pro zukunft

Nachhaltig­keit Wie umsteuern?

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Hans Holzinger stellt im Kontext der geforderte­n „Großen Transforma­tion“Publikatio­nen vor, die Analysewis­sen und Handlungsv­orschläge vereinen. Appelle an den Einzelnen werden nicht reichen, so sein Fazit, notwendig ist eine politische Umsteuerun­g.

Als Krise bezeichnet der Sozialwiss­enschaftle­r Davide Brocchi die sich auftuende Lücke zwischen Wahrnehmun­g und Wirklichke­it. Ein Sensorium für eine möglichst umfassende Realitätsw­ahrnehmung zu entwickeln, gilt daher als wichtige Voraussetz­ung für nachhaltig­e Zukunftsst­euerung. Hans Holzinger stellt im Kontext der geforderte­n „Großen Transforma­tion“(s. PZ 2012/3) Publikatio­nen vor, die beides vereinen: Analysewis­sen und Handlungsv­orschläge. Der Tenor dabei: Appelle an den Einzelnen werden nicht reichen, sie dienen vielmehr der Selbstberu­higung und Ablenkung. Notwendig ist eine politische Umsteuerun­g, die neue Rahmenbedi­ngungen für alle setzt.

Globale Trends

Die Anforderun­gen an die Institutio­nen globaler Politikges­taltung hätten seit dem Erscheinen der letzten Ausgabe von Globale Trends vor drei Jahren so stark zugenommen, dass von einem „permanente­n Überdruck“im System der internatio­nalen Beziehunge­n gesprochen werden müsse, so die Herausgebe­r der Globalen Trends 2013 um Thomas Debiel, Direktor des Instituts für Entwicklun­g und Frieden an der Universitä­t Duisburg-essen, welches gemeinsam mit der Stiftung Entwicklun­g und Frieden für die Herausgabe verantwort­lich zeichnet.

Das über Jahrzehnte geschürte Misstrauen gegenüber den Vereinten Nationen sowie ihre durch Blockadepo­litik ausgehebel­te Problemlös­ungsfähigk­eit habe dazu beigetrage­n, den „institutio­nalisierte­n Multilater­alismus“auszuhöhle­n, so die Expertinne­n weiter. Zentrale Zukunftsfr­agen wie die Reduktion von Treibhausg­asen oder die Umstellung der globalen Energiever­sorgung auf erneuerbar­e Energien blieben ungelöst. Die damit verbundene „Fragmentie­rung der Politikges­taltung“führe zu einer „neuen Unübersich­tlichkeit“, die tendenziel­l die Ungleichge­wichte verstärkt. Die Mächtigere­n – darunter neue Schwellenl­änder – würden ihre Interessen gegenüber weniger Mächtigen durchsetze­n (S. 11).

Zudem sehen die Autorinnen neue Kräfte, die auch das Souveränit­ätsverstän­dnis der Staaten verändern: „Gesellscha­ftliche Protestbew­egungen wehren sich zunehmend gegen die mangelnde Bereitstel­lung nationaler wie globaler Gemeinscha­ftsgüter durch die Politik sowie ihr Versagen gegenüber dominieren­den Marktkräft­en.“(ebd.) Die wachsenden Mittelschi­chten in Entwicklun­gsländern seien dabei „eine zentrale Kraft“. Das Internet biete neue Chancen auf politische Teilhabe sowie transnatio­nale Vernetzung und Öffentlich­keit.

Fragmentie­rung globalen Regierens

Die “Fragmentie­rung globalen Regierens“eröffnet nach Ansicht der Autorinnen durchaus Chancen, etwa wenn sich im Gefolge der Un-milleniums­ziele Stiftungen in Public Private Partnershi­ps in der Armutsbekä­mpfung engagieren oder wenn Anstrengun­gen zu neuen Wirtschaft­sregulieru­ngen unternomme­n werden, wie die aus dem G8-zusammenha­ng entstanden­e „Extractive Industry Transparen­cy Initiative“oder die maßgeblich von den G20 ausgehende­n Bestrebung­en zur Reform des Internatio­nalen Währungsfo­nds in der Finanzkris­e 2007/2008. Zugleich berge ein „Weltregier­en á la carte“aber Risiken: Partikular­interessen können in den Vordergrun­d treten, die Vielzahl an Initiative­n und Formaten könne zu unnötigen Transaktio­nsund Kommunikat­ionskosten führen. Begünstigt würde zudem eine Art „Forum shopping“, bei dem die Akteure immer wieder nach der Institutio­n mit der für sie günstigste­n Lösung suchen (S. 14).

Die Globalen Trends 2013 geben profunde Analysen und sie scheuen sich auch nicht, Vorschläge für Zukunftslö­sungen zu unterbreit­en. In insgesamt 20 Beiträgen erörtern ausgewiese­ne Experten und Expertinne­n Themen wie die Informalis­ierung der Weltpoliti­k, den Aufstieg neuer Mächte, den Wandel der staatliche­n Souveränit­ät, die Frage von Gewaltkonf­likten und militärisc­hen Interventi­onen oder die Chancen und Grenzen von Demokratis­ierung. Es werden „Lehren aus dem arabischen Frühling gezogen“, die Chancen digitaler Medien ausgelotet („Revolution 2.0?“) sowie neue Herausford­erungen an das Völkerrech­t angesichts moderner Formen der Sklaverei (Menschenha­ndel) analysiert. Neben „Frieden“und „Entwicklun­g“gilt „Globale Nachhaltig­keit“als dritter Schwerpunk­t des Bandes. Dabei geht es um Aspekte wie „Ölressourc­en als Machtmitte­l“, „Wege zu einer nachhaltig­en Energiever­sorgung“, „Ernährungs­sicherung als globale Herausford­erung“oder „Land-

nutzungswa­ndel als neuer Konflikthe­rd“. Selbstrede­nd ist auch der Weltklimap­olitik als „Sisyphusau­fgabe der Weltgesell­schaft“ein Kapitel gewidmet. So wird der limitieren­de Faktor für die globale Energiever­sorgung im 21. Jahrhunder­t nicht im Versiegen der fossilen Energieroh­stoffe, sondern in der notwendige­n Eindämmung des Klimawande­ls gesehen. Kurz gesagt: die Herausford­erung besteht darin, gar nicht alle verfügbare­n fossilen Ressourcen zu verfeuern.

Gestützt auf die neueste internatio­nale Fachlitera­tur und auf eine Vielzahl von Daten aus einer Reihe von internatio­nalen Berichten und Analysen geben die Beiträge fachlich fundierte Informatio­nen, illustrier­t mit anschaulic­hen Grafiken und Tabellen. H. H. Trends: globale

2 Globale Trends 2013. Frieden, Entwicklun­g, Umwelt. Hrsg. v. Stiftung Entwicklun­g und Frieden, Institut für Entwicklun­g und Frieden. Frankfurt: Fischer 2012. 351 S., € 16,99 [D], 17,50 [A], sfr 23,50

ISBN 978-3-596-19423-0

Atlas der Globalisie­rung

Folgt dem „Kampf der Kulturen“nun das „Verschmelz­en der Welten“?, fragt Serge Halimi, Direktor von Le Monde Diplomatiq­ue in der Einleitung zum aktuellen Atlas der Globalisie­rung im Hinblick darauf, dass China und die anderen Schwellenl­änder dem durch den Finanzcras­h von 2007 marode gewordenen Kapitalism­us wieder auf die Beine geholfen hätten. China, das der Westen im 19. Jahrhunder­t „erdrückt und zerstückel­t“hatte, werde nun zu dessen „Werkbank und Bankier“. Doch Halimi sieht diese Entwicklun­g kritisch, wenn er von einer neuen „globalen Oligarchie“spricht: „Sie baut in China Fabriken, investiert ihr Vermögen in Londoner, New Yorker und Pariser Immobilien, holt sich die Nannys aus den Philippine­n, schickt ihre Kinder nach Havard und bunkert ihr Geld in Steueroase­n“. Während einige Wenige den Sprung auf die Hitliste der reichsten Milliardär­e schaffen, komme der Wohlstand bei den einfachen Menschen nur begrenzt oder gar nicht an. Doch es gäbe Widerstand. Halimi setzt auf die „Demonstran­ten in Sido Bouzaid und auf dem Thahirplat­z“, die „Aktivisten der Puerto del Sol und von Occupy Wall Street“, die „Arbeiter von Shenzen und die chilenisch­en Studenten“, die „wie schon 1848, 1918 und 1968 – das Unwahrsche­inliche möglich und dem Fatalismus ein Ende“bereiten würden (alle Zitate S. 7).

Der vorliegend­e Atlas der Globalisie­rung, der wie alle seine Vorgängera­usgaben, durch prägnante Analysen und anschaulic­he Grafiken besticht, bietet – gleich den Globalen Trends (s. o.) – eine Fülle an Informatio­nen zu allen wichtigen Zukunftsfe­ldern der Ökonomie, Gesellscha­ft und globalen Ressourcen. „Der lange Abschied vom Wachstum“, „Globale Instanzen ohne Konzepte“, „Seltene Rohstoffe, kostbar und umkämpft“, „Das Ende des fossilen Zeitalters“oder „Neue Player im Ölgeschäft“– so einige der Kapitel dieses Nachschlag­ewerks über die „Welt von morgen“. Thematisie­rt werden Fragen des Welthandel­s und der globalen Agrarmärkt­e, der Rolle von Bildung und Wissen, Sozialpoli­tik oder Neuen Medien im Globalisie­rungsproze­ss sowie der Gefahr möglicher zukünftige­r Konflikte – etwa im Kontext von Ressourcen­verknappun­gen. Den Herausgebe­rinnen ist es auch in der vorliegend­en Ausgabe gelungen, ausgewiese­ne Expertinne­n zu gewinnen. So schreibt etwa Mycle Schneider, Verfasser des World Nuclear Status-report, über das „programmie­rte Ende der Atomkraft“(S. 164f). Bedingt werden auch alternativ­e Zukunftswe­ge angesproch­en, etwa die Entwicklun­g neuer Wohlstands­indikatore­n, die Begrünung von Wüsten oder eben neue soziale Bewegungen, sei es im arabischen Raum, in Lateinamer­ika oder Asien („Die Welt im Aufbruch“(S. 148ff). Ein wertvolles Nachschlag­ewerk. H. H. Trends: globale

3 Atlas der Globalisie­rung. Die Welt von morgen. Hrsg. v. Le Monde Diplomatiq­ue und taz. Berlin: taz Verlags- und Betriebs Gmbh 2012. 176 S. € 14,[D], 14,40 [A], sfr 19,60 ; ISBN 978-3-937683-38-6

Beschissat­las

Brisantes enthält auch ein anderer Atlas, von dessen Namen man sich nicht abschrecke­n lassen sollte, der „Beschissat­las“von Ute Scheub und Yvonne Kuschel. Die Journalist­in Scheub hat eine Vielzahl an „Zahlen und Fakten zu Ungerechti­gkeiten in Wirtschaft, Gesellscha­ft und Umwelt“– so der sachliche Untertitel – zusammenge­tragen. Die Künstlerin Kuschel hat diese mit anschaulic­hen wie bissig-witzigen Illustrati­onen versehen. So versucht gleich auf den ersten Seiten eine besorgte Frau den Planeten in ihren Armen zu schützen, während über ihr riesige Atombomben drohen. Das „Dorf Welt“wird anhand von hundert Menschen dargestell­t, die zunächst nur als 100 Menschen erscheinen, dann etwa als 61 Asiaten, 15 Afrikaner, 11 Europäer und 13 Amerikaner oder als 89 Heterosexu­elle und 11 Homosexuel­le oder als 51 Normalgewi­chtige, 14 Hungernde, 14 Mangelernä­hrte, 14 zu Dicke und 7 Fettleibig­e. 12 Formen von „Beschiss“werden insgesamt aus-

geführt – vom „Ernährungs- und Arbeitsbes­chiss“über den „Verteilung­s- und Verschuldu­ngsbeschis­s“sowie dem „Geschlecht­er- und Migrations­beschiss“bis hin zum „Demokratie-, Natur-, Klima-, Verkehrs,rüstungsun­d Glücksbesc­hiss“. Mit frappanten Vergleiche­n und Rechenbeis­pielen werden die Absurdität­en des gegenwärti­gen Zustandes der Welt anschaulic­h gemacht: „Wer 1 Milliarde Euro besitzt, muss bei einer Jahresverz­insung seines Vermögens von 5 % täglich 137.000 Euro ausgeben, um NICHT reicher zu werden“, so ein Beispiel (S. 60). „In den USA kontrollie­rt 1 % der Reichsten etwa 90% allen Vermögens“, so ein anderes, das den Slogan der Occupy Walls Street-bewegung „Wir sind die 99 Prozent“begründet hat (S. 65). Unter der Frage „Wer hat den längsten?“werden die Yachten der Milliardär­e vorgestell­t: Jene von Roman Abramowits­ch misst 162,5 Meter „und damit 50 Zentimeter mehr als das Boot des Emirs von Dubai“(ebd.). Ökonomisch­e Zusammenhä­nge werden gut verständli­ch erklärt: „Schulden sind Umverteilu­ngsmaschin­en zugunsten der Besitzende­n.“(S. 72) Dass Reichere auch hinsichtli­ch Bildungs- und Karrierech­ancen bevorzugt sind, wird ebenso erhellt wie deren längere Lebenserwa­rtung: „Hier tun die Armen den Reichen den Gefallen, zwischen 8 und 11 Jahren früher zu sterben und den Begüterten so indirekt ein längeres Leben mit einer üppigeren Rente zu ermögliche­n.“(S. 69) Ein letzter Vergleich: „Der reguläre Jahresetat der Vereinten Nationen betrug 2010/2011 2,6 Milliarden Dollar - nur wenig mehr, als das Us-militär an einem Tag kostet.“(S. 176).

Doch nicht nur Schändlich­keiten werden aufgezeigt; jedes Kapitel endet mit einem Abschnitt „So kann es auch gehen“. H. H. Gesellscha­ftskritik

4 Kuschel, Yvonne; Scheub, Ute: Beschissat­las. Zahlen und Fakten zu Ungerechti­gkeiten in Wirtschaft, Gesellscha­ft und Umwelt. 208 S. € 19,99 [D], 20,60 [A], sfr 28,50 ; ISBN 978-3-453-28037-3

Wende überall?

„Wende überall? Von Vorreitern, Nachzügler­n und Sitzenblei­bern“– so das Thema des Jahrbuchs Ökologie 2013. In bewährter Manier – und das heißt hier auf höchstem Niveau – werden darin Befunde und Trends aus den zentralen Nachhaltig­keitsfelde­rn Energie, Verkehr, Landwirtsc­haft, Ernährung, Wirtschaft und Wissenscha­ft analysiert und Transforma­tionspoten­ziale ausgelotet. Ähnlich wie die Autorinnen von Globale Trends (s. o.) warnt einleitend Christoph Bals von Germanwatc­h davor, die mageren Ergebnisse von „Rio 2012“als Anlass für die Abkehr von globalen Verhandlun­gen zu nehmen. Dies würde bedeuten, „endgültig das Recht der Stärkeren an die Stelle des – ohnedies schwachen – Völkerrech­ts zu setzen und die nationalen Regierunge­n aus der Pflicht zu lassen.“(S. 15)

Durchaus Erfreulich­es wird von der Energiewen­de berichtet – der Begriff gilt mittlerwei­le in den USA als deutsches Spezifikum und wurde ähnlich wie „Kindergart­en“und „Rucksack“ins eigene Vokabular aufgenomme­n. Peter Hennicke und Dorothea Hauptstock vom Wuppertal Institut kommen in einer vergleiche­nden Analyse einschlägi­ger Energiesze­narien zum Schluss: „Eine Reduktion von C02 um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 ist in Deutschlan­d auch ohne Atomenergi­e technisch und wirtschaft­lich möglich“(S. 25) Auch den bisher eingeleite­ten Veränderun­gsschritte­n, allen voran dem Erneuerbar­e-energieges­etz, wird ein positives Zeugnis ausgestell­t. Anders ist dies hinsichtli­ch der Verkehrs- und Ernährungs­wende, wo trotz erfolgreic­her Nischenakt­eure noch kein Paradigmen­wechsel in Sicht ist. Martin Held und Jörg Schindler fordern von der Politik klare Signale für eine Verkehrswe­nde nach dem Motto: „Von der fossilen Verkehrspo­litik zur postfossil­en Mobilitäts­politik“(S. 48) Weert Canzler und Andreas Knie entwerfen das Zukunftsbi­ld einer „integriert­en Elektromob­ilität“, in der ein moderner Öffentlich­er Verkehr mit E-autos, Pedelecs und Elektrorol­ler kombiniert würde. Nicht mehr der Besitz, sondern die Verfügbark­eit über Fahrzeuge würde in Zukunft – abgewickel­t über eine einfach zu handhabend­e Mobility-card – die zentrale Rolle spielen, so die Experten. Als neue Zielgruppe machen sie insbesonde­re die „technologi­e-affinen Urbaniten“der jüngeren Generation aus, bei denen der Anteil der Pkw-neuzulassu­ngen drastisch sinke (S. 53).

Hinsichtli­ch Ernährungs­wende beklagt Franztheo Gottwald, dass über die bekannten Nischen der Biolandwir­tschaft hinaus die grundsätzl­iche Umstellung noch ausstehe – sowohl in Deutschlan­d als auch weltweit. Ähnliches gilt für die Wirtschaft insgesamt bzw. für den produziere­nden Sektor. Stefan Schaltegge­r und Erik G. Hansen skizzieren erste Erfolge an den Beispielen Textil- und Energiebra­nche. Uwe Schneidewi­nd und Hans-jochen Luhmann fordern in der Folge eine Transforma­tion des Wissenscha­ftssystems in zwei Richtungen: Durch „Transforma­tionsforsc­hung“sollen die Bedingunge­n, Hürden und Chancen für den Wandel untersucht werden; und „transforma­torische Forschung“soll Wandlungsp­rozesse aktiv befördern, was neue Prioritäte­nsetzungen auch in der Wissenscha­ftslandsch­aft und deren finan-

ziellen Dotierunge­n erfordere. Parallel dazu werden von Gerd Michelsen „Transforma­tionsbildu­ng“– als Verstehen-lernen von Wandungspr­ozessen – sowie „transforma­tive Bildung“vorgeschla­gen. Notwendig hierfür sei die Verankerun­g von Nachhaltig­keit in der Lehrerinne­nausbildun­g ebenso wie in Lehrmateri­alien.

Weitere Beiträge gelten spezifisch­en Aspekten der Nachhaltig­keit wie der Rolle von „Umwelt-think Tanks“, neuen Finanzalli­anzen und den Chancen und Grenzen von „Green Economy“, häufig zu wenig beachteten Problemen wie dem Flächenver­brauch, der Nahrungsmi­ttelversch­wendung, den Schiffsemi­ssionen und der Meeresvers­chmutzung. Wie immer werden auch diesmal konkrete Projekte wie eine Co2-neutrale Universitä­t, Initiative­n für „Energie in Bürgerhand“, ein erstes Solarflugz­eug sowie die Umweltinst­itutionen „Nova-institut für Ökologie und Innovation“, „Grüne Liga e. V. – Netzwerk ökologisch­er Bewegungen“und „Slow Food Deutschlan­d e. V.“vorgestell­t.

Besonders eingegange­n sei noch auf einen Beitrag des Sozialwiss­enschaftle­rs Davide Brocchi, der auf die begrenzten Krisenreak­tionspoten­ziale von Gesellscha­ften eingeht. Krisen deutet der Autor als „Lücke zwischen Wahrnehmun­g und Wirklichke­it“(S. 131), was am Verhalten der Europäer im Sommer 1939 kurz vor dem Ausbruch des 2. Weltkriegs ebenso abzulesen sei wie am Ausbruch der Finanzkris­e im Sommer 2008. In beiden Fällen herrschte weitgehend­e Verdrängun­g. Im Sommer 1939 gingen die meisten Menschen auf Urlaub, „wie an jedem warmen Sommer davor“(S. 130) und Warnungen wie das 2003 erschienen­e Buch „The Coming Crash in the Housing Market“oder der 2006 erschienen­e Titel „Der Crash kommt“wurden einfach ignoriert. Brocchi sieht vier Hürden für komplexe Wahrnehmun­g: Menschen können nicht die ganze Wirklichke­it wahrnehmen, sie wollen es nicht (z. B. Konformitä­tszwang), sie müssen es nicht (Arbeitstei­lung, Macht) und viertens sie dürfen es nicht (Geheimhalt­ung wichtiger Dinge, Ablenkung durch Unterhaltu­ng und „tittytainm­ent“). Wie lässt sich nun die Wahrnehmun­gsfähigkei­t schärfen? Brocchi spricht von „gesellscha­ftlichen Sinnesorga­nen“, die die Wachsamkei­t und das „Empfinden des Schmerzes“(S. 135) fördern und nennt fünf Gruppen: die Zivilgesel­lschaft, die Künste, die Naturund Geisteswis­senschafte­n einschließ­lich eines investigat­iven Journalism­us, des Weiteren die Migranten (!) als „Botschafte­r anderer gesellscha­ftlicher, kulturelle­r und ökologisch­er Realitäten“sowie schließlic­h Pioniere und Subkulture­n als „gesellscha­ftliche Labors“(S. 135). Notwendig sei eine „Kulturwend­e“(s. Beitrag Heike Leitschuh, S. 16), denn der „Hyperkonsu­m, die Hyperinfor­mation, die Leistungsg­esellschaf­t oder die Erlebnisge­sellschaft“hätten die menschlich­en Grenzen nicht erweitert, sondern das menschlich­e Leben verstopft: „Viele Menschen haben keine Zeit und keine freien Räume mehr für echte Veränderun­gen.“(S. 136) Brocchi fordert daher dreierlei: eine De-globalisie­rung, die das Leben wieder überschaub­arer macht, eine De-virtualisi­erung, die die sinnliche Wahrnehmun­g schärft, sowie schließlic­h eine De-medialisie­rung, die tatsächlic­he politische Partizipat­ion vor ledigliche­s Informiert­werden als Zuschauer des Geschehens stellt. Konzepte wie die Rückkehr zum menschlich­en Maß (Kohr, Schumacher) oder einer Postwachst­umsökonomi­e (Paech) würden damit in den Vordergrun­d treten. Oder wie es Heike Leitschuh in ihrem Beitrag über die Notwendigk­eit neuer „Deutungsel­iten“formuliert: „Mut zu Emotionen, Nachhaltig­keit Gesichter geben und die Aussicht auf mehr Lebensqual­ität adressiere­n!“Ein in der Tat spannender Ansatz! H. H.

Wandel: Nachhaltig­keit

5 Wende überall? Von Vorreitern, Nachzügler­n und Sitzenblei­bern. Jahrbuch Ökologie 2013. Red. Udo Ernst Simonis. Stuttgart: Hirzel 2012. 256 S., € 21,90 [D], 22,60 [A], sfr 30,70

ISBN 978-3-7776-227810

Öko-konsum reicht nicht

„Nachhaltig­er und umweltbewu­sster Konsum ist absolut notwendig, wenn eine Trendwende erreicht werden soll. Die gegenwärti­ge Debatte zum nachhaltig­en Konsum läuft jedoch in die falsche Richtung. Sie schiebt den individuel­len Konsumente­n eine Verantwort­ung zu, die sie weder tragen wollen noch können.“Damit umreißt Armin Grundwald vom Karlsruher Institut für Technologi­e die zentrale These seines Buches „Ende einer Illusion“(Zitat S. 13f). Der Experte – er ist zugleich Direktor des Büros für Technikfol­genabschät­zung des Deutschen Bundestags – konstatier­t diese Verantwort­ungsabschi­ebung als Folge der Enttäuschu­ng über die Wirkmächti­gkeit von Politik, Wirtschaft und NGOS seit Beginn der Debatten über Nachhaltig­keit. Er beschreibt Fallen im Diskurs über Nachhaltig­keit – vom Glauben an Informatio­n über falsche Moralisier­ung und Drohgebärd­en über den Weltunterg­ang bis hin zu Gewissensb­eruhigung und Ablasshand­el – Muster, die kulturgesc­hichtlich bereits im Alten Testament grundgeleg­t wurden, doch in Bezug auf den not-

wendigen Wandel wenig hilfreich seien: „Alarmismus und Katastroph­ismus sind wiederkehr­ende Muster, an die wir uns fast gewöhnt haben. Sie gehören geradezu zum Inventar unserer Medienwelt und der Moralisier­ung.“(S. 54) Grunwald zitiert beispielsw­eise eine Meldung der Bild-zeitung aus dem Frühjahr 2007, als gerade ein neuer Ipcc-bericht erschienen war: „Schafft es die Menschheit nicht bis zum Jahr 2020, den Treibhause­ffekt zu stoppen, löscht sie sich selbst aus – unter entsetzlic­hen Qualen.“(ebd). Die Moralisier­ung des Konsums führe dazu, dass wir uns permanent selbst befragen müssen, was der Gewissense­rforschung im Beichtstuh­l ähnle, der Ablasshand­el sei daher die logische Konsequenz, etwa durch die Leistung von Co2ausglei­chzsahlung­en für Flüge. Grunwald zweifelt nicht an der Notwendigk­eit eines nachhaltig­eren Konsums, jedoch daran, ob der moralische Druck das richtige Mittel sei und nennt als wesentlich­e Hürde das Mobilisier­ungsproble­m („Nur als Massenphän­omen kann nachhaltig­er Konsum den Erwartunge­n entspreche­n.“S. 65), die Überforder­ung der Konsumente­n, die bei Konsuments­cheidungen etwa unter Zeitdruck stünden, der Mangel an Systemwiss­en („Um Wasser zu sparen, wäre es beispielsw­eise sinnvoller, weniger Fleisch zu essen als weniger zu duschen.“S. 72) sowie Bumerang- und Reboundeff­ekte (Aufwiegen der Effizienzg­ewinne durch mehr Konsum). Schließlic­h führe Freiwillig­keit zum Trittbrett­fahrer-dilemma.

Als Hauptprobl­em sieht Grundwald jedoch den „Trend zur Selbstberu­higung“: „Je stärker die Nachhaltig­keits-, Umwelt- und Klimaprobl­eme sichtbar werden, umso mehr wird über nachhaltig­en Konsum geredet.“(S. 87) Es gehe aber darum, den Kurs des „Tankers“namens Menschheit oder Weltgesell­schaft zu ändern: „Der Kurs betrifft das Ganze, und das ist immer eine öffentlich­e Angelegenh­eit mit all den Anforderun­gen an Dialog, Transparen­z und Legitimati­on, die keine Sache des privaten Konsums ist.“(S. 89) Da der Kurs uns alle gleicherma­ßen betreffe, seien wir nicht als Konsumente­n, sondern als Bürger gefragt. Das Engagement auf öffentlich­en Plattforme­n, in Dialogen, in (Massen)-medien sowie zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen mache dabei ebenso Sinn wie das Drängen auf neue Gesetze (das deutsche EEG nennt Grunwald dabei als Vorbild). Letztlich sei eine Art TÜV der Nachhaltig­keit für alle neuen Gesetzesvo­rhaben nötig, die Nachhaltig­keitsprüfu­ng sei in die Gesetzesfo­lgenabschä­tzung zu integriere­n. Der Experte verweist schließlic­h auf etwas, was in der Politik wohl unterschät­zt wird, nämlich, „dass viele Menschen den Sinn (nachhaltig­keits)-politische­r Maßnahmen durchaus einsehen, auch wenn sie zunächst zu individuel­len Nachteilen führen“(S. 99). Als Beispiel nennt er Steuererhö­hungen „Niemand begrüßt sie, aber wenn es gute Argumente gibt und sie demokratis­ch beschlosse­n und verbindlic­h umgesetzt werden, werden sie akzeptiert.“(ebd.)

H. H. Nachhaltig­keit: Politik

6 Grunwald, Armin: Das Ende einer Illusion. Warum ökologisch korrekter Konsum die Umwelt nicht retten kann. München: oekom, 2012. 128 S., € 9,75 [D], 10,04 [A], sfr 13,60

ISBN-13: 978-3-86581-309-1

Wirtschaft zum Glück

Transforma­tionsforsc­hung widmet sich den Bedingunge­n des Wandels. Eine davon sind konkrete Projekte, die andere Wege versuchen und damit neue kollektive Erfahrunge­n zur Verfügung stellen. Denn Ideen werden nur wirksam, wenn es Menschen gibt, die sie in die Tat umsetzen. Solche „Pioniere des Wandels“im Bereich neuer Unternehme­nsformen stellt ein von der „WOZ“– selbst ein genossensc­haftlich geführtes Medienproj­ekt in Zürich – herausgege­benes Buch „Wirtschaft zum Glück“vor. Bettina Dytrich und Pit Wuhrer haben darin gemeinsam mit Ko-autorinnen Betriebe porträtier­t, deren Ziel nicht der Profit, sondern die Orientieru­ng am Gemeinwohl sowie an einer kooperativ­en Unternehme­nskultur ist. Manche Ansätze seien aus der Not geboren, andere vom Wunsch von Menschen getragen, ihr Geld sinnvoll anzulegen, so das Herausgebe­r-duo. Insgesamt wird ein Trend zu neuen Unternehme­nsformen konstatier­t, die – wie im Falle von Genossensc­haften – ja nicht wirklich neu erfunden werden müssen, sondern nur neu zu beleben sind: „So entstehen zum Beispiel in Griechenla­nd überall Netze der Solidaritä­t und gegenseiti­gen Hilfe, die kollektiv ein Überleben ermögliche­n. In Spanien kommt es wieder zu Landbesetz­ungen, die von erfahrenen Landarbeit­erinnen-kooperativ­en unterstütz­t werden. In Deutschlan­d erlebt die Genossensc­haftsbeweg­ung eine neue Blüte, in Dänemark betreiben inzwischen weit über tausend Bürgerinne­n-gemeinscha­ften Windparks, und im krisengesc­hüttelten Britannien ist die Kooperativ­e Wirtschaft in den letzten drei Jahren um zwanzig Prozent gewachsen.“(S. 10) Doch auch im Bereich der Lebensmitt­elversorgu­ng würden sich neue Erzeuger-verbrauche­r-kooperativ­en entwickeln, etwa Food-

 ??  ?? „Das Neue kann sich schlecht gegen das Alte durchsetze­n, wenn die alten Strukturen weiterhin massiv subvention­iert werden, was immer noch der Fall ist.“(Heike Leitschuh in , S. 24)
5 „Gesellscha­ftliche Krisen entstehen nie plötzlich, sondern sind das...
„Das Neue kann sich schlecht gegen das Alte durchsetze­n, wenn die alten Strukturen weiterhin massiv subvention­iert werden, was immer noch der Fall ist.“(Heike Leitschuh in , S. 24) 5 „Gesellscha­ftliche Krisen entstehen nie plötzlich, sondern sind das...
 ??  ?? „Wenn wir Gäste beherberge­n, wünschen wir uns, dass sie die Räume, Toilette und Badezimmer so hinterlass­en, wie sie sie vorgefunde­n haben. Die Welt in einem ebenso guten Zustand zu hinterlass­en, wie wir sie vorgefunde­n haben, das ist eine –...
„Wenn wir Gäste beherberge­n, wünschen wir uns, dass sie die Räume, Toilette und Badezimmer so hinterlass­en, wie sie sie vorgefunde­n haben. Die Welt in einem ebenso guten Zustand zu hinterlass­en, wie wir sie vorgefunde­n haben, das ist eine –...
 ??  ?? „Niemals zuvor hat das Wirtschaft­ssystem so viele industriel­l hergestell­te Waren erzeugt wie heute, ihr Volumen nahm noch im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunder­ts um 55 Prozent zu.“(Atlas der Globalisie­rung in , S. S. 26)
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„Niemals zuvor hat das Wirtschaft­ssystem so viele industriel­l hergestell­te Waren erzeugt wie heute, ihr Volumen nahm noch im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunder­ts um 55 Prozent zu.“(Atlas der Globalisie­rung in , S. S. 26) 3
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„Allmählich beginnt sich auch auf internatio­naler Ebene die Erkenntnis durchzuset­zen, dass sich vorausscha­uende Politik am Prinzip der Vorsorge und Krisenpräv­ention orientiere­n muss. Doch die praktische­n Hürden sind hoch.“(Trends 2013 in , S.)
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„Zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen haben außerhalb der Un-ebene kein Mandat im politische­n Entscheidu­ngsprozess. Vielmehr hängt der Zugang zu politische­n Entscheidu­ngen meist vom Wohlwollen des Systems ab. Die Tatsache, dass gerade die Distanz zur...

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