Die Angst und Wut von Österreichern im Königreich
Ich wohne seit 1994 hier und bin mit einem Briten verheiratet. Beide unserer Kinder haben die Doppelstaatsbürgerschaft, ich habe kein Recht darauf. Ich fühle mich verunsichert und von unserer Regierung vernachlässigt, weil ich nicht sehe, dass sie sich in irgendeiner Form für österreichische Staatsbürger einsetzt. Im Regierungsprogramm wurde die Doppelstaatsbürgerschaft für BrexitOpfer angesprochen, bis jetzt ist nichts davon zu hören. Im Falle eines No-Deal-Szenarios ist alles unklar. Wenn man gesundheitliche Probleme hat, ist es be- sorgniserregend, dass man nicht weiß, ob man in einem Jahr noch die staatliche Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen kann.
Kristina Standeven, 50, Leeds
Ich kam 2009 als Musiker nach Großbritannien. Heute fühle ich mich verwirrt. Selbst wenn sich die jüngsten Ereignisse positiv anfühlen, weil sich zwei Hardliner verabschiedet haben, ist es nicht das beste Zeichen für die Verhandlungen, wenn in letzter Sekunde zwei so wichtige Personen verschwinden. Da merkt man: Hier wird nicht nach einem Plan gehandelt. Ich persönlich sage mir: Abwarten und Teetrinken. Gefährdet bin ich auf jeden Fall, denn wenn es keinen Deal gibt, wird man sich hier wohl so wie in Amerika nur mit Arbeitsvisa aufhalten können.
Ich hoffe, dass die Arbeitgeber dann für uns eine Brücke schlagen. Aber einstweilen mache ich mir einmal keinen großen Kopf.
Aram Zarikian, 38, St. Leonards
Meine Frau und ich kommen aus Österreich und wohnen seit 13 Jahren hier, unser achtjähriger Sohn hat aber einen österreichischen Pass. Für mich war es ein Lebenstraum hierher zu kommen, aber ich habe die Lust verloren, UK auf seinem Weg außerhalb der EU zu unterstützen. Ich halte den Brexit für eine Schnapsidee. Der Ausstieg eines Mitglieds birgt die Gefahr, das Ganze aufzubrechen, und das wissen die Briten auch. Da mitzumachen, wäre für mich wie eine Zustimmung. Wenn ich weggehe, sage ich: „Werdet glücklich, aber nicht mit mir.“
Wie das beruflich funktioniert, ist eine andere Frage: Ich bin Botaniker in Kew Gardens, die Nische, in der ich arbeite ist, ist sehr eng.
Gerhard Prenner, 48, London
Ich bin seit 15 Jahren hier und lebe mit meinem britisch-österreichischen Kind und meinem britischen Partner zusammen. Larry ist sehr aufgebracht, wir reden auch übers Weggehen, aber wohin? Als britischer Staatsbürger wäre er durch den Brexit in seiner Bewegungsfreiheit betroffen. Er war auf der Demo für ein zweites EU-Referendum, und es hat ihm geholfen, zu sehen, dass er nicht alleine ist. Ich selbst verspüre einen Mordszorn. Mir scheint, dass das Land auf einer Welle der Irrationalität herumtreibt. Plötzlich ist man klein und unbedeutend, also wendet man sich dem Nationalismus zu.
Das erinnert mich an die österreichische Geschichte, und man weiß ja, wie das geendet hat.
Maria Diemling, 48, Canterbury
Er hält sich beim Empfang in der österreichischen Botschaft gestern Mittag bescheiden im Hintergrund, als sich die jüdisch-österreichische Community mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz trifft. Der Regierungschef nutzt die Gelegenheit, um einmal mehr eine „Geste der aktiven Versöhnung“in Richtung der 100.000 österreichischen überlebenden Opfer des Nazi-Terrors zu setzen. „Österreich hat zu spät seine historische Verantwortung übernommen“, proklamiert Kurz in seiner Rede: „Das ist eine große Bürde. Daher sollten wir alles tun, damit solche Verbrechen nie wieder passieren.“Als Zeichen des guten Willens übergab Kurz dem Rektor der Sussex University eine Spende der Republik über 50.000 Euro zur Förderung der Forschungsarbeit des „Sussex Weidenfeld Institutes of Jewish Studies“.
Erich Reich sagt, er freue sich, dass der junge Kanzler sich bei seinem London-Trip zwischen Gesprächen von Brexit bis Balkan Zeit nimmt, diese „Geste des Gedenkens“zu setzen. Kommenden Samstag wird er sich wieder mit seinen Kindertransport-Freunden treffen. 1100 haben sich nach einer Rundfrage 2013 noch gemeldet. Zu den monatlichen Treffen schaffen es im Moment nur noch zwischen 30 und 40 der heute Hochbetagten, die als Kinder allein f liehen mussten. Erich Reich, der inzwischen auch zum Sir geadelt wurde, ist mit seinen 83 Jahren einer der Jüngsten.