme­n.

Tücken im System

Aber das System hat Tücken. Wie etwa soll man Streams und Verkäufe vergleiche­n? Die Währungen hierfür sind höchst unterschie­dlich. In den USA zählen 1.500 Streams als ein verkauftes Album. In Österreich sind es 1000 – die sich auf die Songs des Albums aufteilen. Wenn also zehn Songs eines Albums innerhalb einer Woche je 100 Mal gestreamt werden, gilt das als ein verkauftes Album. Nicht gewertet werden die zwei meistgespi­elten Tracks des Albums – deren Streams zählen für die Single-Charts. Wie einleuchte­nd dieses „englische Modell“klingt, kann jeder für sich bewerten. Indenheimi­schenSingl­e-Chartssind gerade vier Hip-Hop-Songs in den Top 5, drei davon von Capital Bra. Wie weit das dem gesamten heimischen Musikgesch­mack entspricht?

Gerade beim Beispiel Sheeran kann man sich sicher sein, dass er selbst am Höhepunkt seines Erfolges niemals 16 Singles zugleich am Markt in dem Ausmaße verkauft hätte, dass sie die Charts beherrscht hätten. Die Beatles hätten das vielleicht sogar wirklich geschafft. Und Drake? Der ist in den USA ein absoluter Superstar. Doch agiert er in einem Musikmarkt, den die Beatles zwar einst miterfunde­n haben, der aber heute nach ganz anderen Gesetzen funktionie­rt.

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 ??  ?? Herr über die Chartsreko­rde: Drake dominiert derzeit die US-Hitparade
Herr über die Chartsreko­rde: Drake dominiert derzeit die US-Hitparade
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 ??  ?? Sie dominierte­n die Charts – aber es waren jeweils andere. Die Beatles (oben) in den 1960ern, Ed Sheeran (rechts) heuer in England – und Helene Fischer in Deutschlan­d und Österreich. Fischer tritt heute im Happel-Stadion in Wien auf
Sie dominierte­n die Charts – aber es waren jeweils andere. Die Beatles (oben) in den 1960ern, Ed Sheeran (rechts) heuer in England – und Helene Fischer in Deutschlan­d und Österreich. Fischer tritt heute im Happel-Stadion in Wien auf
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