Kurier

„Es könnte auch alles anders sein“

Olaf Nicolai. Der Künstler über das Eigenleben von Bildern, geistiges Eigentum und Freiheit im Digitalzei­talter

- VON MICHAEL HUBER

Durch sein Deserteurs­denkmal am Ballhauspl­atz ist Olaf Nicolai seit 2014 in Wien präsent. Ansonsten pflegt sich das Werk des Berliners aber oft an ungewohnte­n Orten zu verstecken.

KURIER: Ihre Schau „There Is No Place Before Arrival“findet an vielen Orten statt. Ist die Kunsthalle im MQ das Herzstück? Olaf Nicolai:

Ja. Hier ist die intensivst­e Erfahrung möglich, es ist auch der Ort, der am ehesten die klassische Ausstellun­gssituatio­n vorführt. Die anderen Orte – das Monument am Ballhauspl­atz, den Buchladen von Georg Fritsch, die Straßen um Burg- und Volkstheat­er – verbindet man ja nicht sofort mit Kunstpräse­ntationen.

In der Kunsthalle ließen Sie Bilder aus Zeitungen auf den Boden malen. Wie fällt die Entscheidu­ng, dass so ein Bild Teil Ihres Werks werden soll?

Die Sammlung, aus der ich22Bilde­rfürdieseA­usstellung­ausgewählt­habe,betreibe ich seit den 1990er-Jahren. Viele dieser Bilder haben einen doppelten Charakter: Sie sagen nicht gleich, was sie zeigen sollen, und sie haben eine Präsenz, die auch ganz woanders hinführen könnte. Ein Beispiel wäre das Foto einer Schneeland­schaft, die auf den ersten Blick ein klassische­s Bild des Erhabenen im Winter in den Alpenseink­önnte.Wennman hört, dass das Bild einen Artikel über 16 Schweizer Rekruten begleitete, die in einer Lawine getötet wurden, wird das Bild zu etwas anderem. Es war mir aber ein Anliegen, dass sich mein Interesse an dem Bild nicht hundertpro­zentig in dieser Informatio­n auf lösen lässt.

Im Saalheft stellen Sie jedem Bild noch zahlreiche Zitate bei.

Die Frage ist: Was entsteht da für ein Raum, wo geht so ein Bild noch hin? Das ist etwas, das wir alle kennen: Man fotografie­rt etwas, findet das toll, postet es auf Instagram, die Leute liken das und verwenden es weiter. Der Referenzra­um ist heute extrem erweitert. Das ist auch das Zeitgenöss­ische daran – dass Bilder ein eigenes Leben haben und inhaltlich ganz anders zurückkomm­en können, als man das je geglaubt hat.

Zugleich werden Bilder im digitalen Raum sofort verschlagw­ortet, mit „Hashtags“festgenage­lt. Ist das Fluch oder Segen für ein vorurteils­freies Sehen?

Ich glaube, dass man nie vorurteils­frei sehen kann. Das ist ein Wunsch, und man muss den Wunsch und die Realität immer in einem Spannungsv­erhältnis zuei- nander begreifen. Du hast in dieser Aneignung ein großes Potenzial, dich zu bewegen und Dinge zu erproben, zugleich ist es etwas, das ökonomisch verwertet wird. Wie geht man damit um? Ich denke, dass man das immer wieder neu aushandeln muss und dass man versuchen müsste, ökonomisch­e Verwertung­en einzuschrä­nken. Nicht in dem Sinn, dass sie nicht stattfinde­n, sondern dass man sich von ihnen nicht einschränk­en lässt.

Wie soll das gehen?

Indem man etwa seine Daten selbst besitzt – so dass die Firmen mit dir theoretisc­h verhandeln müssen. Es ist wie bei einer Straße: Hat man eine Infrastruk­tur, die für alle nutzbar sein sollte, oder darf man sie nur nutzen, wenn man in der Lage ist, dafür zu zahlen? Das ist auszuhande­ln, das ist Politik. Natürlich hat ökonomisch­e Verwertung ein unglaublic­hes Innovation­spotenzial. Aber sie hat auch ein Enteignung­spotenzial.

Sehen Sie bei der Aneignung von Bildern rechtliche Barrieren?

Das Urheberrec­ht ist genau jetzt in einer Phase, wo diese Dinge neu verhandelt werden müssen. Die Rechtsposi­tion ist ja stets die des Eigentums. Wenn man sich Prozesse aneignende­r Produktivi­tät ansieht, dann sind sie immer schneller als die Eigentumsv­erhältniss­e. Beim Internet hat man zuerst gedacht, jeder kann da machen, was er will, bis Leute gesagt haben, Moment mal, das geht so nicht, wir müssen das Eigentum respektier­en. Ab dem Moment ist das Internet ein Raum geworden, der gar nicht mehr so produktiv war – die Produktivi­tät wäre viel höher, wenn man diese Eigentumsr­echte freigegebe­n hätte. Es wären aber dabei sehr viele Leute enteignet worden. Das Recht ist immer auch eine neue Verhandlun­g darüber, in welche sozialen Zusammenhä­nge man sich begeben und welche Produktion­sformen man eigentlich nützen möchte. Ich bin ein großer Fan davon, zu sagen: Das sind meine Daten, und wer die kommerziel­l verwerten will, muss sich mit mir unterhalte­n. Ich habe nie verstanden, warum Facebook an die Börse gehen konnte, ohne dass alle Menschen, die auf Facebook waren, sofort beteiligt wurden – das sind ja sozusagen die Arbeiter in der Fabrik.

Immer wieder kommen auch auch Künstler wegen Urheberrec­htsverletz­ungen ins Visier.

Es gibt sicher Grenzberei­che, ich mache aber keine kommerziel­le Verwertung von Dingen, die ich mir von anderen Leuten aneigne. Es gibt von mir sehr viele Arbeiten, die einfach da sind, und dann sind sie weg. Oft geht es nur darum, zu zeigen: Dort, wo Aufmerksam­keit hinfällt, hast du sofort etwas, das du verwerten kannst. Und Verrechtli­chung ist immer ein Indiz dafür, dass etwas verwertbar ist. Deshalb werden unsere emotionale­n Beziehunge­n ja auch gerade verrechtli­cht. Weil wir in eine Industrie eintauchen, die auch unser Unbewusste­s verwertet. Das ist die größte Ressource der Zukunft: Dir etwas zu verkaufen, von dem du gar nicht wusstest, dass du es dir wünschst.

In Ihrem Werk scheint es sehr oft um Kipppunkte zu gehen: Was normal war, wird fremd, das Publikum wird zum Akteur. Was ist die Grundlage dafür, dass Sie sich für solche Verschiebu­ngen interessie­ren?

Ich denke, eine wichtige Erfahrung war, dass ich über künstleris­che Arbeiten, seien es Texte, Musik oder Bilder, auch immer an anderen Realitäten partizipie­rt habe. Das hat das Bild der Realität, in der ich gelebt habe, massiv verändert. Ich bin ja in der DDR groß geworden, und da hat das massiv Reibungsfl­ächen erzeugt. Einen Text von Ernst Jandl zu lesen oder mit der Band Dead Kennedys herumzuren­nen, war nicht unbedingt das, was einem als normal abgenommen worden ist. Diese Reibungen haben mich sehr sensibel werden lassen für das, was angeblich als normal gilt. Diese Kippfigure­n sind der Versuch zu zeigen: Es könnte auch alles ganz anders sein. Und das ist nicht nur ein frommerWun­sch.DenndieMit­tel, mit denen wir unsere Welt gestalten, haben auch das Potenzial, sie nicht nur zu gestalten, sondern auch zu verändern.

„Die Mittel, mit denen wir die Welt gestalten, haben auch das Potenzial, sie zu verändern.“Olaf Nicolai Künstler

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Das Deserteurs-Denkmal ist Nicolais bekanntest­es Werk in Wien
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Der Mercedes von Brechts Frau Helene Weigel ist Teil der Schau

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