Auf dem Weg in die reduktive Moderne
Der Beliebigkeit der Postmoderne, der es allein darum ging, alle Gewissheiten der Moderne zu hinterfragen, stellte der kürzlich verstorbene Soziologe Ulrich Beck eine „reflexive Moderne“entgegen. Diese würde die Errungenschaften der Moderne zwar würdigen,
Der Beliebigkeit der Postmoderne stellte der kürzlich verstorbene Soziologe Ul rich Beck eine „reflexive Moderne“entgegen. Sein Kollege Harald Welzer spricht nun von einer „reduktiven Moderne“. Wie diese aussehen könnte ist Thema der von Hans Holzinger vorgestellten Publikationen.
Der neue Tugendterror
Zu guter Letzt sei in diesem Kapitel eine Abhandlung der besonderen Art kurz besprochen. Thilo Sarrazins „Der neue Tugendterror“, gestartet in einer 100.000er-auflage, ist in erster Linie eine Rezeptionsgeschichte der sogenannten Sarrazin-debatte rund um das Pamphlet „Deutschland schafft sich ab“. Es wurde damals breit rezensiert und offenbar fühlte sich der Autor zumeist missverstanden. Die Medien nimmt er dabei besonders ins Visier, weil sie viel Falsches vor allem über ihn und seine Themen berichteten. Er argumentiert, dass in Deutschland das Rederecht beschränkt werde. Im Prinzip geht er davon aus, dass sich die „politische Klasse“und die „Medienklasse“zusammengetan hätten und sich an dem Spiel beteiligen, „ungeliebte störende Tatsachen in bloße Meinungen und - umgekehrt - erwünschte Meinungen in angebliche Tatsachen umzuwandeln“(S. 28). Seine Analyse der „Political Correctness“als transnationales Phänomen des Abendlandes, „welches zumindest in Europa eher von der linken Ecke des politischen Meinungsspektrums geprägt wird“(S. 35), zielt dabei wohl eher auf eine von ihm gemeinte andere Korrektheit. Andreas Kemper, der eine kritische Replik auf das Buch verfasst hat, meint etwa auf den „Nachdenkseiten“, dass Sarrazin „den politischen Wertekonsens unserer Gesellschaft als spießbürgerliche Meinungszensur zu verleumden versucht“, um die Durchsetzung des „wirklich Korrekten“voranzutreiben (vgl. www.nachdenkseiten.de/?p=20866). Weitere Kapitel beschäftigen sich mit Elementen der Meinungsfreiheit (mit Ausführungen u. a. zu Niccolo Machiavelli und Alexis de Tocqueville), mit der Sprache des Tugendterrors und mit geschlechtergerechter Sprache. Seine Kernbotschaft stellt Thi lo Sarrazin in „Vierzehn Axiome des Tugendwahns im Deutschland der Gegenwart“dar. Darin findet man seine islamkritischen Thesen ebenso wie jene zur Vererbung von Intelligenz wieder. Grundaussage ist die Kritik an einem vermeintlich linksliberalen Gutmenschentum, das auf moralisch korrekte Gesinnung anstatt auf Fakten setze und einem „Gleichheitswahn“anhänge.
Dem Rezensenten der Süddeutschen Zeitung (25.2.2014) fehlt bei Sarrazin die Einsicht, dass sich nicht alles um ihn dreht. Die Frankfurter Rund schau hält es für zumindest gewagt, dass Sarrazin die scharfe Ablehnung seiner biologistischen Thesen zur Zuwanderung auf Tugendterror und Medienoligarchie zurückführt.
Man muss Sarrazins Buch nicht lesen. Wer sich den noch daran macht, erhält viel Diskussionsstoff und einen Einblick in die liberal-konservative Gedankenwelt eines Autors, dem es vor allem auch darum geht, sich selbst zum Thema zu machen. Meinungsfreiheit: Deutschland
28 Sarrazin, Thilo: Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. München: DVA, 2014. 396 S.,
€22,99 [D], 23,70 [A], sfr 24,50
ISBN 978-3-421-04617-8
Transformationsdesign
Harald Welzer plädiert seit vielen Jahren für „Mo delle des Wandels“, die – mehr als abstrakte Bewusstseinsbildung – zur Einleitung der notwendigen Veränderungen führen würden. Gemeinsam mit Bernd Sommer hat er nun das Buch „Transformationsdesign“verfasst, das für einen neuen Fortschrittsdiskurs im Sinne einer „reduktiven Moderne“wirbt. In dieser gehe es nicht mehr (nur) darum, durch Innovationen immer mehr Neues in die Welt zu bringen, sondern durch „Renovation“Bestehendes länger zu nutzen (Renovieren von Gebäuden und Infrastrukturen, Reparieren von Gegenständen) und durch „Exnovation“als kontraproduktiv erkannte Dinge bzw. Praktiken (wie Automobilität) zu überwinden. Die Autoren – Harald Welzer ist Gründungsdirektor der Stiftung FUTUR ZWEI (s. PZ 2014/4) und Profes sor für Transformationsdesign an der Europa-universität Flensburg, Sommer ist Nachhaltigkeits experte am Flensburger Norbert Elias Center – ent werfen das Szenario einer Zivilisation, die Ernst macht mit der drastischen Reduktion des Naturverbrauchs. Das 21. Jahrhundert werde in jedem Fall zu dramatischen Veränderungen führen, die
Frage sei nur, ob diese bewusst gesteuert oder chaotisch ablaufen werden, so die Ausgangsthese der beiden: „Transformation by design or by desaster“, dies sei die einzige Entscheidungsalternative.
In der Abhandlung werden zunächst große Transformationsprozesse in der Geschichte (Neolithische und Industrielle Revolution, Überwindung der Sklaverei, Frauen- und Gleichstellungsbewe gungen) gewürdigt, in der Folge vorherrschende Transformationsvisionen („Green Business as usual“) kritisch beleuchtet und dabei auch Konflikte und Machtverschiebungen aufgezeigt, die im Zuge von Transformationsprozessen immer auftreten. Die abschließenden Kapitel widmen sich der Praxis der Transformation, also der „Gestaltung von Reduktion“sowie der „sozialen Organisation des Weniger“. Dabei gehe es weniger um einen Systemwechsel in toto, „sondern vielmehr um Schrumpfung oder Abschaffung nichtzukunftsfähiger Teilbereiche der Gesellschaft ge rade mit dem Ziel, andere zu bewahren“(S. 51). Doch die bisherige Nachhaltigkeitsdebatte rekurriere vornehmlich auf Einzelpraktiken bzw. technologische Veränderungen und adressiere nicht die Produktions- und Reproduktionsverhältnisse insgesamt.
Einübung des Weglassens
Transformationsdesign strebe nach dem „kleinstmöglichen Aufwand“, so Welzer und Sommer, was häufig erfordere, nicht einfach Antworten auf bestehende Fragen zu finden, sondern diese anders zu stellen: „So könnte die Antwort auf die Frage nach der bestmöglichen gestalterischen Lösung für eine Platzgestaltung sein: Man lässt ihn, wie er ist. Oder die Antwort auf die bestmögliche Reiseverbindung: zu Hause bleiben.“(S. 114) Während die expansive Kultur der konsumistischen Moderne auf die beständige Vermehrung der Produkte und Angebote zielt, bedeute die Definition des guten Lebens in einer reduktiven Kultur das Gegenteil. Einrichtungen wie Repair-cafes würden in diesem Sinne wirken (falls die Produkte reparierfähig sind), Modelle wie Open Source etwa durch 3D-drucker nicht unbedingt, da sie eben der Mehrproduktion verhaftet blieben, so ein Beispiel der beiden.
Vier Haltungen benennen Welzer/sommer für eine reduktive Moderne (S. 172ff): Innehalten (als „Strategie des Orientierungsgewinns“), Aufhören (als „moratorische Strategie“zum Ausstieg aus der Abfolgelogik von Problem und Lösung, etwa im Kontext des „Anspringens“der Wirtschaft nach der Finanzkrise), Zurückgehen (im Sinne von Gesellschafts- und Vergemeinschaftungsformen, die bedeutend weniger Mobilität erfordern) sowie schließlich Ankommen (im Sinne des Erhaltens zivilisatorischer Standards in den Bereichen Freiheit, soziale Absicherung, Gesundheit, Bildung oder Rechtsstaatlichkeit). Die Autoren plädieren für eine „Autopoetik des ersten Schrittes, des Schon-mal-anfanges“(S. 178), denn je mehr „Pfadwechselschritte“es gäbe, desto wahrscheinlicher würde deren Attraktivität und Mehr heitsfähigkeit. „Das Bessere setze sich dabei dann durch, wenn die Konflikte, die mit seiner Durchsetzung verbunden sind, erfolgreich ausgetragen werden, und wenn „es sich in die Produktions- und Reproduktionsverhältnisse tiefenwirksam einschreibt“(S. 179). Als vorbildhafte Bewegungen werden abschließend die „Transition Towns“, die Initiative des „Divestment“des amerikanischen Umweltaktivisten Bill Mc Kibben, der erfolgreich dazu aufruft, Investments aus nicht-nachhaltigen Unternehmen herauszunehmen, die Gemeinwohlökonomie (von Christian Felber), Initiativen für Arbeitszeitverkürzung und ein Bedingungsloses Grundeinkommen sowie die Projekte der Commons und der Postwachstumsökonomie (à la Niko Paech) vorgestellt.
Ein kluges Buch mit wertvollen Anregungen für die Nachhaltigkeitsdebatte, das auch durch Interviews mit Proponenten angesprochener Initiativen bereichert wird. Nachhaltigkeit: Transformation
Welzer, Harald; Sommer, Bernd: Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne. München: ökom, 2014. 236 S. (Transformationen; 1) €19,95 [D], 20,60 [A], sfr 28,- ; ISBN 978-3-86581-662-7
Designrevolution
Von „Designwissen für die Zukunft“spricht das Team des Institute of Design Research Vienna (IDRV) und hat dabei ebenso eine nachhaltige Ent wicklung im Blick. Harald Gruendl, der Leiter des IDRV, sowie die Mitarbeiterinnen Ulrike Haele, Marco Kehlhammer und Christina Nägele haben eine Ausstellung gestaltet, in der Produkte in Bezug auf ihren ökologischen Rucksack vergleichend dargestellt werden: etwa die alte Mokka Express und der moderne Kapselautomat zur Herstellung von Kaffee oder der Mittelklassewagen und der SUV. Die Ausstellung basiert auf ausführlichen Recherchen; sie ist aber zugleich ästhetisch-künstlerisch sehr ansprechend gestaltet. Beides gilt auch für den Katalog zur Ausstellung mit dem schlichten Titel „Werkzeuge für die Designrevolution“.
Unter „Werkzeugen“werden dabei nicht nur handwerkliche, manuelle Geräte, sondern insbesondere auch „Denkwerkzeuge, analytische oder aktivistische Methoden, selbstermächtigende Tools sowie bloßes Wissen“verstanden, heißt es in der Einleitung (S. 7). Messmethoden wie der ökologische Fußabdruck oder der ökologische Rucksack werden ebenso vorgestellt (und angewendet) wie Widerstandsformen gegen die Verschleißwirtschaft (etwa die international an Bedeutung gewinnende Reparaturrevolution mit ih rem „Self-repair Manifesto“).
Beeindruckend ist die sprachliche Kreativität des Autoreninnen-teams, in die sich immer wieder auch Ironie mischt. So beginnt das Buch mit Kapiteln wie „Weltangelegenheit“(hier werden „Handgepäckmengen für die Reise mit dem Raumschiff Erde“vorgestellt) oder „Wachmacher“(in Anspielung an die Weichmacher der Kunststoffindustrie kommen hier „Designrevolutionäre“wie William Morris, Ernst Friedrich Schumacher oder Ivan Illich zu Wort). In „Kaffeekiste“werden die zwei angesprochenen Kaffeeherstellungsformen dargestellt, in „Schneller Tod“Beispiele von Obsoleszenz und in „Greenwashing“solche von pseudo-ökologischen Lösungen problematisiert. Man bekommt dabei „Werkzeuge für den Logodschungel“an die Hand.
Selbstverständlich werden auch Zukunftslösungen angesprochen, etwa wieder verwertbare bzw. kompostierbare Materialien (Kapitel „Wiederauferstehung“) oder die Wiederbelebung einer Kultur des Reparierens. Die Designrevolution müsse jedoch – das stellt die Verbindung zum Transformationsdesign von Welzer/sommer her – bei der Hinterfragung unseres Konsummodells ansetzen, so die Autorinnen. Einer Abrechnung mit dem Industrial Design der Massenproduktion sowie den Werbedesignern als deren Handlangern (Kapitel „Publikumsbeschimpfung“) fol gen Anregungen für einen „weltgerechten Lebensstil“. Dabei wird keineswegs auf rein individuelle Lösungen gesetzt. Entschiedenes und mutiges Handeln der Politik („Design für die Po litik“) sei ebenso notwendig wie eine Neudefini tion von Industrie- und Werbedesign im Sinne eines „Designs für neue Lebensstile“. Es sei mit einem Zitat geschlossen, das wohl an alle in ihren jeweiligen Handlungs- und Entscheidungsfeldern gerichtet ist: „Warten Sie nicht mehr und erwarten Sie auch nichts. Tun Sie etwas.“(S. 155) Mehr über die Aktivitäten des IDRV ist zu finden unter www.idrv.org.
Werkzeuge für die Designrevolution. Designwissen für die Zukunft. Hrsg. v. IDRV – Institute of Design Research Vienna. Sulgen: Niggli Verl., 2014. 192 S., €29,80 [D], 30,60 [A], sfr 45,ISBN 978-3-7212-0903-7
Konsum-botschaften
„Konsum soll mit den Zielen einer Nachhaltigen Entwicklung vereinbar sein; darüber ist man sich grundsätzlich einig. Man weiß aber noch immer nicht genau, wie nachhaltiger Konsum denn nun ganz konkret aussieht, und es ist zwar klar, dass Ver änderungen nötig sind, aber welche genau und wie sie zu erreichen sind, darüber herrscht noch große Unsicherheit.“Damit begründen die Autorinnen ei nes im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung erstellten Forschungsberichts, für den eine interdisziplinäre Herangehensweise gewählt wurde, ihre als „Konsum-botschaften“bezeichneten Empfehlungen an die Politik. Die Grundthese: „Nachhaltiger Konsum lässt sich nicht ohne individuelle Verhaltensänderungen verwirklichen – aber auch nicht ohne Veränderungen auf der systemischen Ebene.“(S. 9f).
Alternative Sichtweisen
Acht Botschaften formuliert das Forschungsteam, die ausgehend von wahrgenommenen Mythen alternative Sichtweisen formulieren. Begonnen wird mit der „Aushandlungsbotschaft“, die Dialogprozesse über das, was nachhaltiger Konsum ist, fordert, sowie mit der „Korridor-botschaft“, der gemäß Leitplanken im Sinne von Minimal- und Maximal-standards vorgegeben werden sollen, inner halb derer die Menschen ihr Verhalten ausrichten sollten. Die „Mut-botschaft“greift das Dilemma auf, dass Bürgerinnen tiefgreifende Reformen mehrheitlich ablehnen, auch wenn sie im Interesse des Gemeinwohls wären. Vorgeschlagen werden „geschützte Orte“, um der Politik die Entwicklung parteienübergreifend konsensfähiger Positionen zu ermöglichen. Die „Befähigungs-botschaft“setzt hier an und plädiert für eine systematische und flächendeckende Nachhaltigkeitsbildung – von den Schulen über die Universitäten bis hin zur Erwachsenenbildung. Vorgeschlagen werden „regionale Bildungslandschaften“, die alle Bereiche abdecken und auf überregionaler Ebene koordiniert werden. Mit der „Steuerungs-botschaft “wird die Schaffung einer Einrichtung vorgeschlagen, die das „reiche wissenschaftliche Wissen“für eine intelligente Steuerung bündelt. Dazu gehöre u. a. das dosierte Maß und der richtige Einsatz von Informationen.
Neue Routinen Die „ Aneignungs-botschaft“geht davon aus, dass neue Erkenntnisse und daraus abgeleitete Notwendigkeiten von den Menschen nur angenommen werden, wenn sie diese in ihren Alltag integrieren können. Notwendig hierfür seien Erfolgsgeschichten sowie Möglichkeiten des Ausprobierens und Einübens neuer Routinen. Mit der Korridor-botschaft hängt die „ Struktur-botschaft “zusammen, der gemäß menschliches Verhalten immer von Rahmenbedingungen abhängt, die ein bestimmtes Verhalten erleichtern oder erschweren. Auch hier wird empfohlen, das vorhandene Wissen zu bündeln und der Politik zur Verfügung zu stellen. Schließlich wird mit der „Such-bot schaft“darauf verwiesen, dass nicht gesagt werden könne, wie eine nachhaltige Gesellschaft genau aussieht. Ein gesellschaftlicher Suchprozess brauche daher soziale Initiativen und Realexperimente, die Lernen ermöglichen.
Nicht alle der hier vorgetragenen Erkenntnisse und Vorschläge sind neu und die Botschaften überlappen einander naturgemäß, doch die Ausführungen geben durchaus Handreichungen für Politik und Gesellschaft, ergänzt auch durch zahlreiche zukunftsweisende Praxismodelle. Entscheidend werden wohl neue, aus den sich mehrenden Krisen resultierende Fakten sein, etwa die ökonomischen Kosten des Klimawandels, der ja bislang keineswegs als „Katastrophe“wahrgenommen wird. Maßnahmen der Bewusstseinsbildung und die heute im Kleinen erprobten „Modelle des Wandels“werden dann erst ihre große Bedeutung erlangen. Nachhaltigkeit: Konsum
31 Konsum-botschaften. Was Forschende für die gesellschaftliche Gestaltung nachhaltigen Konsums empfehlen. Hrsg. v. Syntheseteam des Themenschwerpunkts „Vom Wissen zum Handeln – Neue Wege zum nachhaltigen Konsum“. Stuttgart: Hirzel 2013. 198 S., €24,90 [D], 25,50 [A], sfr 37,50
ISBN 978-3-7776-2371-9
Konsumkapitalismus
Um Konsum-botschaften geht es auch dem Sozialpsychologen Klaus Ottomeyer, wenn auch in anderer Form. „Die Gestaltung der Gebrauchswertversprechen mit Hilfe schöner Verpackungen, Werbespots usw. macht bei vielen Waren über ein Drittel der Herstellungskosten aus“, rechnet er in seiner Abhandlung über „Wertegeschwätz und Wertekonflikte im Kapitalismus“vor (S. 14). Unter Bezugnahme auf Marx, Weber, Habermas, Fromm, Arno Gruen oder Richard Sennett analysiert Ottomeyer in seiner Abschiedsvorlesung an der Alpen-adria-universität Klagenfurt die Entfremdung des homo oeconomicis, homo laborans und homo consumens im modernen Kapitalismus. Er diagnostiziert ein „Wertechaos“, das den Boden für neue Fundamentalismen bereite: „Als Werte und Erziehungsziele für unsere Kinder und Enkel stehen Empathie und Egoismus, Ehrlichkeit und trickreiches Überlisten, Kooperation und Karriereorientierung, Asketismus und Konsumismus, Sparsamkeit und die Geilheit des Haben-wollens, Erwachsenen-selbstkontrolle und Infantilismus, Gewinnstreben und Gemeinwohl, Impression-management und Authentizität, Bindung und die Freiheit von Bindung, partnerschaftliche Treue und Dauersexualisierung mehr oder weniger gleichberechtigt und unverbunden nebeneinander.“(S. 31) Der Neofundamentalismus, der sich in vielen Gesellschaften der Welt ausbreite, verspreche dagegen eine „einfache Werteordnung“(S. 32). Dagegen könne, so Ottomeyer, nur durch Reflexion und Offenheit angegangen werden. Er spricht von einem „übergreifenden Werte-dach“über den drei „Werte- und Lebenswelten des Arbeitens, Liebens und Kämpfens“, das von „wechselseitiger Anerkennung der jeweiligen Interaktionspartner“(S. 45) ausgehe. Arbeit sei in diesem Sinne zu ergänzen durch Spaß und Spiel, Liebe durch Freiheit und Kampfesmut (man könnte auch politisches bzw. gesellschaftliches Engagement dafür einsetzen) durch Fairness und Versöhnung. Die Missachtung der Personen- und Freiheitsrechte anderer erfordere direktes Eingreifen und Zivilcourage „ohne Umwege über staatliche Instanzen“: „Wenn man es nicht tut, trägt man selbst zu Entwürdigung, Vergewaltigung oder Entrechtung der Betroffenen bei.“(S. 47). Doch diesem „Kampfesmut“steht für Ottomeyer die Verantwortungsdiffusion in der modernen Konsumgesellschaft entgegen, was wiederum den Kreis schließt zum „Wertegeschwätz“bzw. dem „Chaos mit System“. Konsumkapitalismus: Werte
Ottomeyer, Klaus: Chaos mit System. Wertegeschwätz und Wertekonflikte im Kapitalismus. Klagenfurt: Drava, 2014. 55 S., €9,90 [D], 10,10 [A], sfr 15,50 ISBN 978-3-85435-724-7 Vgl. auch:
Ders.: Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen. Soziales Verhalten im Kapitalismus. Wien u.a.: Lit-verlag, 2013. 256 S., €18,90 [D],
19,50 [A], sfr 27,- ; ISBN 978-3-643-50618-4
„Routinen ermöglichen es uns, angesichts der Komplexität der Lebensumstände nicht jeden Tag neu darüber nachdenken, neu abwägen, neu diskutieren, neu entscheiden zu müssen, welches Handeln für welche Situation angemessen ist.“(Konsum-botschaften in , S. 95)