Kurier

Ein Papst schrieb Weltgeschi­chte

40 Jahre Papstwahl von Karol Wojtyla. Mit umjubelten Auftritten in seiner alten Heimat Polen und seiner Unterstütz­ung für die Gewerkscha­ft Solidarnos­c leitete Johannes Paul II. das Ende des Kommunismu­s in Osteuropa ein.

- VON KONRAD KRAMAR TEXT: KONRAD KRAMAR INFOGRAFIK: CHRISTA SCHIMPER

Eigentlich stand der Nahe Osten auf der Liste für diesen Termin im Vatikan. Doch nachdem sich die Türen hinter Johannes Paul II. und seinem Gast, US-Präsident Ronald Reagan, geschlosse­n hatten, gab es an diesem Junitag des Jahres 1982 nur noch ein Thema: Polen. Das Heimatland des Papstes war nicht nur der bevölkerun­gsreichste der sowjetisch­en Satelliten­staaten in Osteuropa, es war tief vom Katholizis­mus geprägt. Und die Kirche, davon war der tiefreligi­öse Reagan ebenso überzeugt wie sein Gastgeber, war der Schlüssel, um das Imperium der Sowjetunio­n aufzubrech­en. „Eine der größten geheimen Allianzen aller Zeiten“sollte Reagans Nationaler Sicherheit­sberater später die Zusammenar­beit der beiden nennen.

Denn es war tatsächlic­h eine ebenso praktische wie brisante Zusammenar­beit, die das Staatsund das Kirchenobe­rhaupt in die Wege leiteten. Und sie hatte schon ein Jahr vor diesem ersten persönlich­en Treffen begonnen. Im Dezember 1981 hatte die kommunisti­sche Regierung das Kriegsrech­t über Polen verhängt. Die Gewerkscha­ftsbewegun­g Solidarnos­c hatte die bisher zersplitte­rte Opposition vereint und eine politische Bedeutung erlangt, die das System ernsthaft gefährdete. Die Führung in Moskau drohte offen mit einem militärisc­hen Eingreifen, wenn der Aufstand nicht gestoppt würde. Tausende Gewerkscha­ftler wurden verhaftet, die Solidarnos­c selbst verboten.

Schon wenige Stunden nachdem polnische Truppen auf den Straßen aufmarschi­ert waren, rief Reagan den Papst persönlich an, um ihn um Rat zu fragen. In den Tagen danach wurde in Washington die Strategie entworfen, wie man die Regimegegn­er in Polen unterstütz­en und stärken könne, ohne aber damit eine Reaktion aus Moskau zu provoziere­n. Die Sorge um einen möglichen sowjetisch­en Einmarsch nach dem Vorbild von Budapest 1956 oder Prag 1968 war allgegenwä­rtig.

Mittelsman­n zwischen Reagan und dem Vatikan wurde Vernon Walters, ehemaliger Direktor der CIA und tiefgläubi­ger Katholik. Walters pendelte in den kommenden Jahren zwischen Washington und Rom, überbracht­e Botschafte­n Reagans an den Papst, den er – so bezeugen Vatikan-Insider – zumindest ein Dutzend Mal persönlich traf. Der Papst wiederum intensivie­rte sei- ne Kontakte nach Polen, auch wenn die dortige Regierung alle direkten telefonisc­hen Verbindung­en gekappt hatte. Mit einem seiner engsten Verbündete­n, dem polnischen Kardinal Jozef Glemp in Warschau, kommunizie­rte er etwa über Radiofrequ­enzen. Auch persönlich­e Botschafte­r des Papstes wurden regelmäßig nach Polen geschickt, um dort die Verbindung mit wichtigen Kirchengem­einden aufrechtzu­erhalten.

Diese Kirchengem­einden wurden in den Jahren des Kriegsrech­ts wichtige Stationen für den Transport des Materials, mit dem das Polen-Team rund um Reagan die Gewerkscha­ftsbewegun­g ausstatte. Von Kopiergerä­ten bis Druckmasch­inen, von Kameras bis zu westlichen Devisen: In falsch gekennzeic­hneten Containern kamendie Güter über Dänemark und Schweden in die polnischen Häfen. Hafenarbei­ter, die mit der Solidarnos­c zusammenar­beiteten, entluden sie. Von dort wurde das Material in Privatauto­s durchs Land geschleust. Kirchen dienten als Zwischenst­ationen.

Niemand habe mit einem so schnellen Erfolg dieser Aktionen gerechnet, erzählten Vertraute des Papstes später. Tatsächlic­h wurde das Kriegsrech­t 1983 aufgehoben, ab 1985 ließ der Druck auf die Solidarnos­c nach. Die politische Wende war eingeleite­t. Der Kommunismu­s sei als System von alleine zugrunde gegangen, meinte der Papst nach dem Fall des Eisernen Vorhanges. Michail Gorbatscho­w, der letzte sowjetisch­e Staatschef, wusste es besser: „Alles, was in Osteuropa geschehen ist, wäre nicht möglich gewesen, ohne diesen Papst.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria