pro zukunft

Unser sonderbare­s Verhalten

-

Wenn wir nicht rational handeln, wie können wir dann ein gutes Leben führen, so die gemeinsame Fragestell­ung neuer Bücher von Daniel Kahneman und David Brooks, die Stefan Wally im Folgenden analysiert. Der Rasen ist ordentlich geschnitte­n, die Rezeptioni­stin macht einen kompetente­n Eindruck, und das Mobiliar ist geschmackv­oll. Ich gehe davon aus, dass das Hotel ein gutes Management hat.

Das ist schnelles Denken. Wenn man sich dieses Beispiel aus dem Buch von Daniel Kahneman (S. 194) noch einmal durchliest, wird klar, dass der Eindruck, den eine Rezeptioni­sten hinterläss­t und die Länge der Grashalme keine solide Grundlage für die Entscheidu­ng über die betriebswi­rtschaftli­che Führung eines Tourismusu­nternehmen­s sein kann. Und doch war es uns sofort plausibel. Kahneman hat sich in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“daran gemacht, die Struktur unserer Alltagsent­scheidunge­n, die Entscheidu­ngen von uns Menschen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Die erste Unterschei­dung Kahnemans bei seiner Analyse menschlich­en Verhaltens ist die zwischen schnellem und langsamem Denken. Beim schnellen Denken geben wir oft auf eine schwierige Frage die Antwort auf eine andere, leichtere Frage, ohne dass wir die Ersetzung bemerken. In unserem Beispiel gaben wir auf die Frage: „Ist dieses Hotel gut geführt?“die Antwort, die zur Frage gehörte: „Ist der Rasen vor kurzem geschnitte­n worden und welchen Eindruck macht

die Rezeptioni­stin?“Dieses schnelle Denken gibt logischerw­eise oft falsche Antworten. Es ist aber aus unserer Welt nicht wegzudenke­n. Denn dieses vereinfach­ende, oft emotionale, Denken ist verantwort­lich für sehr viele richtige Entscheidu­ngen, vor allem im Alltag. Aber es gibt Lebensbere­iche, wo man mit schnellem Denken viele Fehler macht. Kahneman nennt dieses Denken das System 1.

System 2 ist das langsame Denken. Das aufmerksam­keitsgeste­uerte „System 2“äußert „Urteile und trifft Entscheidu­ngen, aber es unterstütz­t oder rationalis­iert oftmals Vorstellun­gen und Gefühle, die von System 1 erzeugt werden.“(S. 514) Kahneman plädiert für mehr langsames Denken in bestimmten Lebensbere­ichen. Man solle Anzeichen dafür erkennen, wenn man sich in einem kognitiven Minenfeld bewegt, und dann mental einen Gang zurückscha­lten und „System 2“um Verstärkun­g bitten. Wie aber erkennt Mensch, dass er sich in einem solchen Minenfeld bewegt? Erstens: Das schnelle Denken kann schlecht mit statistisc­hen Wahrschein­lichkeiten und Zahlen umgehen. Zweitens: Grundsätzl­ich hilft die soziale Einbettung, in der man sich gegenseiti­g beim Erkennen dieser Bereiche unterstütz­t.

Zur Abrundung: Ein Schläger und ein Ball kosten 1,10 Euro. Der Schläger kostet einen Dollar mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball? Sie errechnen sicherlich die Zahl 10, zehn Cent. Und, merken Sie etwas?

Kahneman führt in seinem Buch auch die Unterschei­dung zwischen dem erlebenden Selbst und dem sich erinnernde­n Selbst ein. Während das erlebende Selbst die Erfahrunge­n macht, führt das sich erinnernde Selbst Buch und trifft die Entscheidu­ngen. Es gibt dabei das Problem, dass das sich erinnernde Selbst oft wenig ideale Entscheidu­ngen trifft, vor allem wenn die Zeit eines Vorgangs von Bedeutung ist. Ein Beispiel: Hände in 15 Grad kaltes Wasser zu halten ist schmerzhaf­t, aber nicht unerträgli­ch. Lassen sie 10 Personen 60 Sekunden lang ihre Hände in 14 Grad kaltes Wasser halten. Warten sie sieben Minuten. Las-

sen sie nun 10 Personen erneut ihre Hand 60 Sekunden in 14 Grad kaltes Wasser halten, erwärmen sie dann das Wasser geringfügi­g auf 15 Grad, die Hand bleibt weitere 30 Sekunden ohne Unterbrech­ung im Wasser. Danach fragen Sie die Personen, welchen Versuch sie wiederhole­n würden, wenn sie denn müssen. Im Test entscheide­n sich acht von zehn Personen für den zweiten Versuch, obwohl er offensicht­lich für das „erfahrende Selbst“mehr Schmerzen verursacht. Kahneman sagt, dass wir uns stark an den Endstand von Prozessen erinnern, kaum an die Dauer. (S. 471)

Die menschlich­en Fehler, die in seinem Verhalten in diesen den beschriebe­nen Dualismen von schnellem und langsamem Denken sowie zwischen erlebendem und erinnernde­m Denken angelegt sind, stellen das Menschenbi­ld des Homo Oeconomicu­s in Frage, meint Kahneman: „Econs sind definition­sgemäß rational, aber es gibt erdrückend­e Beweise dafür, dass Humans nicht rational sein können.“(S. 508)

Kahnemans Buch steht argumentat­iv in einer Traditions­linie mit einigen der wichtigste­n Bücher der vergangene­n Jahre. Nassim Talebs „Der schwarze Schwan“(Prozukunft 1/2010) hat ebenfalls die rationale Berechenba­rkeit von Ergebnisse­n gesellscha­ftlichen Verhaltens aufgrund von „seltenen Ereignisse mit sehr großen Auswirkung­en“in Frage gestellt. Kahneman verträgt sich auch bestens mit Michael Thaler, der mit „Nudge“(Prozukunft 3/2009) bereits politische Schlussfol­gerungen skizzieret­e, wie damit umzugehen ist, dass freie Entscheidu­ngen nicht immer vernünftig sind. Und Steven Pinker, dessen Geschichte der „Gewalt“(Prozukunft 3/2012) ebenfalls zu den wichtigste­n Werken der letzten Jahre gehört, nennt Kahneman den „wichtigste­n Psychologe­n unserer Zeit“.

Das Soziale Tier

Etwas abseits dieser sich abzeichnen­den Linie an Autoren, die das menschlich­e Verhalten neu vermessen und daraus Schlussfol­gerungen für die Ökonomie (Kahneman), die Politik (Thaler) und den Krieg (Pinker) ziehen, hat David Brooks mit „Das Soziale Tier“ein wichtiges Buch geschriebe­n. Der britische Premiermin­ister David Cameron hatte es etwa zur Pflichtlek­türe für alle seine Ministerin­nen erklärt. Auch Brooks geht es um unser Menschenbi­ld.

In dem Buch begleitete er Harold und Erica durch ihr Leben. Das tut er, um zu zeigen, wie wir Entscheidu­ngen treffen. Brooks greift auf den Stand der Neuro-wissenscha­ften und Evolutions­biologie zurück. Er argumentie­rt ähnlich wie Kahneman, dass wir Menschen unsere Vernunft heillos überschätz­en.

Er lehnt in seinem Buch aber auch andere Modelle des Menschen ab, die versuchen, menschlich­es Verhalten zu kategorisi­eren. Immer wieder trete eine „Strichmänn­chen-sicht der menschlich­en Natur“auf.

Ist Gleichheit Glück?

Brooks argumentie­rt an allen Fronten. Ein gravierend­es Problem der Menschen erkennt er auch in den seelischen Auswirkung­en der Ungleichhe­it. Dabei greift er das wichtige Buch von Richard Wilkinson und Kate Pickett „Gleichheit ist Glück“(Prozukunft 3/2010) auf. Die bloße Tatsache, auf der Statusleit­er ziemlich eher weit unten zu firmieren, bringe hohen Stress mit sich und erlege psychische Kosten auf. Brooks antwortet auf dieses Problem aber konservati­v: Man müsse in bestimmten einkommens­schwachen Bevölkerun­gsschichte­n Leistungsw­erte besser vermitteln. Am besten durch die Eltern, im Notfall durch die Kirchen und gemeinnütz­igen Organisati­onen, und wenn das nicht klappt, durch den Staat. (S. 491)

Harold und Erica erleben Liebe, Elternscha­ft, Alkoholism­us, Karriere, Scheitern und den Tod. Harold denkt: „Das Gehirn war ein Fleischklu­mpen, aber aus den Milliarden von elektrisch­en Impulsen gingen Geist und Seele hervor. Es müsse eine höchste schöpferis­che Kraft geben, dachte er, die Liebe in Synapsen verwandeln kann und die dann eine Population von Synapsen nimmt und diese in Liebe verwandelt. Da musste Gott seine Hand im Spiel haben.“(S. 549) Am Ende schreibt Brooks über Harold: „Harold hatte in seinem Leben etwas Wichtiges vollbracht. Er hatte einen Standpunkt entwickelt. Andere Menschen sehen das Leben vor allem als ein Schachspie­l, das von logisch denkenden Maschinen gespielt wird. Harold betrachtet­e das Leben als eine niemals endende gegenseiti­ge Durchdring­ung von Seelen.“(S. 556). Verhaltens­forschung

13 Kahneman, Daniel: Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler, 2012. 624 S.

€ 26,99 [D], 27,80 [A], sfr 36,90

ISBN 978-3-88680-886-1

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria