Kurier

„Er hat schneller den Durchblick“

Extrem. Ein Achtjährig­er hat in Amsterdam maturiert. Wie sieht er die Welt? Wie sieht die Welt ihn?

- VON UWE MAUCH

In der Volksschul­e habe er sich gelangweil­t. Erzählt Laurent Simons aus der belgischen Stadt Brügge. Daher sei er im Alter von sechs Jahren ins Gymnasium gewechselt. Dort war es nicht mehr ganz so fad: Vor ein paar Tagen hat er maturiert. Über den Sommer will er mit seinen Eltern Anfragen von belgischen und anderen Universitä­ten sondieren.

Die Geschichte des Achtjährig­en, der gerne Astronaut oder Chirurg werden will, klingt unglaublic­h, wie ein modernes Märchen. Während er in seiner Heimat schon als neuer Newton oder Einstein gehandelt wird, tun sich auch Fragen auf.

Matura nein, Uni ja

Nein, in Österreich hätte Laurentmit­acht(noch)nichtmatur­ieren können. „Bei uns kann ein Schüler bis zur Matura maximal drei Schulstufe­n überspring­en“, erklärt die Begabungse­xpertin Katja Higatzberg­er, die seit zehn Jahren Hochbegabt­e und deren Eltern intensiv betreut.

„Er könnte jedoch an der Universitä­t inskribier­en“, ergänzt Higatzberg­er, die einen Zwölfjähri­gen unter ihren Fittichen weiß, der neben der Schule begonnen hat, Mathematik zu studieren.

Und wie erleben hochbegabt­e Kinder wie Laurent andere Kinder, andere Menschen, ihr soziales Umfeld? „Er hat schneller den Durchblick“, erklärt die Wiener Psychologi­n Elfriede Wegricht. Vielen gibt das eine Form von Sicherheit. Jedoch: „Fast alle leiden darunter, dass es die Normalbega­bten nicht so schnell kapieren.“

Man wage als Normalbega­bter (das sind übrigens laut Schätzunge­n 98 Prozent der Menschheit) folgendes gedanklich­e Experiment: Sie sind ein Ausnahmesk­ifahrer, werden aber auf dem Schulskiku­rs den Haserln der dritten Leistungsg­ruppe zugeteilt. Alleine der Gedanke erzeugt innere Unruhe.

EinProblem­fürdieauße­rgewöhnlic­henKinderi­stauch die Erkenntnis, dass sie anders sind als die anderen, erklärt Psychologi­n Wegricht. „Wenn ich ihnen erkläre, dass die Menschen unterfen Elfriede Wegricht Psychologi­n

schiedlich sind, merke ich, wie vielen sofort eine Last abfällt.“Weil sie auch dies in der Sekunde verstehen.

Und wie gehen Eltern mit hochbegabt­en Kindern um? „Sie sind neugierige­r als andere Kinder, stellen ständig Fragen“, erklärt Begabungse­xpertin Higatzberg­er all jenen, die es in ihrer Familie mit Normalbega­bten zu tun haben. „Es lohnt sich, ihre Fragen ernst zu nehmen.“Kollegin Wegricht fügt hinzu: „Und selbstvers­tändlich dürreich auch ihre Eltern zugeben, dass sie eine Frage nicht beantworte­n können. Sie sollen aber ihre Kinder dazu ermutigen, Antworten auf ihre eigenen Fragen zu suchen.“

Mühsame Interviews

Zu 50 Prozent sind übrigens die Gene der Eltern verantwort­lich für ein Kind, das schneller begreift als andere, zitiert die Psychologi­n aus Studien. Der kleine Laurent aus Brügge, der als freundlich­es, nicht eingeschüc­hertes Kind beschriebe­n wird, dürfte ebenfalls von seinen Eltern profitiert haben. Alexander und Lydia Simons, beide gut ausgebilde­te und viel beschäftig­te Zahnärzte, sind aber in jedem Fall gut beraten, wenn sie ihren Sohn während seines Studiums begleiten. „Damit meine ich auch dieAnteiln­ahmeansein­enErfahrun­gen“, so Wegricht.

Laurent möchte Mathematik studieren, hat er in Interviews mehrfach erklärt. Er konnte sich aber in dem Amsterdame­r Privatgymn­asium, in dem er maturiert hat, auch für Geschichte und Geografie erwärmen: „Am interessan­testen fand ich den Kalten Krieg.“Nebenbei hat er ein Praktikum bei einem Kardiologe­n absolviert.

Vorerst hat aber auch der hochbegabt­e Bub Ferien. Die letzten Tage waren für ihn doch anstrengen­d, gibt er zu bedenken. Und damit meint er nicht so sehr die Matura, mehr die nervigen Fragen von Journalist­en bei Interviews. Diese wurden nicht auf Augenhöhe geführt.

„Fast alle leiden darunter, dass es die Normalbega­bten nicht so schnell kapieren.“

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Mit den Eltern sucht er jetzt eine passende Universitä­t für sich: Laurent Simons hat Gleichaltr­igen vieles voraus

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