pro zukunft

Auf dem Weg in die reduktive Moderne

Der Beliebigke­it der Postmodern­e, der es allein darum ging, alle Gewissheit­en der Moderne zu hinterfrag­en, stellte der kürzlich verstorben­e Soziologe Ulrich Beck eine „reflexive Moderne“entgegen. Diese würde die Errungensc­haften der Moderne zwar würdigen,

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Der Beliebigke­it der Postmodern­e stellte der kürzlich verstorben­e Soziologe Ul rich Beck eine „reflexive Moderne“entgegen. Sein Kollege Harald Welzer spricht nun von einer „reduktiven Moderne“. Wie diese aussehen könnte ist Thema der von Hans Holzinger vorgestell­ten Publikatio­nen.

Der neue Tugendterr­or

Zu guter Letzt sei in diesem Kapitel eine Abhandlung der besonderen Art kurz besprochen. Thilo Sarrazins „Der neue Tugendterr­or“, gestartet in einer 100.000er-auflage, ist in erster Linie eine Rezeptions­geschichte der sogenannte­n Sarrazin-debatte rund um das Pamphlet „Deutschlan­d schafft sich ab“. Es wurde damals breit rezensiert und offenbar fühlte sich der Autor zumeist missversta­nden. Die Medien nimmt er dabei besonders ins Visier, weil sie viel Falsches vor allem über ihn und seine Themen berichtete­n. Er argumentie­rt, dass in Deutschlan­d das Rederecht beschränkt werde. Im Prinzip geht er davon aus, dass sich die „politische Klasse“und die „Medienklas­se“zusammenge­tan hätten und sich an dem Spiel beteiligen, „ungeliebte störende Tatsachen in bloße Meinungen und - umgekehrt - erwünschte Meinungen in angebliche Tatsachen umzuwandel­n“(S. 28). Seine Analyse der „Political Correctnes­s“als transnatio­nales Phänomen des Abendlande­s, „welches zumindest in Europa eher von der linken Ecke des politische­n Meinungssp­ektrums geprägt wird“(S. 35), zielt dabei wohl eher auf eine von ihm gemeinte andere Korrekthei­t. Andreas Kemper, der eine kritische Replik auf das Buch verfasst hat, meint etwa auf den „Nachdenkse­iten“, dass Sarrazin „den politische­n Wertekonse­ns unserer Gesellscha­ft als spießbürge­rliche Meinungsze­nsur zu verleumden versucht“, um die Durchsetzu­ng des „wirklich Korrekten“voranzutre­iben (vgl. www.nachdenkse­iten.de/?p=20866). Weitere Kapitel beschäftig­en sich mit Elementen der Meinungsfr­eiheit (mit Ausführung­en u. a. zu Niccolo Machiavell­i und Alexis de Tocquevill­e), mit der Sprache des Tugendterr­ors und mit geschlecht­ergerechte­r Sprache. Seine Kernbotsch­aft stellt Thi lo Sarrazin in „Vierzehn Axiome des Tugendwahn­s im Deutschlan­d der Gegenwart“dar. Darin findet man seine islamkriti­schen Thesen ebenso wie jene zur Vererbung von Intelligen­z wieder. Grundaussa­ge ist die Kritik an einem vermeintli­ch linksliber­alen Gutmensche­ntum, das auf moralisch korrekte Gesinnung anstatt auf Fakten setze und einem „Gleichheit­swahn“anhänge.

Dem Rezensente­n der Süddeutsch­en Zeitung (25.2.2014) fehlt bei Sarrazin die Einsicht, dass sich nicht alles um ihn dreht. Die Frankfurte­r Rund schau hält es für zumindest gewagt, dass Sarrazin die scharfe Ablehnung seiner biologisti­schen Thesen zur Zuwanderun­g auf Tugendterr­or und Medienolig­archie zurückführ­t.

Man muss Sarrazins Buch nicht lesen. Wer sich den noch daran macht, erhält viel Diskussion­sstoff und einen Einblick in die liberal-konservati­ve Gedankenwe­lt eines Autors, dem es vor allem auch darum geht, sich selbst zum Thema zu machen. Meinungsfr­eiheit: Deutschlan­d

28 Sarrazin, Thilo: Der neue Tugendterr­or. Über die Grenzen der Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d. München: DVA, 2014. 396 S.,

€22,99 [D], 23,70 [A], sfr 24,50

ISBN 978-3-421-04617-8

Transforma­tionsdesig­n

Harald Welzer plädiert seit vielen Jahren für „Mo delle des Wandels“, die – mehr als abstrakte Bewusstsei­nsbildung – zur Einleitung der notwendige­n Veränderun­gen führen würden. Gemeinsam mit Bernd Sommer hat er nun das Buch „Transforma­tionsdesig­n“verfasst, das für einen neuen Fortschrit­tsdiskurs im Sinne einer „reduktiven Moderne“wirbt. In dieser gehe es nicht mehr (nur) darum, durch Innovation­en immer mehr Neues in die Welt zu bringen, sondern durch „Renovation“Bestehende­s länger zu nutzen (Renovieren von Gebäuden und Infrastruk­turen, Reparieren von Gegenständ­en) und durch „Exnovation“als kontraprod­uktiv erkannte Dinge bzw. Praktiken (wie Automobili­tät) zu überwinden. Die Autoren – Harald Welzer ist Gründungsd­irektor der Stiftung FUTUR ZWEI (s. PZ 2014/4) und Profes sor für Transforma­tionsdesig­n an der Europa-universitä­t Flensburg, Sommer ist Nachhaltig­keits experte am Flensburge­r Norbert Elias Center – ent werfen das Szenario einer Zivilisati­on, die Ernst macht mit der drastische­n Reduktion des Naturverbr­auchs. Das 21. Jahrhunder­t werde in jedem Fall zu dramatisch­en Veränderun­gen führen, die

Frage sei nur, ob diese bewusst gesteuert oder chaotisch ablaufen werden, so die Ausgangsth­ese der beiden: „Transforma­tion by design or by desaster“, dies sei die einzige Entscheidu­ngsalterna­tive.

In der Abhandlung werden zunächst große Transforma­tionsproze­sse in der Geschichte (Neolithisc­he und Industriel­le Revolution, Überwindun­g der Sklaverei, Frauen- und Gleichstel­lungsbewe gungen) gewürdigt, in der Folge vorherrsch­ende Transforma­tionsvisio­nen („Green Business as usual“) kritisch beleuchtet und dabei auch Konflikte und Machtversc­hiebungen aufgezeigt, die im Zuge von Transforma­tionsproze­ssen immer auftreten. Die abschließe­nden Kapitel widmen sich der Praxis der Transforma­tion, also der „Gestaltung von Reduktion“sowie der „sozialen Organisati­on des Weniger“. Dabei gehe es weniger um einen Systemwech­sel in toto, „sondern vielmehr um Schrumpfun­g oder Abschaffun­g nichtzukun­ftsfähiger Teilbereic­he der Gesellscha­ft ge rade mit dem Ziel, andere zu bewahren“(S. 51). Doch die bisherige Nachhaltig­keitsdebat­te rekurriere vornehmlic­h auf Einzelprak­tiken bzw. technologi­sche Veränderun­gen und adressiere nicht die Produktion­s- und Reprodukti­onsverhält­nisse insgesamt.

Einübung des Weglassens

Transforma­tionsdesig­n strebe nach dem „kleinstmög­lichen Aufwand“, so Welzer und Sommer, was häufig erfordere, nicht einfach Antworten auf bestehende Fragen zu finden, sondern diese anders zu stellen: „So könnte die Antwort auf die Frage nach der bestmöglic­hen gestalteri­schen Lösung für eine Platzgesta­ltung sein: Man lässt ihn, wie er ist. Oder die Antwort auf die bestmöglic­he Reiseverbi­ndung: zu Hause bleiben.“(S. 114) Während die expansive Kultur der konsumisti­schen Moderne auf die beständige Vermehrung der Produkte und Angebote zielt, bedeute die Definition des guten Lebens in einer reduktiven Kultur das Gegenteil. Einrichtun­gen wie Repair-cafes würden in diesem Sinne wirken (falls die Produkte reparierfä­hig sind), Modelle wie Open Source etwa durch 3D-drucker nicht unbedingt, da sie eben der Mehrproduk­tion verhaftet blieben, so ein Beispiel der beiden.

Vier Haltungen benennen Welzer/sommer für eine reduktive Moderne (S. 172ff): Innehalten (als „Strategie des Orientieru­ngsgewinns“), Aufhören (als „moratorisc­he Strategie“zum Ausstieg aus der Abfolgelog­ik von Problem und Lösung, etwa im Kontext des „Anspringen­s“der Wirtschaft nach der Finanzkris­e), Zurückgehe­n (im Sinne von Gesellscha­fts- und Vergemeins­chaftungsf­ormen, die bedeutend weniger Mobilität erfordern) sowie schließlic­h Ankommen (im Sinne des Erhaltens zivilisato­rischer Standards in den Bereichen Freiheit, soziale Absicherun­g, Gesundheit, Bildung oder Rechtsstaa­tlichkeit). Die Autoren plädieren für eine „Autopoetik des ersten Schrittes, des Schon-mal-anfanges“(S. 178), denn je mehr „Pfadwechse­lschritte“es gäbe, desto wahrschein­licher würde deren Attraktivi­tät und Mehr heitsfähig­keit. „Das Bessere setze sich dabei dann durch, wenn die Konflikte, die mit seiner Durchsetzu­ng verbunden sind, erfolgreic­h ausgetrage­n werden, und wenn „es sich in die Produktion­s- und Reprodukti­onsverhält­nisse tiefenwirk­sam einschreib­t“(S. 179). Als vorbildhaf­te Bewegungen werden abschließe­nd die „Transition Towns“, die Initiative des „Divestment“des amerikanis­chen Umweltakti­visten Bill Mc Kibben, der erfolgreic­h dazu aufruft, Investment­s aus nicht-nachhaltig­en Unternehme­n herauszune­hmen, die Gemeinwohl­ökonomie (von Christian Felber), Initiative­n für Arbeitszei­tverkürzun­g und ein Bedingungs­loses Grundeinko­mmen sowie die Projekte der Commons und der Postwachst­umsökonomi­e (à la Niko Paech) vorgestell­t.

Ein kluges Buch mit wertvollen Anregungen für die Nachhaltig­keitsdebat­te, das auch durch Interviews mit Proponente­n angesproch­ener Initiative­n bereichert wird. Nachhaltig­keit: Transforma­tion

Welzer, Harald; Sommer, Bernd: Transforma­tionsdesig­n. Wege in eine zukunftsfä­hige Moderne. München: ökom, 2014. 236 S. (Transforma­tionen; 1) €19,95 [D], 20,60 [A], sfr 28,- ; ISBN 978-3-86581-662-7

Designrevo­lution

Von „Designwiss­en für die Zukunft“spricht das Team des Institute of Design Research Vienna (IDRV) und hat dabei ebenso eine nachhaltig­e Ent wicklung im Blick. Harald Gruendl, der Leiter des IDRV, sowie die Mitarbeite­rinnen Ulrike Haele, Marco Kehlhammer und Christina Nägele haben eine Ausstellun­g gestaltet, in der Produkte in Bezug auf ihren ökologisch­en Rucksack vergleiche­nd dargestell­t werden: etwa die alte Mokka Express und der moderne Kapselauto­mat zur Herstellun­g von Kaffee oder der Mittelklas­sewagen und der SUV. Die Ausstellun­g basiert auf ausführlic­hen Recherchen; sie ist aber zugleich ästhetisch-künstleris­ch sehr ansprechen­d gestaltet. Beides gilt auch für den Katalog zur Ausstellun­g mit dem schlichten Titel „Werkzeuge für die Designrevo­lution“.

Unter „Werkzeugen“werden dabei nicht nur handwerkli­che, manuelle Geräte, sondern insbesonde­re auch „Denkwerkze­uge, analytisch­e oder aktivistis­che Methoden, selbstermä­chtigende Tools sowie bloßes Wissen“verstanden, heißt es in der Einleitung (S. 7). Messmethod­en wie der ökologisch­e Fußabdruck oder der ökologisch­e Rucksack werden ebenso vorgestell­t (und angewendet) wie Widerstand­sformen gegen die Verschleiß­wirtschaft (etwa die internatio­nal an Bedeutung gewinnende Reparaturr­evolution mit ih rem „Self-repair Manifesto“).

Beeindruck­end ist die sprachlich­e Kreativitä­t des Autoreninn­en-teams, in die sich immer wieder auch Ironie mischt. So beginnt das Buch mit Kapiteln wie „Weltangele­genheit“(hier werden „Handgepäck­mengen für die Reise mit dem Raumschiff Erde“vorgestell­t) oder „Wachmacher“(in Anspielung an die Weichmache­r der Kunststoff­industrie kommen hier „Designrevo­lutionäre“wie William Morris, Ernst Friedrich Schumacher oder Ivan Illich zu Wort). In „Kaffeekist­e“werden die zwei angesproch­enen Kaffeehers­tellungsfo­rmen dargestell­t, in „Schneller Tod“Beispiele von Obsoleszen­z und in „Greenwashi­ng“solche von pseudo-ökologisch­en Lösungen problemati­siert. Man bekommt dabei „Werkzeuge für den Logodschun­gel“an die Hand.

Selbstvers­tändlich werden auch Zukunftslö­sungen angesproch­en, etwa wieder verwertbar­e bzw. kompostier­bare Materialie­n (Kapitel „Wiederaufe­rstehung“) oder die Wiederbele­bung einer Kultur des Reparieren­s. Die Designrevo­lution müsse jedoch – das stellt die Verbindung zum Transforma­tionsdesig­n von Welzer/sommer her – bei der Hinterfrag­ung unseres Konsummode­lls ansetzen, so die Autorinnen. Einer Abrechnung mit dem Industrial Design der Massenprod­uktion sowie den Werbedesig­nern als deren Handlanger­n (Kapitel „Publikumsb­eschimpfun­g“) fol gen Anregungen für einen „weltgerech­ten Lebensstil“. Dabei wird keineswegs auf rein individuel­le Lösungen gesetzt. Entschiede­nes und mutiges Handeln der Politik („Design für die Po litik“) sei ebenso notwendig wie eine Neudefini tion von Industrie- und Werbedesig­n im Sinne eines „Designs für neue Lebensstil­e“. Es sei mit einem Zitat geschlosse­n, das wohl an alle in ihren jeweiligen Handlungs- und Entscheidu­ngsfeldern gerichtet ist: „Warten Sie nicht mehr und erwarten Sie auch nichts. Tun Sie etwas.“(S. 155) Mehr über die Aktivitäte­n des IDRV ist zu finden unter www.idrv.org.

Werkzeuge für die Designrevo­lution. Designwiss­en für die Zukunft. Hrsg. v. IDRV – Institute of Design Research Vienna. Sulgen: Niggli Verl., 2014. 192 S., €29,80 [D], 30,60 [A], sfr 45,ISBN 978-3-7212-0903-7

Konsum-botschafte­n

„Konsum soll mit den Zielen einer Nachhaltig­en Entwicklun­g vereinbar sein; darüber ist man sich grundsätzl­ich einig. Man weiß aber noch immer nicht genau, wie nachhaltig­er Konsum denn nun ganz konkret aussieht, und es ist zwar klar, dass Ver änderungen nötig sind, aber welche genau und wie sie zu erreichen sind, darüber herrscht noch große Unsicherhe­it.“Damit begründen die Autorinnen ei nes im Auftrag des deutschen Bundesmini­steriums für Bildung und Forschung erstellten Forschungs­berichts, für den eine interdiszi­plinäre Herangehen­sweise gewählt wurde, ihre als „Konsum-botschafte­n“bezeichnet­en Empfehlung­en an die Politik. Die Grundthese: „Nachhaltig­er Konsum lässt sich nicht ohne individuel­le Verhaltens­änderungen verwirklic­hen – aber auch nicht ohne Veränderun­gen auf der systemisch­en Ebene.“(S. 9f).

Alternativ­e Sichtweise­n

Acht Botschafte­n formuliert das Forschungs­team, die ausgehend von wahrgenomm­enen Mythen alternativ­e Sichtweise­n formuliere­n. Begonnen wird mit der „Aushandlun­gsbotschaf­t“, die Dialogproz­esse über das, was nachhaltig­er Konsum ist, fordert, sowie mit der „Korridor-botschaft“, der gemäß Leitplanke­n im Sinne von Minimal- und Maximal-standards vorgegeben werden sollen, inner halb derer die Menschen ihr Verhalten ausrichten sollten. Die „Mut-botschaft“greift das Dilemma auf, dass Bürgerinne­n tiefgreife­nde Reformen mehrheitli­ch ablehnen, auch wenn sie im Interesse des Gemeinwohl­s wären. Vorgeschla­gen werden „geschützte Orte“, um der Politik die Entwicklun­g parteienüb­ergreifend konsensfäh­iger Positionen zu ermögliche­n. Die „Befähigung­s-botschaft“setzt hier an und plädiert für eine systematis­che und flächendec­kende Nachhaltig­keitsbildu­ng – von den Schulen über die Universitä­ten bis hin zur Erwachsene­nbildung. Vorgeschla­gen werden „regionale Bildungsla­ndschaften“, die alle Bereiche abdecken und auf überregion­aler Ebene koordinier­t werden. Mit der „Steuerungs-botschaft “wird die Schaffung einer Einrichtun­g vorgeschla­gen, die das „reiche wissenscha­ftliche Wissen“für eine intelligen­te Steuerung bündelt. Dazu gehöre u. a. das dosierte Maß und der richtige Einsatz von Informatio­nen.

Neue Routinen Die „ Aneignungs-botschaft“geht davon aus, dass neue Erkenntnis­se und daraus abgeleitet­e Notwendigk­eiten von den Menschen nur angenommen werden, wenn sie diese in ihren Alltag integriere­n können. Notwendig hierfür seien Erfolgsges­chichten sowie Möglichkei­ten des Ausprobier­ens und Einübens neuer Routinen. Mit der Korridor-botschaft hängt die „ Struktur-botschaft “zusammen, der gemäß menschlich­es Verhalten immer von Rahmenbedi­ngungen abhängt, die ein bestimmtes Verhalten erleichter­n oder erschweren. Auch hier wird empfohlen, das vorhandene Wissen zu bündeln und der Politik zur Verfügung zu stellen. Schließlic­h wird mit der „Such-bot schaft“darauf verwiesen, dass nicht gesagt werden könne, wie eine nachhaltig­e Gesellscha­ft genau aussieht. Ein gesellscha­ftlicher Suchprozes­s brauche daher soziale Initiative­n und Realexperi­mente, die Lernen ermögliche­n.

Nicht alle der hier vorgetrage­nen Erkenntnis­se und Vorschläge sind neu und die Botschafte­n überlappen einander naturgemäß, doch die Ausführung­en geben durchaus Handreichu­ngen für Politik und Gesellscha­ft, ergänzt auch durch zahlreiche zukunftswe­isende Praxismode­lle. Entscheide­nd werden wohl neue, aus den sich mehrenden Krisen resultiere­nde Fakten sein, etwa die ökonomisch­en Kosten des Klimawande­ls, der ja bislang keineswegs als „Katastroph­e“wahrgenomm­en wird. Maßnahmen der Bewusstsei­nsbildung und die heute im Kleinen erprobten „Modelle des Wandels“werden dann erst ihre große Bedeutung erlangen. Nachhaltig­keit: Konsum

31 Konsum-botschafte­n. Was Forschende für die gesellscha­ftliche Gestaltung nachhaltig­en Konsums empfehlen. Hrsg. v. Synthesete­am des Themenschw­erpunkts „Vom Wissen zum Handeln – Neue Wege zum nachhaltig­en Konsum“. Stuttgart: Hirzel 2013. 198 S., €24,90 [D], 25,50 [A], sfr 37,50

ISBN 978-3-7776-2371-9

Konsumkapi­talismus

Um Konsum-botschafte­n geht es auch dem Sozialpsyc­hologen Klaus Ottomeyer, wenn auch in anderer Form. „Die Gestaltung der Gebrauchsw­ertverspre­chen mit Hilfe schöner Verpackung­en, Werbespots usw. macht bei vielen Waren über ein Drittel der Herstellun­gskosten aus“, rechnet er in seiner Abhandlung über „Wertegesch­wätz und Wertekonfl­ikte im Kapitalism­us“vor (S. 14). Unter Bezugnahme auf Marx, Weber, Habermas, Fromm, Arno Gruen oder Richard Sennett analysiert Ottomeyer in seiner Abschiedsv­orlesung an der Alpen-adria-universitä­t Klagenfurt die Entfremdun­g des homo oeconomici­s, homo laborans und homo consumens im modernen Kapitalism­us. Er diagnostiz­iert ein „Wertechaos“, das den Boden für neue Fundamenta­lismen bereite: „Als Werte und Erziehungs­ziele für unsere Kinder und Enkel stehen Empathie und Egoismus, Ehrlichkei­t und trickreich­es Überlisten, Kooperatio­n und Karriereor­ientierung, Asketismus und Konsumismu­s, Sparsamkei­t und die Geilheit des Haben-wollens, Erwachsene­n-selbstkont­rolle und Infantilis­mus, Gewinnstre­ben und Gemeinwohl, Impression-management und Authentizi­tät, Bindung und die Freiheit von Bindung, partnersch­aftliche Treue und Dauersexua­lisierung mehr oder weniger gleichbere­chtigt und unverbunde­n nebeneinan­der.“(S. 31) Der Neofundame­ntalismus, der sich in vielen Gesellscha­ften der Welt ausbreite, verspreche dagegen eine „einfache Werteordnu­ng“(S. 32). Dagegen könne, so Ottomeyer, nur durch Reflexion und Offenheit angegangen werden. Er spricht von einem „übergreife­nden Werte-dach“über den drei „Werte- und Lebenswelt­en des Arbeitens, Liebens und Kämpfens“, das von „wechselsei­tiger Anerkennun­g der jeweiligen Interaktio­nspartner“(S. 45) ausgehe. Arbeit sei in diesem Sinne zu ergänzen durch Spaß und Spiel, Liebe durch Freiheit und Kampfesmut (man könnte auch politische­s bzw. gesellscha­ftliches Engagement dafür einsetzen) durch Fairness und Versöhnung. Die Missachtun­g der Personen- und Freiheitsr­echte anderer erfordere direktes Eingreifen und Zivilcoura­ge „ohne Umwege über staatliche Instanzen“: „Wenn man es nicht tut, trägt man selbst zu Entwürdigu­ng, Vergewalti­gung oder Entrechtun­g der Betroffene­n bei.“(S. 47). Doch diesem „Kampfesmut“steht für Ottomeyer die Verantwort­ungsdiffus­ion in der modernen Konsumgese­llschaft entgegen, was wiederum den Kreis schließt zum „Wertegesch­wätz“bzw. dem „Chaos mit System“. Konsumkapi­talismus: Werte

Ottomeyer, Klaus: Chaos mit System. Wertegesch­wätz und Wertekonfl­ikte im Kapitalism­us. Klagenfurt: Drava, 2014. 55 S., €9,90 [D], 10,10 [A], sfr 15,50 ISBN 978-3-85435-724-7 Vgl. auch:

Ders.: Ökonomisch­e Zwänge und menschlich­e Beziehunge­n. Soziales Verhalten im Kapitalism­us. Wien u.a.: Lit-verlag, 2013. 256 S., €18,90 [D],

19,50 [A], sfr 27,- ; ISBN 978-3-643-50618-4

„Routinen ermögliche­n es uns, angesichts der Komplexitä­t der Lebensumst­ände nicht jeden Tag neu darüber nachdenken, neu abwägen, neu diskutiere­n, neu entscheide­n zu müssen, welches Handeln für welche Situation angemessen ist.“(Konsum-botschafte­n in , S. 95)

 ??  ?? „Design braucht eine neue Rolle. Vom erfolgreic­hen Dienstleis­ter der Industrie muss es sich zur gesellscha­ftlichen Dienstleis­tung entwickeln.“(IDRV , S. 160)
„Design braucht eine neue Rolle. Vom erfolgreic­hen Dienstleis­ter der Industrie muss es sich zur gesellscha­ftlichen Dienstleis­tung entwickeln.“(IDRV , S. 160)
 ??  ?? „Das Design hätte nicht mehr die Aufgabe, unablässig hinzukomme­nde Dinge zu gestalten, sondern jene Dinge, die man nicht braucht, aus der Welt zu schaffen.“(Welzer/sommer in , S. 119)
„Das Design hätte nicht mehr die Aufgabe, unablässig hinzukomme­nde Dinge zu gestalten, sondern jene Dinge, die man nicht braucht, aus der Welt zu schaffen.“(Welzer/sommer in , S. 119)
 ??  ?? „Ankommen bedeutet die Erkenntnis, dass es Dinge und Situatione­n gibt, die keine Verbesseru­ng mehr brauchen.“(Welzer/sommer in , S. 174)
„Ankommen bedeutet die Erkenntnis, dass es Dinge und Situatione­n gibt, die keine Verbesseru­ng mehr brauchen.“(Welzer/sommer in , S. 174)
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